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Ankunft. Flüchtlinge treffen in der hessischen Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen ein. Weil auch viele Kinder unter sieben Jahren unter den Schutzsuchenden sind, geht das Bundesinnenministerium davon aus, dass 70 000 zusätzliche Plätze in Kitas benötigt werden.

© Boris Roessler/dpa

Flüchtlinge in Deutschland: Den Angehörigen folgen - oder nicht

In welchem Umfang Flüchtlingen der Familiennachzug gewährt wird, ist in der Koalition heftig umstritten. Deshalb verzögert sich die neue Asylgesetzgebung weiter.

Die Verzögerung bei der Umsetzung des neuesten Asylpakets der großen Koalition verärgert die CSU. Da das Kabinett wegen der noch bestehenden Differenzen innerhalb der Bundesregierung am Dienstag keinen Beschluss fassen konnte, wird sich das Verfahren in Bundestag und Bundesrat mindestens bis in den Februar hinziehen. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer machte dafür die SPD verantwortlich. Aus Sicht der Sozialdemokraten sind trotz der Vereinbarung des Koalitionsgipfels Anfang November noch einige Punkte strittig – vor allem aber geht es um den Familiennachzug bei Flüchtlingen, die ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht in Deutschland bekommen.

Bundestagsvizepräsident Johannes Singhammer (CSU) pocht angesichts der hohen Flüchtlingszahlen auf das Aussetzen des Flüchtlingsnachzugs. Es sei „nicht verantwortbar, einen weiteren Familiennachzug zuzulassen und gleichzeitig nicht zu wissen, wo diese Menschen wohnen sollen“, sagte er dem Tagesspiegel. Auch der Bedarf an Kita-Plätzen, bei dem der Familiennachzug noch gar nicht eingerechnet sei, zeige, dass die Situation „so nicht zu bewältigen ist“.

Innenministerium rechnet mit zusätzlichem Bedarf von 70.000 Kitaplätzen

Das Bundesinnenministerium rechnet allein für dieses Jahr damit, dass rund 70.000 Kitaplätze zusätzlich nötig seien und damit 9000 zusätzliche Vollzeitstellen für Betreuer. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) geht in der Antwort auf eine Anfrage Singhammers, die dem Tagesspiegel vorliegt, auch davon aus, dass 2016 durch den Flüchtlingszuzug bis zu 465.000 zusätzliche Hartz-IV-Berechtigte zu erwarten sind. Die Kita-Schätzungen des Innenministers beruhen auf der Annahme, dass bei 800 000 Flüchtlingen nach bisherigen Erfahrungen „rund 110.000 Kinder unter sieben Jahren zu erwarten“ seien. Bei einer Zielbetreuungsquote von 30 Prozent für Kinder unter drei Jahren und 90 Prozent für ältere Kinder komme man auf den geschätzten Zusatzbedarf von 70.000 Plätzen. Bundesweite Prognosen für Schulplätze und entsprechenden Lehrerbedarf gebe es nicht, solche Schätzungen würden in den Ländern vorgenommen.

Zu der von der CSU geforderten Aussetzung des Familiennachzugs bleibt das Innenministerium jedoch vage. Hierzu gebe es keine verlässlichen Zahlen, teilte de Maizière mit. Schätzungen aus der CSU, wonach auf einen Flüchtling drei Nachzugsberechtigte, also auf derzeit 200 000 syrische Flüchtlinge noch einmal 600 000 Familienangehörige kämen, seien aber „deutlich zu hoch“. Schließlich sei es unwahrscheinlich, dass alle anerkannten Flüchtlinge Nachzugsansprüche geltend machten. Aufgrund des Flüchtlingszustroms sei aber gleichwohl von einer „erheblichen Zahl an nachzugsberechtigten Familienangehörigen“ auszugehen.

Die Koalition hatte Anfang November beschlossen, dass Anträge auf Familiennachzug in allen Fällen für zwei Jahre ausgesetzt werden, in denen Flüchtlinge nur subsidiären Schutz genießen. Syrer galten zu dem Zeitpunkt jedoch als Bürgerkriegsflüchtlinge gemäß der UN-Flüchtlingskonvention, die weiterhin Anspruch auf Familienachzug haben. Nach dem Koalitionsbeschluss ordnete de Maizière jedoch an, dass syrische Flüchtlinge in die Kategorie mit subsidiärem Schutz fallen sollen – zur Überraschung der Sozialdemokraten. Die SPD trifft sich in der kommenden Woche zu ihrem Bundesparteitag. Wohl auch deswegen verzögert sich die Umsetzung des neuesten Asylpakets.

Grüne warnen von Beschränkung des Familiennachzugs

Die Grünen lehnen eine Beschränkung des Familiennachzugs ab. „Wer Flüchtlinge von ihren Familien trennt, erschwert die Integration in Deutschland und zwingt noch mehr Frauen und Kinder auf lebensgefährliche Fluchtrouten nach Europa“, sagte Parteichefin Simone Peter dem Tagesspiegel. Bereits heute dauere es viele Monate und teils Jahre, bis Familien über Botschaftsverfahren wieder vereint seien. „Die mangelnde personelle Ausstattung der Visastellen rund um Syrien verschärft die menschliche Not und stellt Flüchtlinge vor eine zermürbende Geduldsprobe“, sagte die Grünen-Chefin weiter. „Wir brauchen mehr Botschaftspersonal und mehr sichere Zugangswege durch Bundes- und Landes-Aufnahmeprogramme.“ Um eine Blockade des Asylpakets durch Länder mit grüner Regierungsbeteiligung im Bundesrat zu verhindern, wurde ein heikler Punkt aus dem Paket genommen – die geplante Leistungskürzung für Flüchtlinge bei einem Verstoß gegen die Residenzpflicht. Dem hätten die Länder zustimmen müssen; in der jetzt geplanten Form wäre das Gesetzespaket nicht zustimmungspflichtig.

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