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Ein syrischer Vater mit seinem Kind am Rande eines Protests im Flüchtlingscamp Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze.

© dpa

Vor Umsetzung des EU-Abkommens mit Türkei: Proteste in Flüchtlingslagern in Griechenland

Zwei Tage vor Beginn der Abschiebung nach Griechenland geflüchteter Menschen ist die Stimmung explosiv. Auch in der Türkei gibt es erste Proteste.

Zwei Tage vor Beginn der geplanten Rückführungen von Flüchtlingen und Migranten in die Türkei spitzt sich die Lage in Griechenland zu. Hunderte aus einem Aufnahmelager ausgebrochene Flüchtlinge harren im Hafen der Hauptstadt der griechischen Insel Chios aus. Dramatisch ist die Lage auch auf dem Festland. Vor allem im Elendslager von Idomeni im Norden und im Hafen von Piräus warten Tausende Menschen in Kuppelzelten und Wartehallen. Die Politik erwägt erstmals "leichte Polizeigewalt". Trotz des Rückführungsabkommens kamen bis zum Samstag binnen 24 Stunden 566 neue Migranten aus der Türkei nach Griechenland. Derweil werden erste Details der praktischen Umsetzung des Rückführungsabkommens bekannt - in der Türkei gibt es jedoch Proteste.

Der Plan der Küstenwache und der EU-Grenzschutzagentur Frontex sieht vor, dass von Montag bis Mittwoch zunächst rund 750 Asylsuchende, die illegal auf die griechischen Inseln gekommen sind, in die Türkei zurückgebracht werden. Im Gegenzug werden in Deutschland und anderen EU-Ländern die ersten Syrer erwartet, die auf Grundlage des EU-Flüchtlingspakts mit der Türkei legal in der Europäischen Union aufgenommen werden sollen.

Sicherheitskonzept: Ein Polizist pro ausgewiesenem Migranten

Offenbar sind strenge Sicherheitsmaßnahmen vorgesehen: „Für jeden Migranten, der ausgewiesen wird, werden wir einen Polizisten als Aufpasser einsetzen“, sagte ein Offizier der Küstenwache der Deutschen Presse-Agentur. „Unsere Angst ist, wie man diese Menschen aus den Lagern rausholt.“ Die Stimmung unter den Migranten sei explosiv. Die erste Überfahrt soll gegen 10 Uhr Ortszeit (9 Uhr MESZ) in Mitilini starten. Die illegal nach Griechenland eingereisten Migranten sollen zuvor mit Bussen aus den Aufnahmelagern von Moria nach Mitilini gebracht werden.

Die Behörden in Griechenland befürchten erhebliche Widerstände unter den Flüchtlingen, die zwangsweise zurückgebracht werden sollen. Auf den Inseln Lesbos und Chios gibt es Proteste, Migranten verurteilten die geplanten Rückführungen als „Deportationen“. Mehr als 500 Menschen, darunter viele Kinder, hätten auf Chios unter freiem Himmel übernachtet, sagte eine Inselbewohnerin am Samstagmorgen dem griechischen Fernsehsender Skai.

„Athen, Athen“ und „Freiheit, Freiheit“ skandieren die Menschen. Sie forderten, dass Fähren sie zum griechischen Festland und nicht in die Türkei bringen. Zwei Fähren wurden deshalb umgeleitet, sie legten außerplanmäßig im Hafen von Mestá im Westen der Insel an, wie der griechische Rundfunk berichtete. In den „Hotspots“ werden Flüchtlinge seit Inkrafttreten des Flüchtlingspakts mit der Türkei festgehalten, um in die Türkei abgeschoben werden zu können.

Griechische Regierung schließt "leichte Polizeigewalt" nicht aus

Die griechische Regierung ist offenbar ratlos, wie sie mit den Tausenden Flüchtlingen im Auffanglager Idomeni sowie zunehmenden Gewaltausbrüchen umgehen soll. Wie die Athener Tageszeitung „Kathimerini“ am Samstag berichtete, schließt Bürgerschutzminister Nikos Toskas erstmals den „Einsatz leichter Polizeigewalt“ nicht mehr aus - allerdings nur in Ausnahmefällen, wenn „jemand Probleme macht“.

Im Lager Idomeni an der Grenze zu Mazedonien halten sich Schätzungen zufolge noch rund 12.000 Menschen auf, gut die Hälfte davon Kinder. Flüchtlinge und andere Migranten sind dort gestrandet, weil Mazedonien und andere Balkanstaaten ihre Grenzen für Menschen ohne gültige Reisedokumente und Visa geschlossen haben. Innerhalb der kommenden vier Wochen soll sich das Lager Idomeni laut Regierungsvertretern leeren.

Das Problem der Regierung sei vor allem die Kommunikation mit den Menschen, schreibt die „Kathimerini“. Bisher sei ihnen nur schwer zu vermitteln, dass sie nicht zu jenen Flüchtlingen gehörten, die seit Inkrafttreten des Flüchtlingspakts abgeschoben werden könnten. Gleichzeitig schenkten sie immer noch Gerüchten Glauben, wonach die Grenze zum Nachbarland Mazedonien sich doch noch öffnen könne.

Amnesty International: Massenhafte Abschiebungen aus Türkei

Der Vereinbarung gemäß sollen alle Flüchtlinge, die nach dem 20. März illegal nach Griechenland übergesetzt sind, zwangsweise in die Türkei zurückgebracht werden können. Für jeden Syrer, den die EU abschiebt, soll ein anderer Syrer auf legalem Wege in die EU kommen - die Union rechnet mit bis zu 72.000 Personen. Davon sollen weniger als 16.000 auf Deutschland entfallen.

Das griechische Parlament machte am Freitagabend im Eilverfahren den Weg für die Rückführung in die Türkei frei. Das Gesetz wurde mit breiter Mehrheit gebilligt. Menschenrechtsorganisationen sehen die Vereinbarung der EU mit Ankara äußerst kritisch. Nach einem Bericht von Amnesty International soll die Türkei in den vergangenen Wochen massenhaft Flüchtlinge aus Syrien in das Bürgerkriegsland abgeschoben haben.

Türkei baut Registrierungszentren für aus EU abgeschobene Flüchtlinge

Die Türkei hat kurz vor dem Start des Flüchtlingsabkommens mit dem Bau von zwei Registrierungszentren für die aus Griechenland zurückgenommenen Menschen begonnen. In Cesme gegenüber der griechischen Insel Chios legten Arbeiter Wasserleitungen und Kabel in einer 500 Quadratmeter großen Anlage, wie Bürgermeister Muhittin Dalgic einem Bericht der Nachrichtenagentur Anadolu vom Samstag zufolge sagte.

Vorgesehen sind dort Zelte, in denen Fingerabdrücke genommen werden sollen, sowie sanitäre Anlagen. Das zweite Registrierungszentrum für die Flüchtlinge entsteht in der westtürkischen Hafenstadt Dikili in derselben Provinz gegenüber der griechischen Insel Lesbos. Türkischen Vertretern zufolge handelt es sich aber nicht um Flüchtlingslager im eigentlichen Sinn. "Sobald die Gesundheitstests und die Registrierung abgeschlossen sind, werden sie in Lager gebracht", sagte Dalgic.

Unterdessen formiert sich in der Türkei Widerstand gegen die Rücknahme von Flüchtlingen aus Griechenland. Hunderte Demonstranten protestierten am Samstag in Dikili gegen die geplante Aufnahme von Migranten. (dpa, AFP)

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