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Einheimische und Flüchtlinge sollen sich beim Playbacktheater kennenlernen, Ängste abbauen und Freundschaften schließen

© Raack

Theaterprojekt für Flüchtlinge in Steglitz-Zehlendorf: Noch ein Selfie mit Angela Merkel

Am Anfang war der Ärger über Pegida. Dann entstand daraus ein Theaterprojekt für Flüchtlinge und Deutsche. Besuch bei einem Playbacktheater-Workshop von Wolfgang Wendlandt.

„Skepsis“ und „Hoffnung“ beäugen sich misstrauisch, ängstlich. Ihre Distanz scheint unüberwindlich. „Ich hab Angst, ich weiß nicht, was das alles soll“, sagt die Skepsis. Eine dezente Melodie erklingt, ein Herr mit schütterem weißen Haar spielt im Hintergrund auf dem Banjo; die Hoffnung nähert sich der Skepsis und fragt: „Wollen wir vielleicht Freunde sein?“ „Uns zusammen was aufbauen?“, fragt die Skepsis zurück. Die Hoffnung nickt: „Ich bin Maria.“ „Ich bin Miriam.“

Eine kleine Szene aus dem Improvisationstheater-Workshop „Gemischte Crew - Gemischtes Doppel“, ins Leben gerufen von dem Mann am Banjo, Wolfgang Wendlandt. „Es geht darum, seine Gefühle auszudrücken und dadurch Ängste vor dem Anderen abzubauen“, sagt er. Der Professor für Psychologie hat Jahrzehnte lang an Hochschulen unterrichtet, spielt seit 40 Jahren Banjo und Improvisationstheater – und hat diese Erfahrungen nun amalgamiert zu einem Theaterprojekt für Flüchtlinge. Statt von Improtheater, bei dem Spielideen zum Teil aus dem Publikum kommen, spricht Wendlandt lieber von Playbacktheater, das unterhalten will, daneben aber auch eine psychologisierende Komponente hat.

Improvisation ist auch eine Lebenshaltung

Die Idee: Über den Workshop sollen interessierte Deutsche und Flüchtlinge einmal wöchentlich gemeinsam mit geübten Playbackdarstellern die befreiende Wirkung des Playbacktheaters kennen lernen - und im besten Fall auch gleich neue Freunde. „Gerade weil die Geflüchteten oft nicht wissen, ob sie bleiben dürfen und wie lange, ist es so wichtig, diese belastende Situation durch konstante Beziehungen aufzufangen", sagt Wendlandt.

Wie so vieles beginnt auch diese Idee mit einem Zufall: Als Kind und Jugendlicher spielt Wendlandt viel Cello. Durch Zufall entdeckt er als junger Erwachsener das Banjo für sich. Er improvisiert auf den vier Saiten, denkt sich für seine kleine Tochter darauf Lieder aus. Im Rahmen von Fortbildungen, die er für Sozialpädagogen gibt, stößt er Jahre später wieder auf die Idee mit dem Improvisieren. Sein Credo: Statt nur einem Vortrag zu lauschen, müsse man direkt in die Rolle hineingehen und lerne dabei.

Heute weiß er: „Improvisation ist auch eine Lebenshaltung. Damit kann ich in die Welt gehen und habe genügend Werkzeuge, um für alles bereit zu sein. Man muss Probleme spielerisch darstellen. Dann kann man sie lösen und lernt, angstfreier zu sein.“

Sein Impetus ist der Ärger über Pegida

Und um Angst geht es heute oft, findet Wendlandt: Auch Pegida sei doch aus Angst geboren. Sein Ärger über die Pegida-Demonstrationen wird jedenfalls im Lauf des Jahres 2014 so groß, dass er sich einbringen möchte. „Ich habe mich gefragt, was kann ich mit meinen Talenten und Fähigkeiten anbieten, wer hat es nötig?“

Also setzt er sich mit Günther Schulze vom Willkommensbündnis Steglitz-Zehlendorf zusammen, geht in die Gemeinschaftsunterkunft in der Klingsorstraße, möchte seine Idee zusammen mit Geflüchteten und seinen Freunden vom Playbacktheater Berlin umsetzen. Das Banjo ist immer dabei. Musik öffnet ihm die Türen.

