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Flüchtlinge werden im Mittelmeer von Bundeswehrsoldaten zu der Fregatte "Schleswig-Holstein" gebracht. Sie ist eines von zwei Schiffen der deutschen Bundeswehr, die als Teil der EU-Mission "Eunavfor Med" Flüchtlinge im Mittelmeer rettet.

© Gioia Forster/dpa

Debatte zur Zukunft der Bundeswehr: Beschützen statt Bekämpfen

Sinnvoller als "das Böse" zu bekämpfen, ist es, Chemiewaffen zu zerstören oder Flüchtlinge zu retten, sagt die Verteidigungspolitikerin der Grünen.

Die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehrbekämpften in Afghanistan im Rahmen eines Nato-Einsatzes über zehn Jahre lang die Aufständischen, jetzt sollen sie die Schlepper im Mittelmeer jagen. Sie sicherten aber auch die Vernichtung von Chemiewaffen, in Liberia halfen sie in der Ebola-Krise und im Mittelmeer retteten sie Flüchtlinge. Zurzeit bringen sie die Asylsuchenden in Deutschland in leer stehenden Kasernen unter, bilden in Mali in einer EU-Mission die dortigen Streitkräfte aus und im Südsudan überwachen sie im Rahmen der Vereinten Nationen die Umsetzung des Waffenstillstands und schützen die Zivilbevölkerung. Mit der klassischen Landesverteidigung, wie man sie sich vor 60 Jahren bei der Gründung der Bundeswehr vorgestellt hat, haben die heutigen Aufgaben schon lange nichts mehr zu tun.

Umso ärgerlicher ist es, dass sich die Bundesregierung seit Jahren den zentralen Fragen verweigert: Was sind eigentlich die Aufgaben der Bundeswehr für die Zukunft? Was haben wir aus den Auslandseinsätzen der letzten Jahre gelernt?

In einer unfriedlichen Welt und vor dem Hintergrund einer ehrlichen und schonungslosen Bilanz der Militäreinsätze der letzten Jahre muss die schwierige Entscheidung getroffen werden: Was soll warum, wo und mit welchen Mitteln getan werden - und was lässt man besser? Klar, niemand kann mit einer Glaskugel alle Krisen und Entwicklungen auf dieser Welt genau vorhersehen. Doch fast alle mit Gewalt ausgetragenen Konflikte haben eine lange Geschichte, die nur allzu oft von der deutschen Außenpolitik vernachlässigt oder sogar ignoriert wurde.

Möchte man Gegner bekämpfen oder Zivilbevölkerung schützen?

Vom Auftrag angefangen über die Erfolgsaussichten bis hin zur Ausrüstung macht es nun einmal einen großen Unterschied, worin die zentralen Aufgaben der Bundeswehr bestehen. Ist es die Abschreckung und innerhalb der Nato die Landes- und Bündnisverteidigung? Will man durch Anti-Terrorbekämpfung versuchen, in einem asymmetrischen Konflikt Gegner zu bekämpfen? Oder will man im Rahmen von zivil-militärischen UN-Friedensmissionen unparteilich die Umsetzung eines Waffenstillstandsabkommens absichern und die Zivilbevölkerung schützen?

Agnieszka Brugger sitzt für die Grünen im Verteidigungsausschuss des Bundestags.
Agnieszka Brugger sitzt für die Grünen im Verteidigungsausschuss des Bundestags.

© privat

Die Entscheidung über die zukünftigen Aufgaben der Bundeswehr ist kein simples„entweder - oder“, sondern die ebenso dringende wie berechtigte Frage nach dem Schwerpunkt des deutschen sicherheitspolitischen Engagements.

So wird man die Bündnisverteidigung nicht ganz aus dem Aufgabenportfolio streichen können. Gleichzeitig wäre es sicherheits- und finanzpolitisch aber völlig irrsinnig, jetzt wieder in eine Kalte-Kriegs-Logik zu verfallen und eine riesige Aufrüstungsmaschinerie anzuwerfen. Doch SPD und Union überschlagen sich fast schon mit leuchtenden Augen bei der Forderung nach mehr Panzern.

Sich vor dieser Frage zu drücken und von allem irgendwie ein bisschen zu machen, kann nicht funktionieren. Dafür ist die gescheiterte Bundeswehrreform mit ihrem Schlagwort „Breite vor Tiefe“ der beste Beleg. Denn so ist am Ende das benötigte Gerät nur in unzureichender Anzahl und mangelhafter Qualität vorhanden, während an anderer Stelle für mehrere Milliarden Systeme beschafft werden, die auf absehbare Zeit keine sicherheitspolitische Notwendigkeit besitzen und nur mit geringer Wahrscheinlichkeit eingesetzt werden. Braucht die Bundeswehr jetzt wirklich dringend Kampfdrohnen, einen niegelnagelneuen Leopard-Panzer oder nicht doch eher mehr (funktionstüchtige) Hubschrauber und geschützte Fahrzeuge auf dem höchsten Niveau? Ist das Raketenabwehrsystem Meads wirklich sicherheitspolitisch notwendig oder sind nicht doch eher bessere Aufklärungssysteme und Suchgeräte für Sprengfallen nötig?

