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Ausgepowert. Robbie Williams – hier während eines Konzerts am 26. August in Wien – muss wieder eine Auszeit nehmen.

© AFP

Robbie Williams: Der Grenzgänger und seine Dämonen

Robbie Williams sagt seine Konzerte für dieses Jahr ab. Die Gründe dafür sind nicht neu. Eine Biografie offenbart nun, wie schlecht es dem Popstar geht.

Er ist ungewöhnlich ernst für die Bühne. Und wirklich angezogen wirkt er nicht in seinem dunklen Trainingsanzug mit roter Schrift auf beiden Armen. Robbie Williams, im Gesicht aufgedunsen, agiert mit eingeschränkter Mimik. Er könnte gerade noch auf dem Sofa gelegen haben, eine Tafel Schokolade neben sich.

Augenscheinlich fühlt er sich zu Hause, hier, an diesem Pfingstsonntag 2017 im Old Trafford Cricket Ground von Manchester. Das Benefizkonzert im Stadion, zu dem mehr als 50.000 Besucher gekommen sind, ist aus Anlass des Anschlags auf ein Konzert der Sängerin Ariana Grande organisiert worden. Zwei Wochen zuvor verloren dabei in der Stadt 23 Menschen ihr Leben. Nicht nur Superstar Williams spendet an diesem Abend mit seiner Musik Trost – aber er wirkt neben den alten Kumpels von Take That, neben Chris Martin von Coldplay und Pharell Williams, der auch noch „Happy“ intoniert, ungewöhnlich einsam und verloren.

Wie dramatisch es um das Seelenleben des Sängers stand und steht, wird nun auch in seiner am Freitag auf Deutsch erschienenen Biografie „Reveal“ deutlich. Der Titel, dessen Übersetzung irgendwo zwischen „offenbaren“ und „verraten“ liegt – birgt Geständnisse über Dinge, die man lieber nicht von sich preisgibt. So hat Autor Chris Heath festgehalten, dass Williams dem Tod vor gut zehn Jahren vermutlich schon einmal näher war als der von ihm so gerne und ausgelassen zelebrierten Lebenslust: Jahrelanger Drogenkonsum – im Grunde seit seiner Anfangszeit bei Take That – hatte ihn 2006 an einen Tiefpunkt gebracht. „Ich war süchtig nach dem ADHS-Medikament Adderall“, heißt es da, dass er viel kokste und unter Panikattacken und furchtbarem Lampenfieber litt.

Just in dieser Zeit lernte er seine spätere Frau Ayda Field kennen, ihr ist es wohl zu verdanken, dass sich Williams im Frühjahr 2007 in eine Entzugsklinik begab. „Ja, es war ein Punkt erreicht, an dem ich…ich wollte sagen, langsam auf den Tod zumarschierte, aber ich war ganz schnell unterwegs“, heißt es in dem Buch. Heute, so der Sänger, nehme er keine Drogen und trinke auch keinen Alkohol mehr.

Trotzdem lassen ihn Zweifel, Ängste und Dämonen anscheinend nicht los. Anfang September gab sein Management bekannt, dass er seine Tour aus Krankheitsgründen abbrechen musste. Zwei Konzerte in Russland standen noch aus, die den europäischen Teil der „Heavy Entertainment Show Tour“ abschließen sollten. Über die genauen Gründe für die Absage wurde nichts bekannt, aber der 43-Jährige gab in einem ausführlichen Interview in der britischen „Sunday Times“ kurz vor dem Tour-Abbruch deutliche Hinweise auf seinen labilen Gesundheitszustand, seine Depressionen, Essstörungen und – im Zusammenhang mit den expressiven Shows kaum zu glauben – seiner Agoraphobie (Angst vor öffentlichen Räumen). Er habe während der aktuellen Tour seine Hotelzimmer nicht verlassen.

Williams fühlt sich verpflichtet, den Fanwünschen nachzukommen

Und was ist so schlimm an der Welt da draußen? Er fühle sich ständig verpflichtet, den Wünschen seiner Fans nach Autogrammen und Selfies nachzukommen und wolle sich vor dieser beständigen Bereitschaft schützen. „Ich hasse es, dann Nein zu sagen, weil ich nicht will, dass sie denken, ich sei ein unfreundlicher Mensch. Und ich mag es nicht, Ja zu sagen, weil ich sozial ziemlich unbeholfen bin, und jeder Moment, in dem ich auf einen Fremden treffe, fühlt sich für mich traumatisch an.“

Was für ein Geständnis! Williams hat in seiner Solo-Karriere, die 1995 mit dem Abschied von Take That begann, 77 Millionen Platten verkauft, 17 Brit Awards erhalten und an einem Tag 1,6 Millionen Eintrittskarten für seine Konzerte verkauft. Der Schöpfer von Hymnen wie „Feel“ oder „Angels“, den seine Fans für diese Mischung aus Lausbubencharme und Proletentum lieben, der in der Royal Albert Hall mit Swing à la Sinatra begeisterte und mit Nicole Kidmann „Something stupid“ eingesungen hat, dieser begnadete Entertainer fühlt sich nicht in der Lage, das Haus zu verlassen. Und weiß anscheinend, wann er die Reißleine ziehen muss.

Schon immer, seit den Anfängen von Take That vor knapp 30 Jahren, versteht sich der Brite auf eine schonungslose Selbstanalyse. „Ich bin entweder dünn und depressiv oder fett und schäme mich dafür“, sagt er im Interview. Diese Erkenntnisse sind nicht neu, bereits vor Jahren sprach der zweifache Vater von einem typischen Robbie-Williams-Kreislauf: „Album rausbringen, total begeistert davon sein, gesund aussehen, gesund sein, das Album promoten, anfangen zu essen, mit dem Album auf Tour gehen, durchdrehen, Tour beenden, Nervenzusammenbruch kriegen, in der Entzugsklinik landen…“

Entzüge sollen der Vergangenheit angehören, spätestens, seit er mit seiner Frau, der Schauspielerin Field, zusammen ist. Sieben Jahre sind die beiden verheiratet und haben in Tochter Theodora Rose und Sohn Charlton Valentine zwei kleine Kinder. Die Verbindung erdet den quirligen Sänger, kaum ein Interview in den vergangenen Jahren, in dem er nicht auf die Liebe zu seiner Frau und die Bodenständigkeit verweist, die sie in sein Leben gebracht habe. Sie ist es auch, die am Freitag zur Veröffentlichung der Biografie auf Instagram postete, er solle „besser nicht zu viele schmutzige Sachen in dem Buch erzählen“. Der Hashtag „proudwife“ und „throughthickandthin“ verweist auf die kluge (Marketing-)Strategie der Schauspielerin. Sie steht an seiner Seite, soll das heißen; egal wie toll er es einst getrieben hat.

Doch auch wenn mit dem Erscheinen der Biografie eine perfekt auf seine labile Psyche zugeschnittene PR-Kampagne anrollt, scheint eine neue Stufe in der Krankheitsgeschichte erreicht zu sein: Im Grunde ist das Gespräch mit der „Sunday Times“ der Vorbote der Tourabsage, die zwei Tage nach der Veröffentlichung erfolgte. Und es stellt sich die Frage, wie oft das Stehaufmännchen Robbie Williams seinen Dämonen noch trotzen kann. „One Love Manchester“ lautete das Motto des Konzerts vor drei Monaten. Zu Beginn und zum Ende seines Auftritts hatte Williams gemeinsam mit dem Publikum die Zeilen gesungen: „Manchester we're strong/we're still singing our songs.“

Es sieht nicht so aus, als ob er selber gerade daran glauben kann.

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