Und so bekommt er für sein Projekt einen Raum in der Villa Folke Bernadotte. Viele der Berliner, die sich nun für sein Theaterprojekt melden, sind 50 Jahre und älter, bringen viel Zeit und großes Engagement mit. Aber es passt vom Alter her mit den Geflüchteten nicht zusammen. Darum versucht Wendlandt, 18- bis 30jährige Deutsche zu finden, die auch über die Sitzungen hinaus Kontakt mit den Flüchtlingen pflegen. „Man muss schon ziemlich tingeln“, sagt der 71-Jährige. An der evangelischen Hochschule (EHB) am Teltower Damm etwa gibt er eine Theatervorstellung für die Studierenden.

Einige von ihnen sind auch zum Workshop in den Gemeindesaal der Paulusgemeinde gekommen, den Pfarrerin Donata Dörfel Wendlandt für sein Projekt zur Verfügung stellt. Etwa 15 deutsche Workshopteilnehmer und 20 Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan, Iran, der Elfenbeinküste und dem Libanon sitzen jeder für sich auf einem Stuhl. Keiner kennt sich, außer etwa zehn jugendliche Syrer, die mit einer Begleiterin aus Treptow gekommen sind. Wendlandt zupft zur Einstimmung am Banjo, dann fordert er alle in langsamen, deutlichen Worten und Gesten auf, sich in zwei großen Kreisen aufzustellen und sich Bälle zuzuwerfen. Die Stimmung lockert sich, mit den Bällen fliegen auch schon lächelnde Blicke durch den Saal.

Nach zwei weiteren Lockerungs- und Kennenlernübungen, geht es auf die Bühne. Wendlandt verkündet die erste Aufgabe: Wie fühlt sich das Leben in der Gemeinschaftsunterkunft an? Vier Deutsche und vier Syrer gehen auf die Bühne, bilden eine Skulptur aus ihren Körpern: Zwei Darsteller halten sich die Ohren zu, drei halten die Arme in einem spitzen Winkel wie ein Dach über den Kopf, zwei Darsteller liegen zusammengerollt auf dem Boden, eine Hand unter dem Gesicht.

Dann, beim Stichwort Berlin, stellen die Workshopteilnehmer auf Zuruf aus dem Publikum das Brandenburger Tor, die Berliner S-Bahn und Angela Merkel dar. Es sind meist die gleichen, die sich sofort auf die Bühne trauen. Diesmal springt noch ein anderer junger Syrer auf, geht zur Bühne, zupft Wendlandt am Pullover: Er möchte auch was beitragen. Er geht auf die Bühne, stellt sich neben die „Merkel“-Darstellerin und zückt ein Handy: das berühmte Selfie von der Bundeskanzlerin mit einem Flüchtling entsteht gerade noch einmal auf der Bühne der Paulusgemeinde. Gejohle im Publikum.

Wendlandt hält sich mit seinem Banjo im Hintergrund, gibt ab und zu Hilfestellung, lässt die Teilnehmer aber meist einfach machen. Er sieht zu, wie eine Dame, die einen Hund darstellen soll, auf der Bühne übermütig das Bein zum Pipi machen hebt, und sagt: „Es soll durchaus auch ein wenig herumgealbert werden. Wir wollen ja die Leute abholen. Wenn man selbst zu gebremst ist, geht es nicht.“

Auf der Bühne kann Wassim den Alltag vergessen

Es muss ja weitgehend ohne Sprache gehen. Deshalb arbeitet Wendlandt viel mit dem Körper, mit Musik und Emotionen. „Gerade beim Singen auf der Bühne kriegt man jeden. Und das ist dann meistens sehr emotional. Das löst nicht nur bei traumatisierten Flüchtlingen viel. Auch die Deutschen haben Angst davor, ihre Gefühle vor einer großem Gruppe und in fremden Settings zu zeigen.“

