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Evonik Chef Klaus Engel beantwortet nach seiner Rede im "China Club" in Berlin Fragen der rund 100 Gäste. (10. September 2015).

© Hardenberg Concept (Promo)

Rede des Evonik-Chefs zu Flüchtlingen: Engel hat einen Traum

Evonik-Chef Klaus Engel hat in Berlin eine bemerkenswerte Rede zur Flüchtlingskrise gehalten – und scheint damit manchen zu überfordern.

„Deutschland steht angesichts der Flüchtlingsströme in seiner größten Bewährungsprobe seit Jahrzehnten. Und das gilt auch für die deutsche Wirtschaft“, sagt Klaus Engel, Chef des Essener Spezialchemiekonzerns Evonik. So beginnt er seine Rede im schicken China Club im Berliner Hotel Adlon. An der Stelle ist sein Zuhörer Heinz Buschkowsky noch hellwach.

Mao Tse-tung, Kinder in Uniform und Damen in Seide, gefangen in Öl auf Leinwand, blicken am Donnerstagabend von den Wänden auf Engel und seine rund 100 Gäste aus Politik, Wirtschaft und Medien herab. Die Zuhörer sitzen auf etwas zu dicht gestellten Holzstühlen im Salon, um einer Rede zu lauschen, die so ähnlich wohl auch vor der versammelten Antifa Kreuzberg gehalten werden könnte, ohne, dass es zu Tumulten käme.

Zugleich setzt die Rede – weil sie aus dem Munde des Chefs eines Industriekonzerns mit 13 Milliarden Euro Jahresumsatz und 33.000 Mitarbeitern in 100 Ländern kommt – auch einen neuen Maßstab in der Flüchtlingsdebatte.

Engel sagt Sätze wie: „Deshalb macht die Unterscheidung von Flüchtlingen nach politischen oder wirtschaftlichen Motiven der Flucht eigentlich wenig Sinn.“ (Hier das Manuskript seiner Rede, an das er sich über weite Strecken wörtlich gehalten hat.) Man solle aufhören mit der Scheindiskussion, wonach man Flüchtlinge nach Quoten in Europa verteilen könnte, „so wie Armeen am grünen Tisch“. Die von Bundesregierung und EU-Kommission aktuell vertretene Forderung wischt er beiseite und erklärt, dass der Ungar Viktor Orbán auf unabsichtliche Weise sogar Recht gehabt habe, als der mit zynischer Absicht sagte, die Flüchtlinge seien nicht sein Problem, sondern unseres.

Unter Genossen: Evonik-Chef Klaus Engel (Mitte) im "China Club" mit dem ehemaligen Innenminister Otto Schily (links) und dem ehemaligen Finanzminister Peer Steinbrück (beide SPD).
Unter Genossen: Evonik-Chef Klaus Engel (Mitte) im "China Club" mit dem ehemaligen Innenminister Otto Schily (links) und dem ehemaligen Finanzminister Peer Steinbrück (beide SPD).

© Hardenberg Concept (Promo)

„Die Leute, die kommen, wollen nicht nach Ungarn, Estland oder Dänemark, sondern nach Deutschland“, sagt Engel. Und er könne das gut verstehen.

Der ehemalige Bundesinnenminister Otto Schily sitzt in der ersten Reihe am Rand links. Oder – vom Redner aus gesehen – ganz rechts außen. In der letzten Reihe, auf gleicher Position, sitzt Berlins prominenter Integrationsskeptiker Heinz Buschkowsky, bis April 2015 noch Bürgermeister von Neukölln. Mit dem ehemaligen Bundesfinanzminister und Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück kommt später sogar noch ein eher nicht sozialromantisch veranlagter Sozialdemokrat vorbei.

Engels Worte lauschen auch Berlins einst Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) und der ehemalige Entwicklungsminister Dirk Niebel von der FDP, mittlerweile in Diensten der Waffenschmiede Rheinmetall. Engel hätte sich ein leichteres Publikum für seine Thesen suchen können.

These: Berlins Siegessäule wirkt so wie die Freiheitsstatue in New York

Die Siegessäule in Berlin-Tiergarten: Deutschland wichtigstes Symbol für den Frieden - meint Evonik-Chef Engel.
Die Siegessäule in Berlin-Tiergarten: Deutschland wichtigstes Symbol für den Frieden - meint Evonik-Chef Engel.

© imago/Stefan Zeitz

Er verweist auf die USA, das Einwanderungsland per se, das in diesem Jahr erstmals von Deutschland überholt werden dürfte. Amerika definiere sich über das Versprechen der Freiheit. Die Freiheitsstatue im Hafen von New York habe über Generationen die Einwanderer begrüßt. Deutschland definiere sich über das Versprechen des Friedens, sagt Engel. Auf der Suche nach dem deutschen Pendant zur Freiheitsstatue findet er die Siegessäule im Tiergarten, „Goldelse“, wie der Berliner sagt, erbaut ab 1864.

„Einst als triumphale Geste des preußischen Militarismus gebaut und von Hitler als Symbol deutscher Überlegenheit und siegreicher Kriege inszeniert, hat sich die symbolische Bedeutung der Siegessäule deutlich verschoben“, meint er. Er verweist auf die Säule in Wim Wenders Klassiker „Der Himmel über Berlin“ als Landeplatz für: Engel – was für den ersten und letzten Lacher der Rede sorgt.

Die Säule sei das Markenzeichnen der Loveparade gewesen, die Schirmherrin über die Fans der Fußball-WM 2006. Zwei Jahre später habe Barack Obama dort seine Visionen von der Welt und der Zusammenarbeit erklärt. „Die Siegessäule repräsentiert den Wandel Deutschlands: Sie wendet sich ab von Dunkeldeutschland und steht heute für Toleranz und Friedenswille“, sagt Engel. „Womöglich haben ja viele Flüchtlinge, die sich auf den Weg nach Deutschland machen, dieses Bild vor Augen“.

In Anlehnung an den „American Dream“ beschwört Engel im China Club den „German Dream“, sagt: "Unser Traum ist die Soziale Marktwirtschaft, die jedem die Chance gibt, durch Bildung und Qualifikation den sozialen Aufstieg zu meistern und an der Gesellschaft und Kultur teilzuhaben“.

Otto Schily ist der erste, der sich regt. Es stimme schon, ohne polnische Zuwanderer, wäre Deutschland heute nicht so gut im Fußball. „Aber das Thema lässt sich nicht unilateral erklären“, führt der 83-Jährige aus. Nur ein bis zwei Prozent der Ankommenden seien tatsächlich Asylberechtigte. „Ich bin ja dafür, dass wir die retten, aber je mehr wir retten, desto mehr werden sich auf den Weg machen.“ Zwei Drittel kämen aus „wirtschaftlichen und sozialen“ Motiven. Schily warnt davor Ländern wie dem Kosovo die besten Köpfe zu nehmen.

In der letzten Reihe ist Heinz Buschkowsky, der der „Bild“-Zeitung zuvor „6 Fehler, die die Politik jetzt nicht machen darf“ für die Freitagsausgabe zum Abdruck übermittelt hatte, derweil weggeschlummert. Zu Engels Thesen möchte er auch auch am späteren Abend auf Nachfrage „lieber nichts“ sagen.

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