zum Hauptinhalt
Das Brandenburger Tor in Berlin - bei Touristen beliebt.

© dpa

Tourismusverband-Chef über die Flüchtlingskrise: "Eine weitere Radikalisierung schadet dem Urlaubsland Deutschland"

Michael Frenzel, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Tourismuswirtschaft, über Terror, Jobchancen für Flüchtlinge und die Macht der Buchungsportale.

Herr Frenzel, wo haben Sie Ihren letzten Urlaub verbracht?
Ich habe eine Kreuzfahrt in Südostasien gemacht – wie man sieht (zeigt auf seine Bräune).

Südostasien ist weit weg. Könnten Sie sich derzeit auch einen Urlaub in Griechenland oder in der Türkei vorstellen?
Zur richtigen Jahreszeit – natürlich. Ich war vor zwei Wochen in Istanbul, eine wunderbare Stadt. Trotz des Terroranschlags kürzlich sehe ich keinen Grund, Istanbul zu meiden, wenn man sich an die Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amts hält. Und die Touristenregionen um Antalya sind ohnehin ruhig. Ich glaube, dass sich der Tourismus in der Türkei schnell wieder erholen wird. So wie wir das ja schon von früheren Vorfällen kennen. Zunächst verlagern sich die Urlauberströme stärker ins westliche Mittelmeer, dann schlägt das Pendel aber auch wieder zurück, vorausgesetzt die Sicherheitsmaßnahmen greifen.

Was kann die Reisebranche tun, um die Touristen in schwierigen Zeiten bei der Stange zu halten?
Die türkische Regierung subventioniert den Tourismussektor, der Türkei-Urlaub wird dadurch billiger. Der Preis ist aber nicht alles. Den Kunden ist Sicherheit heute viel wichtiger als früher. Deshalb muss es eine enge Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt und den Behörden vor Ort geben. Auch eine Anpassung von Sicherheitsmaßnahmen an internationale Standards, etwa an den Flughäfen, oder Unterstützung durch ausländische Sicherheitskräfte könnten hilfreich sein. Außerdem spielt die Frage flexibler Umbuchungsmöglichkeiten eine wichtige Rolle - insbesondere wenn etwas passiert und sich die Menschen im Urlaubsland nicht sicher fühlen.

Der promovierte Jurist Michael Frenzel war bis 2013 Vorstands-Chef der Preussag AG und späteren TUI.
Der promovierte Jurist Michael Frenzel war bis 2013 Vorstands-Chef der Preussag AG und späteren TUI.

© Promo

Das reicht?
Die Menschen lassen sich nicht dauerhaft vom Reisen abhalten. Die Briten und Iren kommen häufig schon nach zwei, drei Monaten zurück, die Deutschen brauchen etwas länger. Wie die Sommer-Saison endgültig laufen wird, kann man erst in einigen Wochen sagen. Die Buchungszeit hat ja gerade erst begonnen.

Was ist mit dem Winterurlaub? Schrecken die neuen Grenzkontrollen deutsche Skifahrer ab, die nach Österreich wollen?
Wir haben davon bislang nichts gespürt. Aber dennoch sind wir dafür, dass die Reisefreiheit in der EU unangetastet bleibt. Beim Schengen-Abkommen ist nicht genügend über die Sicherung der EU-Außengrenzen gesprochen worden – das wird jetzt nachgeholt und das ist auch richtig. Aber massive Grenzkontrollen innerhalb der EU wären ein großer Rückschritt für die Reisefreiheit, die ja ein Kernpunkt Europas ist.

Flüchtlinge und Tourismus - Chancen und Risiken

Die Reisebranche und die Gastronomie suchen dringend nach Arbeitskräften. Derzeit wird darüber diskutiert, ob man Flüchtlinge vorübergehend vom Mindestlohn ausnehmen soll. Wären das dann nicht begehrte Arbeitskräfte?
In der Tourismusbranche haben schon heute mehr als 30 Prozent der Beschäftigten einen Migrationshintergrund. Gerade im Servicebereich gibt es einen großen Bedarf nach Arbeitskräften, das bietet auch Flüchtlingen große Chancen. Allerdings braucht es dafür Sprachkenntnisse und die Menschen müssen viel schneller als heute eine Arbeitserlaubnis bekommen. Das ist wichtiger als die Frage nach dem Mindestlohn.

Der wird im nächsten Jahr wahrscheinlich auf 8,80 Euro steigen.
Für Gastronomen in strukturschwachen Gebieten, vor allem im Osten Deutschlands, sind schon die 8,50 Euro, die heute gelten, schwierig. Dass die Zahl der Jobs in der Gastronomie und im Hotelbereich nicht gesunken ist, liegt an der guten Konjunktur in Deutschland.

Welche Auswirkungen hat unser Umgang mit Flüchtlingen auf den Tourismus? Gerade hat die Stadt Dresden sinkende Übernachtungszahlen gemeldet, die Rede ist von einem „Pegida-Effekt“.
Das Bild, das das Ausland in der Flüchtlingsfrage von Deutschland hat, schwankt zwischen Bewunderung für unsere Offenheit und der Frage, ob wir wirklich so weit gehen müssen. Die Vorfälle in Dresden werden wahrgenommen, aber niemand glaubt derzeit, dass Deutschland nach rechts abdriftet. Sollte sich die bislang gemäßigte Wählerschaft jedoch weiter radikalisieren, könnte die Attraktivität Deutschlands als Urlaubsland durchaus Schaden nehmen. In den Zahlen für 2015 kann man das aber noch nicht ablesen. Im Gegenteil: Im vergangenen Jahren hatten wir einen Rekord von 436 Millionen Übernachtungen. Der Tourismus ist beeindruckend gewachsen.