Ronja und Lena haben schon Theatererfahrung. Sie studieren soziale Arbeit an der EHB, da gehören Theaterworkshops dazu. „Es geht uns darum, hier andere kennen zu lernen, und zu sehen, wie die Hierarchien, die Rollen und Verhaltensmuster aufgehoben werden.“ Die blonde Katrin sagt, sie möchte privat und beruflich „was mit Flüchtlingen“ machen. „Ich will mir auf jeden Fall selbst ein Bild machen. Hier habe ich gemerkt, wie die Grenzen einfach wegschmelzen. Es wäre schön, wenn das allen auch im Alltag so geht.“

Wassim aus Latakia ist gerade 18 geworden, seit wenigen Monaten ist er in Berlin. Er schaut viel auf sein Handy, mit ernstem Blick, steht damit auch öfter abseits. Aber wenn es darum geht, auf die Bühne zu gehen, ist er immer einer der ersten, lacht dort oben viel. „Ich mag das, ich habe in Syrien schon Theater gespielt“, sagt er auf Englisch. Auf die Frage, was er einmal machen möchte, sagt er: Eigentlich wünscht er sich im Moment nur, dass seine Familie bald kommt. Da ist er wieder, der Flüchtlingsalltag. Aber auf der Bühne kann Wassim ihn wenigstens für kurze Zeit vergessen.  

Seit mehr als 40 Jahren spielt Wolfgang Wendlandt Banjo. Über dieses Instrument kam er ursprünglich zum Improvisieren
Seit mehr als 40 Jahren spielt Wolfgang Wendlandt Banjo. Über dieses Instrument kam er ursprünglich zum Improvisieren

© Raack

„Es ist erstaunlich, wie viel Mut und Lebensfreude auf der Bühne entsteht", sagt Wendlandt. "Es macht große Freude, zu sehen, wie all diese unterschiedlichen Leute auf der Bühne aufblühen und im Verlauf der Treffen immer besser Deutsch können, weil sie das beim Spielen aufschnappen. Einer sagte mir, er konnte bei uns auf der Bühne nach Monaten zum ersten Mal wieder lachen und fühlte sich hier als Mensch angenommen. Da kommt viel Wärme und Zuneigung zurück."

"Sehen wir uns am nächsten Donnerstag?"

Allerdings sei es schwierig, zu planen; die Deutschen sagen zu, dass sie kommen, schreiben eine Mail. „Aber bei den Geflüchteten ist es so, dass die auch meistens Interesse hätten, wer dann aber kommt, ist ungewiss. Die müssen auf die Ämter und überhaupt ihre Existenz hier sichern. Oft ist auch der Weg sehr weit oder es fehlt eine Begleitperson."

Alles zu organisieren, hartnäckig zu bleiben, das macht schon viel Arbeit. Neben dem Ehrenamt ist der 71-Jährige auch immer noch in seiner Praxis tätig. Beides nimmt in etwa gleich viel Zeit in Anspruch. Aber es scheint sich zu lohnen: Für die feste Playbackgruppe jeden Donnerstagnachmittag haben sich etwa zwanzig Flüchtlinge und Deutsche angemeldet.

Und am Ende des Workshops zeigt sich: Die Hoffnung scheint auch bei den Mitwirkenden die Skepsis überwunden zu haben: „Sehen wir uns hier nächsten Donnerstag?“, fragt einer der Flüchtlinge beim Aufräumen der Stühle eine Studentin. Sie lächelt: „Ja, ich denke schon. Bis nächste Woche.“

Die Autorin schreibt für den Tagesspiegel und für Tagesspiegel Zehlendorf, das digitale Stadtteil- und Debattenportal aus dem Berliner Südwesten, auf dem dieser Text erscheint.

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