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Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU, l-r), Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf einem Archivbild vom 08.05.2015.

© dpa

Flüchtlingskrise: Symbolik spielt an diesem Wochenende eine große Rolle für die Koalition

Der Krach in der Koalition um die Flüchtlingskrise könnte an diesem Wochenende entschärft werden – wenn es alle wollen.

Von Robert Birnbaum

Wenn es bloß um die Sache ginge, sagt einer aus der Bundesregierung, dann wäre alles ziemlich einfach bei den zwei koalitionären Krisentreffen am Wochenende. Die Sache – das wären in erster Linie die ominösen „Transitzonen“ für Flüchtlinge in Grenznähe. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) hat vor einer Woche eine Grundsatzeinigung mit der SPD verkündet. Mittlerweile zeichnet sich ein Konzept ab, das den Anliegen aller Seiten gerecht werden kann.

Es sieht grob gesprochen vor, dass künftig alle ankommenden Flüchtlinge in einigen Aufnahmeeinrichtungen registriert und zugleich vorsortiert werden. Wer wahrscheinlich in Deutschland bleiben kann, wird gleich bundesweit weiterverteilt in die Erstaufnahmen der Länder. Bei dem kleineren Kreis derer, die höchstwahrscheinlich kein Asyl in Anspruch nehmen können, würde das Verfahren an Ort und Stelle absolviert, gerichtlicher Einspruch und Abschiebung bei Ablehnung eingeschlossen.

In Haft nehmen müsste man die Menschen nicht. Ein simpler Kniff soll der SPD entgegenkommen und trotzdem verhindern, dass Bewerber sich dem Verfahren entziehen: Eine „Flüchtlingskarte“, als Chipkarte oder auf Papier. Nur wer diese Karte vorweisen kann, soll erweiterte Asylbewerber-Leistungen in Anspruch nehmen dürfen – also etwa das Taschengeld. Damit entfiele die Möglichkeit, ein aussichtsloses, aber langwieriges Asylverfahren als Verdienstmodell zu nutzen.

Ginge es also nur um diese Sache, wenn sich am Samstag erst die Partei- und Fraktionsspitzen der Union und am Sonntag dann Angela Merkel, Horst Seehofer und Sigmar Gabriel treffen – man käme rasch zusammen. Die CSU-Landesgruppe lässt am Freitag eine Reihe weiterer Forderungen kursieren. Aber die Idee, alle Flüchtlinge ohne gültige Ausweispapiere gleich an der Grenze abzuweisen, dürfte um so weniger Aussicht haben, je wirkungsvoller sie wäre. Merkel müsste dann nämlich die gerade erst erzielten Absprachen mit den übrigen Ländern der Balkanroute aufkündigen.

Die CSU-Forderung wiederum, den Familiennachzug vorerst auszusetzen, hätte allenfalls symbolische Wirkung – faktisch dauern die über deutsche Botschaften und Konsulate abgewickelten Nachzugverfahren schon heute so lange, dass auf absehbare Zeit von einer zweiten Flüchtlingswelle keine Rede sein kann.

Die Koalitionäre sind alle auf dem Baum

Aber Symbolik spielt eine große Rolle an diesem Wochenende. Das Hauptproblem, seufzt ein Unionspolitiker, der die Vorgänge aus der Nähe beobachtet, liege wahrscheinlich darin, „wie die alle wieder von den Bäumen kommen“.

Am höchsten im Geäst hockt der CSU-Chef. Seehofer hat von dem Tag an, an dem Merkel die Grenze für die Ungarn-Flüchtlinge öffnete, gegen die Kanzlerin geschossen. Daran ärgert Merkels Anhänger besonders, dass der Ober-Bayer bis heute so tut, als könne das Wort „Obergrenze“ aus dem Mund der Regierungschefin die Flüchtlingsströme stoppen. Dass Merkel seit Wochen nichts anderes mache, als Wege zur Begrenzung zu finden, die nicht ein Europa der Stacheldrahtzäune und ertrunkene Flüchtlinge im Grenzfluss Inn zur Folge haben, gehe in Seehofers Attacken völlig unter.

Merkels Verschiebungen im Tonfall sind da auch nicht leichter herauszuhören. Dabei ist die CDU-Chefin vom Ast der hohen Willkommenskultur längst sachte heruntergeklettert. „Wir können nicht alle aufnehmen“ hat sie erst neulich bei einem Bürgerdialog gesagt.

Bei der SPD nehmen sie den Krach im Unionslager dankbar auf. Er lässt die Flüchtlingskrise vollends als Problem der CDU-Kanzlerin und ihres CSU-Oppositionsführers erscheinen. SPD-Chef Sigmar Gabriel beschränkt sich gerne auf die staatsmännische Warnung, „Erpressung und Beschimpfung“ bedrohten die Handlungsfähigkeit der Regierung.

Sein Statthalter in Bayern geht weiter. Seehofer hatte die Opposition für Freitag zu einem bayerischen Flüchtlingsgipfel geladen. Auf eine Einheitsfront gegen Berlin dürfte er sowieso kaum gehofft haben. SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher und die Grüne Margarete Bause nutzen den Termin aber sogar dazu, ein böses Gerücht zu schüren.

Warum stauen sich in Passau die Flüchtlinge, während in München Plätze leer bleiben?

Das kursiert seit Tagen durch Bayern: Es sei doch komisch, lautet es, dass sich in Passau die Flüchtlingsströme stauten, während in München Bahnsteige und Hallen leer stehen. Passaus Bürgermeister Jürgen Dupper (SPD) hat auch schon moniert, dass nicht die Grenze das Nadelöhr sei, sondern die langsame Weiterleitung. Rinderspacher spricht den Verdacht offen aus: „Bilder mit frierenden Flüchtlingen auf der Inn-Brücke“ könnten der Staatsregierung ja vielleicht lieber sein als „Willkommensbilder in München“.

Mit den Bildern von Frierenden soll jetzt aber Schluss sein. In der Grenzregion ging der Strom der Ankömmlinge aus Österreich erstmals seit Tagen so zurück, dass plötzlich Plätze in Unterkünften frei blieben. Österreich baut feste Zelte auf seiner Seite der Grenze, damit nicht weiter Menschen nachts auf nassen Wiesen lagern müssen. Es hat zudem versprochen, an fünf Grenzübergängen künftig nicht mehr als je 50 Ankömmlinge pro Stunde nach Bayern weiterzuleiten.

Und Seehofer verkündet als Ergebnis des Landtagsgipfels, dass man Flüchtlinge schneller von Passau in ganz Bayern verteilen werde – „unter Einschluss“ der Landeshauptstadt.

Merkel übrigens lässt vor dem Berliner Gipfelwochenende bloß knapp wissen, dass sie ihre Arbeit „mit Nachdruck“ tue – in China, wo sie danach gefragt wurde, genauso wie zu Hause. Ihr Terminkalender für die nächste Woche liest sich wie die nähere Erläuterung dazu: Am Dienstag Gespräch mit den kommunalen Spitzenverbänden, ausdrücklich auch denen aus Bayern. Am Donnerstag Treffen mit den Länder-Ministerpräsidenten. Natürlich auch mit dem aus Bayern.

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