Viele Menschen wollen ungestört Urlaub machen. Flüchtlinge könnten die Urlaubsidylle stören.
Das mag bei Lesbos stimmen, aber in Deutschland sehe ich das Probleme nicht. Der Tourismus ist eine Wachstumsbranche. Weltweit geht die Welttourismusorganisation UNWTO in diesem Jahr von über vier Prozent Umsatzwachstum aus, und auch für Deutschland rechnen wir mit einem moderaten Wachstum.

Die Chinesen kommen

Die Deutschen sind Reiseweltmeister, bleiben sie das auch?
Die Reiselust der Deutschen bleibt stark, aber das große Wachstum kommt aus Asien, vor allem aus China. Man sieht das schon sehr gut in Australien und in Neuseeland, da sind die Chinesen inzwischen die größte Besuchergruppe – mit zweistelligen Wachstumsraten. Die Chinesen haben dort inzwischen schon eigene Busunternehmen, versuchen, eigene Hotels aufzubauen und bringen die Reisegruppen in eigene Restaurants.

Was ist mit Europa?
Fahren Sie mal nach Florenz. Da haben Sie im Sommer eine Schlange, die sich drei Mal um den Dom herum windet – vorwiegend Asiaten. Und der Ansturm wird noch wachsen. Es gibt Ziele, die inzwischen an ihrer Kapazitätsgrenze sind, Venedig etwa oder Rom.

Was heißt das?
Man muss über Kontingentierungen nachdenken. Das geht entweder über Preiserhöhungen, oder man begrenzt die Zahl der Besucher, so wie das die Osterinseln, die Galapagos-Inseln oder die Arktis tun.

Was ist mit Berlin? Muss die Stadt auch eines Tages wegen Überfüllung geschlossen werden?
Nein, in Berlin ist das bislang kein Thema, im restlichen Deutschland auch nicht.

Viele Menschen buchen ihre Berlin-Reise im Internet über Portale wie Booking, HRS oder Expedia. Welche Macht haben diese Portale?
Das hängt vom Marktsegment ab. Bei Flügen läuft inzwischen 70 bis 80 Prozent des Geschäfts über reine Flugportale oder über Megasuchmaschinen wie Kayak. Bei Hotels machen die Portale rund 50 Prozent aus. Im Hotelbereich haben die Portale ihre Marktmacht genutzt und ihre Provisionen kräftig nach oben geschraubt. Sie zwacken teils mehr als 20 Prozent für sich ab.

Der Kampf der Hotels gegen Buchungsportale

Und das lässt sich die Hotelindustrie gefallen?
Die Hotelbranche versucht, das Geschäft von den Hotelbuchungsportalen weg- und den für sie günstigeren Megaplattformen wie Kayak, Trivago oder Discavo hinzuziehen. Letztlich geht es aber darum, die Kunden möglichst auf die eigenen Websites zu lenken.

Wie?
Viele Kunden machen die Erfahrung, dass sie z.B. ein besseres Zimmer bekommen, wenn sie direkt beim Hotel buchen statt über HRS oder Booking. Bei gleichem Preis erhalten sie häufig eine bessere Qualität.

Das Bundeskartellamt geht gegen Bestpreisklauseln vor, mit denen die Hotelportale Hotels zwingen, ihnen die günstigsten Preise einzuräumen. Funktioniert das nicht?
Das ist auf jeden Fall ein zäher Prozess. Ich als Kunde würde es auf jeden Fall immer zuerst beim Hotel selbst versuchen und das Angebot, das ich dort bekomme, dann mit denen der Buchungsplattformen vergleichen.

Kann es sich eine Hotelkette leisten, nicht bei HRS, Expedia oder Booking aufzutauchen?
Kaum, dafür kommt zu viel Umsatz über die Portale.

Wer braucht eigentlich noch Reisebüros?
Beispielsweise Pauschalreisende. In diesem Segment machen Onlinebuchungen maximal 25 Prozent aus. In den letzten zwei, drei Jahren hat sich die Zahl der Reisebüros bei gut 9800 stabilisiert. Vor gut zehn Jahren hat es zwar noch 14 000 gegeben, aber das Reisebürosterben ist inzwischen gestoppt. Wichtig ist, dass die Reisebüros die Kunden gut beraten, ihnen Orientierung bieten. Wenn man nicht genau weiß, wohin man will und man im Netz nach einer Pauschalreise sucht, ist das sehr mühselig.

Die Deutschen werden immer älter. Gibt es immer mehr spezielle Reisen für Senioren?
Wenige. Nach Alter zu differenzieren, bringt nämlich nichts. Alle wesentlichen Versuche, Reisen nur für Golden, Silver oder Best Ager zu machen, sind schief gegangen. Die Differenzierung muss vielmehr bei den verschiedenen Interessen der Menschen ansetzen. Es gibt die Entdecker, die Städtereisenden, die Strandurlauber – und das in allen Altersgruppen.

Am kommenden Mittwoch beginnt die ITB in Berlin – mit vielen Ständen, Prospekten, Katalogen. Wie zeitgemäß ist die Messe noch?
Virtuelle Realität in allen Ehren. Aber man muss sich auch treffen, Kontakte knüpfen. Die ITB als die zentrale Tourismusmesse, auf der sich Veranstalter, Hoteliers, Destinationen und andere wichtige Player aus dem Tourismusgeschäft treffen, ist dafür prädestiniert.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false