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Brandenburg: 1500 Pfeifen für Potsdam

Die Nikolaikirche hat 60 Jahre nach der Zerstörung wieder eine große Orgel. Ab Sonntag ist sie zu hören

Potsdam Planierraupen rattern. Bohrhämmer kreischen, brechen das Pflaster auf, schürfen Erdschichten ab. Der Alte Markt in Potsdam wird auf sein einstiges Niveau abgesenkt. Über der Häutung in der historischen Mitte thront die Nikolaikirche. Bis an ihr Fundament hat sich die Baustelle gewühlt. Am Fuße der Kirche knien Arbeiter im Staub. In der klaren Kühle Nikolais wartet indes eine Überraschung auf die Potsdamer: Das alte Gotteshaus hat wieder eine Orgel, deren Klang die 63 Meter hohe Kuppel erfüllen kann. Erstmals seit 60 Jahren.

Kantor Björn O. Wiede hat sie noch nicht berührt. Auch er wartet ab. Erst, wenn die Luft ohne Fehl durch die Pfeifen strömt, will er sich mit der Neuen vertraut machen. Die Feinintonierung nehmen die Brüder Ansgar und Joachim Kreienbrink in dieser Woche vor.

Als die Royal Air Force am 14. April 1945 ihren schwersten Angriff auf Potsdam flog, blieb die Kirche verschont. Kein Wunder schützte den Schinkel-Bau, sondern die kühle Berechnung der britischen Bomber: Sie nutzten die mächtige Kuppel als Anflugsziel. Die Artillerie der Roten Armee brauchte keinen Orientierungspunkt. Wenige Tage vor Kriegsende schlugen die Geschosse ein. Die einstürzende Kuppel begrub die Orgelempore samt Sauer-Orgel unter sich.

Erst 1981 war die Rekonstruktion der Kirche abgeschlossen. Eine passende Orgel wurde aus Kostengründen nicht angeschafft. Ein einfaches Orgelpositiv, viel zu klein für das 950 Menschen fassende Kirchenschiff, stand fortan im Dienste der evangelischen Kirchengemeinde. Vor einem Jahr raunten Touristen aus Essen beim Anblick des Provisoriums einen merkwürdigen, verheißungsvollen Satz: „Wir haben eine übrig."

Die Abrissbirne war für die baufällige Kirche im Essener Stadtteil Altenessen schon bestellt. Die Schuke-Orgel, entschied die Gemeinde, sollte nach Potsdam. Weil die St.-Nikolai-Gemeinde den Kaufpreis von etwa 300000 Euro nicht hätte aufbringen können, schenkten ihr die Altenessener das Instrument. Geschenkt heißt in diesem Fall aber nicht gratis. 103000 Euro kostete es, die Orgel überhaupt annehmen zu können. Überarbeitung und Transport muss die St.-Nikolai-Gemeinde selbst bezahlen. Jetzt sollen Spenden gesammelt werden.

Das Team um Orgelbaumeister Joachim Kreienbrink hat das rund 50 Jahre alte Instrument ab-, um- und wieder aufgebaut, es in der niedersächsischen Orgelmanufaktur Georgsmarienhütte gereinigt, repariert und speziell auf die individuelle Architektur und Akustik der denkmalgeschützten Nikolaikirche getrimmt. So hat Kreienbrink die Orgel um zwei Register ergänzt, ein neues Gehäuse gebaut und das sechseinhalb Meter hohe Instrument auf Rollen gestellt.

Heikel ist so ein Orgel-Umzug. Die Pfeifen dürfen nur mit Handschuhen angefasst werden, denn Schweiß könnte sich in das empfindliche Zinn ätzen. Beim Transport wird es vor allem für die großen Orgelpfeifen kritisch. Sie haben Gewichtsprobleme. Befinden sie sich zu lange in der Horizontalen, ergeht es ihnen wie gestrandeten Walen – die eigene Masse erdrückt sie.

Die neue Nikolai-Orgel ist eine Brumme. Mit 1500 Pfeifen für 21 Register auf zwei Manualen und dem Pedalwerk bringt sie 2,5 Tonnen auf die Waage. Über drei Meter lang und so dick wie Schwarzeneggers Oberarm sind die größten Zinnröhren, die die tiefen Töne raunen. Die kleinste Pfeife hat die Statur eines Bleistifts.

Den Potsdamern wird die Altar-Orgel am 4. September um 10 Uhr mit einem festlichem Gottesdienst vorgestellt. Zur Weihe erklingt eines der bewegendsten und faszinierendsten Werke Johann Sebastian Bachs, „Toccata con Fuga in d-Moll". Es spielt István Ruppert aus Ungarn. Am Abend werden auf der Orgel die Potsdamer Bach-Tage eröffnet.

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