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Flüchtlinge auf dem Weg von der Notunterkunft nahe der oberösterreichischen Ortschaft Hanging auf dem Weg nach Bayern

© Peter Kneffel/dpa

Update

Wie in der Schweiz und Dänemark: Auch Flüchtlinge in Deutschland müssen Bargeld abgeben

Flüchtlinge werden in Bayern auf Wertsachen und Geld durchsucht - und müssen sie bis auf einen kleinen Selbstbehalt abgeben. Doch nicht in allen Bundesländern ist die Praxis so streng.

Von Matthias Meisner

Flüchtlinge müssen nicht nur in der Schweiz, sondern auch in Deutschland ihr mitgeführtes Bargeld abgeben. Bayern und Baden-Württemberg vollzögen damit Bundesrecht, wonach Asylsuchende zuerst ihr eigenes Vermögen aufbrauchen müssten, berichtet die "Bild"-Zeitung. "Asylbewerber werden bei der Ankunft in den Aufnahmeeinrichtungen auf Dokumente, Wertsachen und Geld durchsucht", sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) dem Blatt. Barvermögen und Wertsachen könnten demnach sichergestellt werden, wenn es mehr als 750 Euro seien.

In der Schweiz müssen Flüchtlinge nach ihrer Einreise alle Vermögenswerte über 1.000 Franken (etwa 914 Euro) an die Behörden abgeben. Die Eidgenossen wenden die Regelung laut Medienberichten lückenlos an. In der Schweiz erlaubt das Asylgesetz den Vermögenseinzug ebenso wie in Dänemark. Die Praxis des skandinavischen Landes hatte internationale Proteste ausgelöst.

Auch in Baden-Württemberg könne die Polizei Vermögen oberhalb von 350 Euro einbehalten, heißt es weiter in dem "Bild"-Bericht. Im Dezember 2015 sei es pro betroffener Person durchschnittlich ein vierstelliger Betrag gewesen. Die Beträge würden später von Städten und Landkreisen mit fälligen Sozialleistungen verrechnet. Dass der Selbstbehalt von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich ist, liegt offenbar daran, dass der Ermessenspielraum der Regelung im Paragraphen 7 des Asylbewerberleistungsgesetzes unterschiedlich ausgelegt wird. Auch gibt es offenbar regional Probleme bei der Umsetzung, weil die Kapazitäten der Behörden erschöpft sind.

Praxis in den Ländern ist unterschiedlich

Ein Sprecherin des nordrhein-westfälischen Innenministeriums sagte: "In der Praxis wird durch die Landeseinrichtungen berichtet, dass der Großteil der Menschen, die zum Beispiel aus Bürgerkriegsländern oder anderen Krisenregionen zu uns kommen, nicht über erwähnenswerte Barmittel verfügt. Nur in seltenen Ausnahmefällen werden Barmittel einbehalten, um damit einen Teil der Unterbringung und Verpflegung der betroffenen Person in der Landeseinrichtung zu finanzieren."

Das sächsische Innenministerium erklärte, die meisten nach Sachsen einreisenden Asylbewerber seien vermögenslos. "Vorhandenes Vermögen wird im Einzelfall abgenommen", sagte eine Sprecherin. Eine diesbezügliche statistische Erfassung existiere jedoch nicht.

Innenminister Markus Ulbig (CDU) sagte dem Tagesspiegel, die Gesetzeslage zur Beteiligung von Asylbewerbern an den Kosten für Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sei "relativ klar". Soweit Einkommen und Vermögen vorhanden seien, müsse der Asylbewerber, abzüglich eines Selbstbehalts für Kosten wie Unterkunft, Verpflegung und Sachleistungen, selber aufkommen - ähnlich wie bei Hartz-IV-Empfängern. "Insofern ist es nur folgerichtig, dass der Rechtsstaat diese Gesetze anwendet und vollzieht."

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), verteidigte die Praxis: "Wer bei uns einen Asylantrag stellt, muss vor der Hilfegewährung grundsätzlich sein Einkommen und Vermögen aufbrauchen", sagte sie. Dazu zähle zum Beispiel auch der Familienschmuck. Als Asylbewerber habe man es mitnichten besser als ein Hartz-IV-Empfänger, sagte Özoguz.

Pro Asyl: Ohne Bargeld selbstbestimmtes Leben kaum möglich

Pro Asyl hingegen hält es für falsch, Flüchtlingen Geldvermögen abzunehmen. Marei Pelzer, Rechtsexpertin der Organisation, sagte dem Tagesspiegel: "Aus humanitärer Sicht ist die Abnahme des Bargeldes auch deswegen abzulehnen, weil in den Erstaufnahmeeinrichtungen das Sachleistungsprinzip generell gilt. Man hält die Menschen also bargeldlos – was ein selbstbestimmtes Leben kaum noch möglich macht." Pelzer warf zudem die Frage auf, was eigentlich bei Asylsuchenden geschieht, die zunächst beispielsweise in Bayern oder Baden-Württemberg Bargeld abgeben müssen, dann aber in ein anderes Bundesland oder auch ins Ausland gehen oder geschickt werden.

