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Lippenbekenntnis nach außen oder ernstgemeinte Diversity-Bemühungen? Große Firmen fahren inzwischen gerne auf dem CSD mit - hier die BVG auf der Berliner Parade.

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Diskriminierung im Beruf: Für Lesben und Schwule arbeitet es sich im Großbetrieb besser

Diskriminierung am Arbeitsplatz aufgrund sexueller Identität nimmt etwas ab - doch noch immer berichten viele Mitarbeiter über Mobbing und verhinderte Karrierechancen. Das zeigt eine neue Studie.

Großkonzerne mögen anonymer sein als Kleinstunternehmen mit einer Handvoll Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Doch für lesbische, schwule und transgeschlechtliche Menschen ist die Atmosphäre in großen Firmen anscheinend offener als anderswo. Den Schluss lässt eine Studie des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) in Kooperation mit der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld zu.

Ein bis zwei Drittel kennen eine geoutete Führungskraft

Von den Befragten in Betrieben mit mehr als 50 000 Mitarbeitern sind demnach 72 Prozent sowohl im privaten wie im beruflichen Umfeld geoutet – während es bei Firmen mit bis hundert Kolleginnen und Kollegen 62 Prozent sind. Bei Kleinstunternehmen kennen auch nur ein Drittel der Befragten eine geoutete Führungskraft, während es bei Großunternehmen zwei Drittel sind.

Insgesamt ergibt die Untersuchung zum Thema Diversity-Management ein gemischtes Bild, was die Akzeptanz von queeren Arbeitskräften in Betrieben angeht. Zwar erleben diese im Vergleich zu vor drei Jahren tendenziell weniger Diskriminierungserfahrungen. Dennoch berichtet jede/r Dritte/r von konkreten Diskriminierungen wie Mobbing oder Belästigungen. Besonders betroffen sind Trans-Personen. Immerhin ein Viertel aller Befragten gibt an, ihre sexuelle Identität habe "negative" oder "eher negative" Auswirkungen auf ihre Karrierechancen.

Sexuelle Identität und Arbeiten - das gehört zusammen

Nur 58 Prozent haben noch nie Diskriminierungserfahrungen aufgrund ihrer sexuellen Identität gemacht. Unternehmen würden in großem Maße noch nicht den Anforderungen ihrer LGBT-Arbeitnehmerinnen und –Arbeitnehmer gerecht werden, erklären Hagen Lindstädt und Alexander Merklein, die Autoren der Studie. Diese basiert auf mehr als 350 Antworten von LGBT-Arbeitnehmern, wobei 53 Prozent angaben, schwul zu sein, 35 Prozent lesbisch, sieben Prozent bisexuell und fünf Prozent Transsexuell/Transgender. Für die meisten sind sexuelle Identität und Arbeitsleben keine getrennten Welten: Lediglich 15 Prozent sagen, sie könnten (und würden) das voneinander trennen. Gut ein Viertel gibt an, ihnen sei bei der Wahl des Arbeitsgebers wichtig gewesen, dass dieser sich mit der Zielgruppe LGBT-Mitarbeiter sichtbar auseinandersetzt.

Dass Diversity-Management Firmen wichtig ist, betonen sie immer wieder. Gelebte Vielfalt macht schließlich Unternehmen stark. Dennoch klaffe zwischen den Diversity-Zielen und dem Status Quo in Firmen oft eine Lücke, sagen die Autoren: Oft nutzen Firmen Diversity-Management nach außen mehr aus Imagegründen, anstatt wirklich wirkungsvolle Maßnahmen für Veränderungen zu ergreifen.

Diskriminierungserfahrungen von LGBT-Mitarbeitern am Arbeitsplatz.
Diskriminierungserfahrungen von LGBT-Mitarbeitern am Arbeitsplatz.

© KIT

Tatsächlich ist die Zufriedenheit der Studienteilnehmer bei dem Thema sehr gering. Fast zwei Drittel der LGBT-Befragten sagen, sie seien damit in ihrem Betrieb nicht zufrieden - unter Heterosexuellen ist die Unzufriedenheit übrigens ähnlich hoch. "Es ist schwierig, Diversity in dem Kopf eines Vorstandes zu platzieren. Es gibt viele Egomanen, Machos, Choleriker", zitiert die Studie den Angestellten bei einem großen Automobilzulieferer.

"Paralleluniversen" im Betrieb

Die Fördermaßnahmen, von denen die Befragten berichten, sind denn meistens auch Maßnahmen, die Firmen aufgrund des Antidiskriminierungsgesetzes ohnehin auf gleichgeschlechtliche Partnerschaften ausweiten sollten: Wie Elternzeit, Altersvorsorge und Gesundheitsvorsorge für die Partnerin oder den Partner. Immerhin die Hälfte gibt an, ihr Unternehmen habe eine internes Netzwerk für queere Mitarbeiter - wobei die Umfrage womöglich auch leichter die LGBT-Arbeitnehmer erreichte, die ohnehin durch die entsprechenden Netzwerke verknüpft sind.

Insbesondere bei diesen Diversity-Gruppen ist der Unterschied zwischen großen und kleinen Firmen enorm: Von denen, die in Konzernen arbeiten, sagen 82 Prozent, sie könnten an einem solchen Netzwerk teilnehmen. Bei kleinen Firmen gibt es das dagegen praktisch gar nicht. Insgesamt kommt der Anstoß für solche Gruppen oft aus der Runde der queeren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selber: Es handele sich oft um "Paralleluniversen" im Betrieb, heißt es.

Von speziellen Beratungs- oder Mentoringprogrammen berichten dagegen weniger als 15 Prozent der Befragten. Dabei würden sie sich das am meisten wünschen. Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, rief anlässlich der Studie private und öffentliche Unternehmen auf, stärker auf Diversity Management zu setzen: "Vielfalt zahlt sich aus - für die Beschäftigten, aber auch für den Unternehmenserfolg."

Als weltweit bester Arbeitgeber für LGBT-Arbeitskräfte gilt übrigens der IT-Konzern IBM - vor der Bank BNP Paribas und Shell. Das ist das Ergebnis einer vor kurzem vorgestellten Umfrage der Plattform "Workplace Pride" (hier geht es zur gesamten Studie). Als einziges deutsches Unternehmen kam Daimler unter die Top Ten. Untersucht wurden hier vor allem global agierende Konzerne. Die Bedingungen hätten sich im Vergleich zur letzten Umfrage vor einem Jahr verbessert, heißt es - aber auch hier kritisieren die Autoren, dass viele Antidiskriminierungsmaßnahmen eher auf dem Papier bestehen, anstatt in der Praxis umgesetzt zu werden.

Dieser Text erscheint auf dem Queerspiegel, dem queeren Blog des Tagesspiegels, den Sie hier finden. Themenanregungen und Kritik gern im Kommentarbereich etwas weiter unten auf dieser Seite oder per Email an:queer@tagesspiegel.de. Twittern Sie mit unter dem Hashtag #Queerspiegel – zum Twitterfeed zum Queerspiegel geht es hier.

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