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CSU-Chef Seehofer hält einen Zuzug von höchstens 200.000 Flüchtlingen pro Jahr für verkraftbar.

© Julian Stratenschulte/dpa

Flüchtlinge in Europa: Obergrenze in Österreich - muss Angela Merkel nachziehen?

Der Beschluss einer Obergrenze für Flüchtlinge in Österreich hat Folgen für Deutschland und Europa. Welche? Fragen und Antworten zum Thema.

Von Robert Birnbaum

Bei der CSU waren sie flugs dabei, auch die ersten Kommentare fielen eindeutig aus: Mit dem Beschluss Österreichs, sich selber Obergrenzen für die Aufnahme von Flüchtlingen zu setzen, werde Angela Merkel eher über kurz als lang gar nichts anderes übrig bleiben, als nachzuziehen. Je genauer man freilich hinsieht, desto unklarer wird, was da eigentlich beschlossen worden ist und was es für die Nachbarstaaten bedeutet. Selbst Deutschlands größtes Boulevardblatt setzte hinter fette Lettern ein genauso fettes Fragezeichen: „Die Wende?“, titelte „Bild“.

Wie kam es zu dem Beschluss in Österreich?

In einem sind sich Beobachter in Wien und Berlin einig: Der Beschluss soll zunächst einmal die Spannungen in der großen Koalition Österreichs verringern. Die Zustände dort sind nicht weit von den Wortkriegen in der deutschen Koalition entfernt: Die konservative Österreichische Volkspartei (ÖVP) spielt in Wien den Part der CSU, die Sozialdemokratische Partei Österreichs (SPÖ) von Kanzler Werner Feymann stand ungefähr da, wo ihre deutschen Parteifreunde und die deutsche Kanzlerin stehen.

Dass auch der Beschluss diese Differenz nicht verwischt, machen beide Seiten schon durch die Wortwahl deutlich: Faymann nennt die vereinbarten 37500 Flüchtlinge, die sein Land 2016 aufnehmen will, einen „Richtwert“, die ÖVP, die den Außenminister wie die Innenministerin stellt, spricht von „Obergrenze“.

Wie kommt die Zahl zustande?

Österreich hat knapp 8,5 Millionen Einwohner, ein Zehntel der Bundesrepublik. 2015 stellten rund 90000 Menschen einen Antrag auf den Asyl- oder Flüchtlingsstatus. Diese Quote ist nahezu vergleichbar mit der einen Million Flüchtlinge, die nach Deutschland kamen. Künftig soll der Anteil der Asylbewerber – und zwar inklusive Familiennachzug – bei 1,5 Prozent gedeckelt werden. Nach der Regierungsrechnung dürften dann bis Mitte 2019 höchsten 127500 Asylanträge angenommen werden, mit jährlich sinkender Tendenz. Die Regierung begründet den Schritt damit, dass die EU-Partner sie bei der Übernahme von Flüchtlingen im Stich gelassen hätten. Ausdrücklich erwünscht ist nach den Worten von Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) auch ein „Dominoeffekt“ auf die Länder südlich der alten Donaumonarchie. Den schien es auch sofort zu geben. Auch Serbien und Kroatien wollen nur noch Leute mit dem Ziel Österreich oder Deutschland durchlassen, Slowenien will sich offenbar anschließen. Mazedonien schloss am Mittwochabend seine Grenze zu Griechenland – machte sie aber am Donnerstag gleich wieder auf.

Durchgelassen werden dort allerdings nur noch Menschen, die angeben, nach Österreich oder Deutschland zu wollen. Tatsächlich gibt es diese geografische Begrenzung schon seit Ende letzten Jahres, und sie geht nicht zuletzt von Deutschland aus: Die Bundespolizei weist alle Neuankömmlinge sofort nach Österreich zurück, die erklären, sie wollten nur durch- und in andere Länder weiterreisen. Damit ist der Weg beispielsweise nach Schweden für neue Flüchtlinge schon faktisch versperrt.

Macht Österreich die Grenze sofort dicht?

Nein – und damit beginnt der Teil der Geschichte, der das Fragezeichen rechtfertigt. Die schwarz-rote Koalition in Wien hat die Begrenzung schon beschlossen, ohne zu wissen, wie das geht, ja ob es überhaupt erlaubt ist. Die ÖVP und ihre Innenministerin Johanna Mikl-Leitner geben sich davon überzeugt. Die SPÖ hingegen, sagt der designierte Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil, glaubt an die Rechtmäßigkeit „derzeit nicht“. Andere Sozialdemokraten reden von einer Beruhigungspille für die Bevölkerung und Augenwischerei.