Aus Sicht des Deutschen Instituts für Menschenrechte gibt zur Praxis der Einziehung von Geld oder Wertsachen bei Flüchtlingen in der Öffentlichkeit offensichtlich wenig Wissen. Hendrik Cremer, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts, sagte dem Tagesspiegel: "Werden Flüchtlinge bei der Ankunft in Erstaufnahmeeinrichtungen auf Wertsachen und Geld durchsucht, müssen die handelnden Behörden auch erklären, auf welcher Rechtsgrundlage diese Eingriffe in die Menschenrechte gestützt werden. Zudem ist zu erklären, auf welcher Rechtsgrundlage Geld und Vermögenswerte von Flüchtlingen eingezogen werden." Nicht zuletzt müssten all diese Fragen auch den Betroffenen gegenüber erklärt werden.

Linke: Grundrecht Asyl darf nicht mit Kosten verbunden sein

Die Linken-Innenpolitikerin Ulla Jelpke kritisierte das Vorgehen der Polizei als "unverhältnismäßig". Sie sagte dem Tagesspiegel: "Zwar ist es nach dem Gesetz zulässig, eine präventive Sicherheitsleistung zur Begleichung von Verfahrenskosten oder Strafen einzubehalten. Allerdings werden Verfahren wegen unerlaubter Einreise in der Regel nach Stellung des Asylantrages eingestellt. Und Gelder für die Begleichung der Kosten einer späteren Abschiebung einzubeziehen, erscheint mit ebenfalls unzulässig."

Die Bundestagsabgeordnete erklärte weiter: "Wer Asyl beantragt, nutzt ein Grundrecht. Das darf – auch im Ablehnungsfall – nicht mit Kosten verbunden sein." Auch aus sozialrechtlicher Sicht dürfte ihres Erachtens nach das Vermögen eines Flüchtlings nicht einfach von der Polizei eingezogen werden. Schließlich sei es im Asylbewerberleistungsgesetz ja vorgesehen, dass ein Flüchtling erst einmal sein eigenes Geld aufbrauche, bevor er einen Anspruch auf öffentliche Zuwendungen habe.

Grüne warnen vor "Konfiskation in autoritärer Manier"

Der Grünen-Innenpolitiker Volker Beck hält es prinzipiell für richtig, dass Asylbewerber vor dem Bezug von Leistungen eigenes Einkommen und Vermögen aufbrauchen. "Selbstverständlich sind Asylbewerber in Deutschland nicht besser gestellt als Hartz-IV-Empfänger", sagte er dem Tagesspiegel - der Selbstbehalt liege für Hartz-IV-Empfänger deutlich höher. "Die Kosten von Unterkunft und Verpflegung haben Asylbewerber dem Staat zu erstatten."

Beck erklärte weiter, zur Sicherheit müssten die Betroffenen unter Umständen auch Bargeld und Vermögenswerte abgeben - natürlich nur in einem verhältnismäßigen Umfang. "Das heißt nicht, dass der Staat dann einfach den Familienschmuck syrischer Frauen verhökern darf. Ich vertraue aber darauf, dass die Behörden das auch nicht tun." Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass der deutsche Staat "eine Konfiskation in autoritärer Manier betreibt. Deshalb müssen die Maßnahmen und ihre Folgen den Betroffenen verständlich erklärt werden".

Rupert Neudeck: Praxis der Behörden "gröbster Unsinn"

Der Gründer des Hilfsvereins Cap Anamur, Rupert Neudeck, hält es für "den gröbsten Unsinn", Flüchtlinge zu verpflichten, mitgebrachte Wertsachen oder Geld abzugeben, wenn es eine bestimmte Summe überschreite. Diese Regelung zeige die "völlige Hilflosigkeit einer Politik, die der Bevölkerung mal zeigen will, was eine Harke ist", sagte Neudeck im Deutschlandradio Kultur.

Neudeck, der Ende der 70er-Jahre durch die Rettung Tausender vietnamesischer Flüchtlinge bekannt wurde warnte davor, die Asylsuchenden "mit Rührseligkeit zuzudecken". Der größte Fehler, der seit Jahrzehnten bei Flüchtlingen gemacht werde, sei, diese "still zu stellen" und zur Untätigkeit zu verurteilen. Die Flüchtlinge kämen "nicht nur als Notbedürftige zu uns, sondern die haben etwas vor, die wollen sich betätigen, die wollen möglichst einen Beruf lernen, wenn sie jung sind, die wollen möglichst schnell in einen Arbeitsprozess". (mit epd)

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