Der aktuelle Weißbuch-Prozess des Verteidigungsministeriums bietet die Chance, Fehler rückgängig zu machen und die überfällige Debatte endlich zu führen. Die Frage nach den Aufgaben der Bundeswehr muss transparent, konkret und ehrlich beantwortet und der Gesellschaft muss dabei die Möglichkeit geben werden, sich breit an dieser Diskussion zu beteiligen. Denn nicht zu Unrecht sind Militäreinsätzen ein hoch umstrittenes Thema in der Gesellschaft und in der Politik. „Wofür eigentlich Bundeswehr?“ ist eine Frage, die ständig neu beantwortet werden muss.

Militärisch kann man Krisen nur begrenzt eindämmen

Vor dem Hintergrund unserer eigenen wechselvollen Geschichte mit der Bundeswehr und der Friedensbewegung haben wir Grüne selbstkritisch unsere Positionen hinterfragt, intensiv emotional gestritten und gerungen. Wir haben dabei klare Kriterien und enge Grenzen für den Einsatz von Militär entwickelt. Für uns steht fest: Konflikte lassen sich niemals militärisch lösen. Der Einsatz von militärischen Mitteln kann nur unter sehr engen Bedingungen einen begrenzten Beitrag dazu leisten, die Symptome von Krisen tatsächlich einzudämmen, Menschen vor Gewalt zu schützen oder ein gewisses Mindestmaß an Stabilität zu sichern. Vielmehr sind zivile, diplomatische und entwicklungspolitische Antworten entscheidend, um die den Krisen zugrunde liegenden Konfliktursachen effektiv und nachhaltig zu bearbeiten. Wer dies - wie es leider in den letzten Jahren immer wieder geschehen ist – vernachlässigt, schickt die Soldatinnen und Soldaten de facto in einen gefährlichen Einsatz ohne Aussicht auf Erfolg. Auch das ist eine zentrale Lehre aus den Einsätzen der letzten Jahre.

Für uns hat die Bundeswehr zukünftig vor allem eine zentrale Aufgabe: Sie sollte sich viel stärker im Rahmen von breit aufgestellten UN-Friedensmissionen in den Bereichen Gewaltverhütung, Schutz der Zivilbevölkerung und Umsetzung von Waffenstillstandsabkommen engagieren. Es geht dabei nicht um uniformierte Entwicklungshelfer. Auch ein solches Engagement kann für die Soldatinnen und Soldaten hochgefährliche Einsätze beinhalten, in denen sie entsprechend ausgestattet und ausgerüstet sein müssen. Das zeigt die aktuelle Diskussion um die Ausweitung des Mali-Einsatzes. Der ehemalige Generalsekretär der Vereinten Nationen Dag Hammarskjöd brachte es folgendermaßen auf den Punkt: „Peacekeeping is not a job for soldiers, but only a soldier can do it.”

Ursula von der Leyen verweigert die inhaltliche Debatte zugunsten teurer Ausrüstung

Mit Blick auf Aufgaben wie die Seenotrettung, die Unterstützung bei der Flüchtlingsunterbringung und dem Engagement bei der Ebola-Krise sprach die Verteidigungsministerin kürzlich von „atypischen Aufgaben“ für die Bundeswehr. Aber sind das nicht viel sinnvollere Aufgaben für unsere Streitkräfte, als „das Böse oder die vermeintlich Bösen“ in anderen Ländern der Welt bekämpfen zu wollen und damit fast zwangsläufig immer zu scheitern?

Die Bundeswehr im 21. Jahrhundert sollte Menschen schützen und sie vor Gewalt und Not bewahren, wo es machbar, vertretbar und verantwortbar ist: Wenn sie auf hoher See zu ertrinken drohen oder wenn niemand sie vor der Gewalt marodierender Milizen schützt, weil es keine staatlichen Strukturen gibt. Dieser Auftrag wäre politisch und gesellschaftlich konsensfähiger und verspricht anders als die klassischen Kampfeinsätze – das sieht man aus der Erfahrung der letzten Jahre und den großen im Kern gescheiterten Militärmissionen in Afghanistan, in Libyen und im Irak – auch mehr Aussicht auf Erfolg.

Leider verweigert sich Frau von der Leyen und mit ihr die große Koalition bisher all diesen Debatten und bringt lieber die nächsten teuren Beschaffungsprojekte ohne sicherheitspolitischen Kompass auf den Weg. So zementiert und verschärft sie die aktuellen Probleme bei der Bundeswehr, anstatt sie zu lösen.

Ich finde, diese Diskussion sind wir als Politikerinnen und Politiker nicht nur der deutschen Öffentlichkeit, sondern auch den Soldatinnen und Soldaten schuldig, die das Parlament dann im Fall des Falles in gefährliche Einsätze entsendet.

Mehr Debattenbeiträge zur Zukunft der Bundeswehr finden Sie auf unserem Debattenportal

Agnieszka Brugger

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