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CDU gegen CSU gegen SPD: Zerbricht die Koalition an der Flüchtlingspolitik?

Die Ansichten werden immer gegensätzlicher, die Töne immer schärfer – die Flüchtlingskrise setzt die Bundesregierung unter enormen Druck.

Von Robert Birnbaum

In der CSU gibt es solche und solche. Andreas Scheuer gehört zur ersten Kategorie, allein von Berufs wegen. Als CSU-Generalsekretär hat er die Stimme seines Chefs zu sein, und weil die grad schrill klingt, schrillt Scheuer auch. Kaum warnt Kanzleramtschef Peter Altmaier in Berlin vor dem Ruf nach schnellen Lösungen in der Flüchtlingskrise, hält Scheuer aus München dagegen. „Das Einzige, was wir in dieser chaotischen Situation nicht haben, ist Zeit und Geduld“, lässt der CSU-General wissen. „Notlagen erfordern schnelle Entscheidungen und entschlossenes Handeln!“ Bayern wisse, welche Menschenmassen sich auf die Grenze zubewegten. „Diese Realität muss jetzt in Berlin endlich ankommen!“

Da ist er wieder, der CSU-Sound dieser Tage: Die in Berlin sind zu blöd zu kapieren, was läuft. Nun wird Scheuers Ungeduld vielleicht dadurch bestärkt, dass rund um die Grenzstadt Passau sein Wahlkreis liegt. Der von Manfred Weber allerdings auch. Der CSU-Chef von Niederbayern und Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament gehört trotzdem zur zweiten Kategorie der Christsozialen. Weber hat dem Deutschlandfunk ein bemerkenswertes Interview gegeben, mit einer Quintessenz: „Was Horst Seehofer auf den Tisch legt, ist weniger Drohgebärde, sondern schlicht und einfach ein Hilfeschrei.“

Der Satz ist so unaufgeregt wie spektakulär. Er lässt aus allen Tartarenmeldungen über ein drohendes Ende der Koalition die Luft raus – eine „Debatte zur Unzeit“, findet Weber, es gehe um praktische Problemlösungen. Zugleich bittet der Satz darum, Seehofers Anliegen ernst zu nehmen. Auf Dauer könne das, was jetzt passiert, keiner durchstehen, weder Bayern noch Deutschland. „Die Drohgebärden“ – der Christsoziale wiederholt es – „sind ein Hilfeschrei.“

Ob Seehofer diese psychologische Ausdeutung seiner Ultimaten und „Notwehr“-Drohungen gefällt, steht dahin; objektiv helfen könnte sie ihm. Denn der CSU-Chef kämpft mit einem Problem, das er sich selbst geschaffen hat. Seehofer hat sich seit Jahren schon aus vergleichsweise sehr viel nichtigeren Anlässen – Maut! Betreuungsgeld! Strommasten! – in wüstem Löwengebrüll gefallen. Der Krawall war immer bloß Taktik. Da fällt es schwer zu glauben, dass diesmal echte Not dahinter stecken könnte.

Entsprechend unernst fallen Reaktionen aus der Schwesterpartei aus. „Na ja, ich liege jetzt nicht nachts schlaflos in den Kissen deshalb“, spottet die CDU-Vizevorsitzende Julia Klöckner über Gerüchte vom Koalitionsbruch. Klöckner hat sich für ihren Wahlkampf als Herausforderin in Rheinland-Pfalz ja auch Heiner Geißler als Berater geholt. Der alte CDU-Ex-General kann ihr aus erster Hand erzählen, wie schnell 1976 die Kulisse von Kreuth zusammenbrach. Damals reichte Helmut Kohl die Drohung, mit der CDU in Bayern einzumarschieren, um allen Selbständigkeitsgelüsten der CSU den Garaus zu machen.

Ganz und gar glaubt übrigens offenbar auch Weber nicht, dass seinen Seehofer allein die Verzweiflung treibt. In der Problembeschreibung stimmt er dem Parteichef zwar zu – man befindet sich in einer „Notsituation“ und stoße an Kapazitätsgrenzen, speziell in Bayern, aber im Grunde in ganz Deutschland. Also: „Es kann nicht sein, dass jeder, der anklopft, auch in Europa aufgenommen wird.“

Seehofers Schwarze-Peter-Spiel gegen Angela Merkel aber spielt der CSU-Mann nicht mit. Im Gegenteil: So berechtigt der Hilfeschrei, so wichtig „das Mutmachen der Kanzlerin, dass wir die Aufgaben auch packen, wenn wir gemeinsam anpacken“. Beides gehöre zusammen.

Merkel brauche auch „Rückenwind“ für ihr Agieren auf der europäischen Ebene. „Es gibt definitiv keine einzelne deutsche Antwort auf diese Herausforderung“, mahnt Weber. „Wir werden das als Europäer entweder gemeinsam schaffen, oder wir werden es nicht schaffen.“ Sicherung der Außengrenze der EU, Absprachen mit der Türkei über eine Aufteilung der Flüchtlinge, Geld für Jordanien und Libanon, Rückführung abgelehnter Asylbewerber auch nach Afghanistan, hierzulande die Einrichtung von Transitzonen. „Stellschrauben einzeln abarbeiten“, empfiehlt Weber. „Schritt für Schritt.“

So unaufgeregt kann man das also auch sagen als Spitzenkraft der CSU. In der Sache liegt er mit seinem Parteichef überhaupt nicht auseinander. Seehofer hat neulich im ZDF die gleichen Stellschrauben aufgezählt und Zäunen, Asylrechtsänderungen und ähnlichen Radikalideen eine klare Absage erteilt. In der Sache fällt dem Ober-Bayern nichts anderes ein als denen in Berlin, die er tagtäglich schmäht. Es spricht also viel dafür, dass er nach den zwei Koalitionsgipfeln am Wochenende die zweite CSU-Langspielplatte auflegt: „Ohne uns wär’ nichts passiert.“

Bis zur gelassenen Sicht eines Frank-Jürgen Weise dürfte es Seehofer trotzdem nicht mehr schaffen. Der Chef der Arbeitsagentur, dem jetzt auch das Migrationsamt BAMF untersteht, sieht in den vielen jungen Flüchtlingen nämlich eine „Bereicherung unserer Arbeitswelt und unserer Gesellschaft – dass da nicht überall ältere graue Herren durch die Gegend laufen und langsam mit dem Auto auf der Autobahn rumfahren!“

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