Klären sollen diese Frage zwei Rechtsgutachten, das eine mit Blick auf österreichische Gesetze, das andere mit Blick auf Europa- und Völkerrecht. Die Antwort könnte, sagt selbst der von beiden Parteien benannte Europa-Gutachter, ein formales Nein sein: Die Grenzen „vollkommen dicht“ zu machen, hat der Europarechtler Walter Obwexer schon öffentlich wissen lassen, wäre nicht zulässig.

Obwexer weist der Koalition allerdings auch schon einen Ausweg, um ihr Ziel trotzdem zu erreichen: Wenn sie das Dublin-III-Abkommen wieder strikt anwenden würde, dürfte sie alle Flüchtlinge abweisen, die über ein anderes EU-Land einreisen, also etwa Slowenien und Italien. Und wenn sie sich bei den bis dahin akzeptierten Asylanträgen eine „Reserve“ für den Familiennachzug lasse, dann könnte sie ihre Zielzahlen erreichen. Ob die Regierung diesen Weg gehen will, ist allerdings auch noch nicht klar. Auf die naheliegende Frage, was mit dem 37501. Asylsuchenden an der Landesgrenze passiert, gibt Innenministerin Mikl-Leitner abwechselnd zwei Antworten: Variante eins ist die Zurückweisung nach dem Dublin-Modell, Variante B liefe auf eine Art Zermürbungstaktik hinaus: Der Asylantrag würde nicht mehr bearbeitet und der Antragsteller nur notdürftig in einem Auffanglager versorgt.

Klar ist nur eins: Die Entscheidung über das künftige Verhalten an der Grenze muss ziemlich bald fallen. Denn die Wahrscheinlichkeit erscheint derzeit groß, dass die Obergrenze schon im Sommer erreicht würde.

Wie geht Österreich mit Flüchtlingen an den Grenzen aktuell um?

Am Mittwoch ist in Spielfeld an der Grenze zu Slowenien der Testbetrieb der neuen Hauptannahmestelle angelaufen. Dort wurden Zelte, Container und Zäune errichtet, von Dolmetschern bis zu 500 Soldaten steht das Personal bereit. Ein derzeit 30 Kilometer langer Grenzzaun soll das Ausweichen verhindern. Damit sollen bis zu 11000 Flüchtlinge registriert und abgefertigt werden können. Eine andere Übertrittsstelle aus dem Süden soll es nicht mehr geben – ausgenommen die aus Italien über den Brenner Richtung Bayern Kommenden. Einlass nach Österreich soll nur noch bekommen, wer in Spielfeld Asyl beantragen oder nach Deutschland weiterreisen will.

Und was heißt das für Deutschland?

Politisch heizt Österreichs Vorgehen die Debatte in der deutschen Koalition weiter an. Die CSU empfiehlt es zur sofortigen Nachahmung, SPD-Chef Sigmar Gabriel wertet es als „Hilferuf“ an die anderen Europäer, die das Flüchtlingsproblem partout nicht zu ihrem machen wollen. Die Kanzlerin kommentierte als Gast bei der CSU-Landtagsfraktion in Kreuth, der Schritt sei „nicht hilfreich“ für die Verhandlungen in der EU. Dass das Signal aus Wien den Flüchtlingsstrom stoppt, glaubt sie nicht; dass es ihr vielleicht sogar helfen könnte, weil davon Druck auf andere EU-Staaten ausgeht, glaubt sie wohl auch nicht. „Die Koalition der Willigen in Brüssel braucht keinen Druck, und auf die anderen übt es keinen aus“, analysiert einer ihrer Mitstreiter.

An der deutsch-österreichischen Grenze dürfte sich zunächst nicht viel ändern. Derzeit weist die Bundespolizei dort täglich bis zu 300 Flüchtlinge zurück – Durchreisende oder Personen aus sicheren Herkunftsländern. Diese Menschen bleiben in Österreich weitgehend unbetreut oder kehren nach Hause zurück. Ob die Inbetriebnahme der Spielfelder Zentralaufnahme die Situation verändert, wird davon abhängen, ob die Flüchtlinge sich dort konzentrieren lassen oder sich neue Wege suchen. Mit Bewachung der „grünen Grenze“ hat Österreich noch wenig Erfahrung.

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