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Berlin: Josef Meyer (Geb. 1965)

Sie hat Politik gemacht, er hat sie bewacht: die Linke und der Polizist

Sie nannte ihn „tanzendes Reh“, weil seine Fitnesswerte immer so gut waren, aber eigentlich war er ein Bulle von Mann, ein sehr leichtfüßiger Bulle allerdings, mit einem sehr herzigen Wesen.

Josef kam vom Land, Vechta bei Cloppenburg, das siebte von acht Kindern, die Mutter eine Seele von Mensch, der Vater seit fast 40 Jahren tot.

Alle Kinder bekamen ihre Chance, auch Josef hätte es sich schnell bequem machen können, Bäckerlehre, Häuschen bauen, aber das war nicht so seins, kleine Brötchen backen, er hatte Fernweh. Er ging zum Bundesgrenzschutz, was sein Gefühl für gutes Timing bewies. Sein erster Auslandseinsatz führte ihn nach Prag, just als die Botschaft von DDR-Flüchtlingen besetzt wurde. Im Jahr darauf kam er an die Botschaft nach Bagdad, gerade rechtzeitig um bei der Evakuierung mitzuhelfen. Und kurz nach dem Putsch gegen Gorbatschow hatte er seinen dritten Auslandseinsatz, in Moskau.

Das Beste dort: Er lernte Dana kennen. Sie war Studentin der Philosophie, kam aus der ehemaligen DDR und war nicht auf den Mund gefallen. Ihr gefiel sein Lachen, ihm gefiel an ihr fast alles. Er wollte immer eine schlaue Frau, weil er wusste, dass ihm einiges an Bildung fehlte, was sie nun gemeinsam nachholten. Er war auf alles neugierig, auch wenn ihm nicht alles gefiel. Von Opern bekam er Ohrenschmerzen, aber Ballett fand er toll, und er hatte einen unglaublich guten Blick für Malerei. Er liebte die Impressionisten, was ein wenig verwundert, denn sein Farbensinn bei der Auswahl seiner Bermuda-Shorts war eher expressionistisch. Auch bei der Auswahl seiner Sonnenbrillen hatte er nicht immer ein glückliches Händchen, und sie hat ihm dennoch einen Antrag gemacht, mit den kargen, aber durchaus poetisch gemeinten Worten: „Es wird Zeit“. Das fand er auch.

Die Küche war das Zentrum der Wohnung, 2,20 Meter maß der Esstisch, Gäste waren immer willkommen. Rouladen für zwei zu schmoren lohnt nicht. Streit gab es selten zwischen den beiden, schon gar keinen politischen, obwohl sie bei der Linken war und er sich zur Polizei des Bundestages hatte versetzen lassen, und sie nun beide täglich denselben Arbeitsweg einschlugen. Sie hat Politik gemacht, er hat sie bewacht. Linke und Polizisten sind nicht unbedingt natürliche Freunde, aber ein echter Katholik ist sowieso immer links, frotzelte sie. Und er hatte ja durchaus seine eigene Meinung, was Vorratsdatenspeicherung oder die Freigabe von Drogen anbelangte. Und mit den Marathonkumpels von den „Roten Socken“ war er ohnehin im Gleichschritt. Als er 40 wurde, ist er das erste Mal die volle Distanz gelaufen, in 3 : 58, was eine ziemlich gute Zeit für einen Späteinsteiger ist. Er lief in Altenburg, er hat das „schönste Ziel der Welt in Schmiedefeld“ erreicht und steppte wie ein Bär den Treppenmarathon in Radebeul, 39 700 Stufen, 8848 Höhenmeter in 100 Runden, die er in der Staffel mit den Kollegen seiner Frau erklomm.

„Mein Lieblingsirrer“, so ihr Kosename nach solchen Aktionen. Sein Laufstil war auch durchaus ungewöhnlich: Er schnaufte, er keuchte, er wechselte nach einem nicht erkennbaren Plan das Tempo, er lachte, wenn anderen das Lachen längst vergangen war. Sie wussten, was sie aneinander hatten, auch wenn sie den Jahrestag immer vergaßen. Es sollten ja noch so viele kommen. Noch so viele Feste in Portugal, noch so viele Wanderungen auf La Palma, noch so viele Läufe in aller Welt.

Der Schlaganfall fällte ihn wie ein Axthieb aus heiterem Himmel. Aus dem heiteren Himmel Palmas, wo sie auf die Osterprozession warteten. Sein letzter Wille: Nimm die Papptüte für die Asche, wenn es soweit ist, und versenk mich in einem anonymen Grab, aber feiert noch mal richtig in meinem Namen. Er wollte eine fette Abschiedsparty, und die hat er gekriegt. Wie er eigentlich alles im Leben erreicht hat, was er wollte. Weil er immer das richtige Tempo eingeschlagen hat, das ihm gemäße. Nur mit dem Sterben hat er sich etwas zu sehr beeilt.

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