zum Hauptinhalt
Schöner Reisen? Rund 13 Stunden braucht der Nachtzug der ÖBB von München nach Rom. Von Mannheim bis Berlin ist der Zug gut sechs Stunden unterwegs. Die Betten sind relativ neu, Frühstück ist im Ticketpreis enthalten.

© Harald Eisenberger/dpa

Auf der Schiene unterwegs: Wie die Deutsche Bahn ihre Nachtzüge schlechtgerechnet hat

Im Bahn-Vorstand haben Nachtzüge keine Lobby, vor einem Jahr gab der Konzern das Geschäft an die österreichische ÖBB ab. Und die ist erfolgreich mit Nachtverbindungen auch in Deutschland unterwegs.

Matthias Gastel hat eine Zugfahrt vor sich. Er kann sich freuen, die überhaupt antreten zu können. Vor zwei Jahren sah es ganz danach aus, als hätte sich nächtliches Reisen mit der Bahn für den Bundestagsabgeordneten der Grünen erledigt. Da hatte die Deutsche Bahn (DB) verkündet, alle eigenen Nachtreisezüge einzustellen. Zum Glück für den 46-Jährigen sind die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) auf den Zug aufgesprungen. Gastel steht gegen Mitternacht am Bahnsteig im Mannheimer Hauptbahnhof. Auf Gleis zwei fährt der Euronight 470 nach Hamburg Altona über Berlin Hauptbahnhof ein. Das ist seine Verbindung, der bahnpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion muss in die Hauptstadt.

„Nightjet“ nennen die ÖBB ihre rollende Unterkunft. Gastel wuchtet seinen Rollkoffer in den Waggon mit der Nummer 305, ein Doppelstock-Schlafwagen. Viermal ist er in diesem Jahr schon Nachtzug gefahren. „Das ist Reisekultur“, schwärmt er. In den 1870er-Jahren fuhren die ersten Schlafwagen von Berlin an die belgische Nordseeküste. Es folgten Verbindungen nach Frankfurt, Basel, Wien, Paris.

Doch die DB-Konzernspitze habe den Nachtreiseverkehr nicht gewollt, sagt Gastel. „Lieblos, konzeptlos und fantasielos“ habe die DB ihre Nachtzüge betrieben. Die Vermarktung sei „einfach traurig“ gewesen, am Schalter hätten viele Mitarbeiter keine Ahnung von den Angeboten gehabt. „Man hat immer gespürt, dass der Nachtzug ein sehr ungeliebtes Kind war“, sagt ein Mitarbeiter aus der DB-Nachtreisesparte. Intercitys (IC) oder ICE-Züge sind einfacher zu organisieren als Schlafwagen. Je schlechter die Bahn den Nachtzug behandelte – gut ausgelastete Linien zusammenstrich, den Speisewagen abschaffte, am Frühstück sparte – desto mehr Fahrgäste hat sie vergrault.

Matthias Gastel ist bahnpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion und passionierter Bahn-Fahrer.
Matthias Gastel ist bahnpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion und passionierter Bahn-Fahrer.

© picture alliance / Uli Deck/dpa

Die Bahn muss sich auch vorwerfen lassen, Fakten rund ums Nachtzuggeschäft falsch dargestellt und die Zahl der Nutzer kleingerechnet zu haben. Matthias Gastel hat auf einem schwarzen Sessel in seiner Kabine Platz genommen. Die ist klein, aber gemütlich und bietet den Komfort, den auch ein Hotelzimmer hätte: eine eigene Toilette, Dusche, Esstisch, Bett und Panoramafenster. „Wenn man morgens in den Sonnenaufgang fährt, dann hat das was für sich“, begeistert sich Gastel.

Der Politiker wartet auf das Klopfen an der Kabinentür, mit dem sich die Service- Mitarbeiterin ankündigt. Nach zehn Minuten steht die junge Frau vor ihm, die ihn schon beim Einsteigen begrüßt hat. Gastel teilt ihr seine Frühstücksbestellung und seine Weckzeit mit. Damit wartet auf Gastel nur noch das himmelblau bezogene Bett in der Ecke des kleinen Zimmers. Den Apfel-Birnen-Saft, den Sekt und die Hausschuhe, die vor ihm auf dem Tisch stehen, braucht er nicht.

Die Österreichischen Bundesbahnen geben sich mit großen und kleinen Neuerungen Mühe, die deutschen Kunden von ihrem Nightjet zu überzeugen. Sie akzeptieren die deutsche Bahncard. Liegewagenreisende bekommen anders als bei der DB ein kostenloses Frühstück. Die Waggons bekamen neue Betten. Die Österreicher haben sich zu einem europäischen Spezialisten für Nachtzüge aufgeschwungen.

„Bereits im ersten Jahr haben wir 1,4 Millionen Fahrkarten verkauft, damit liegen wir im Plan“, heißt es bei den ÖBB. Selbst einen Gewinn sollen die Züge demnach schon im ersten Jahr einfahren. „Die Züge sind bei uns voll“, sagt Sylwia Strug. Die Zugführerin hat im vorderen Bereich des Euronight ihr Abteil. Es ist die einzige Kabine im Waggon, in der um drei Uhr noch Licht brennt. Strug sortiert Fahrgastlisten, Abrechnungen, Fahrpläne.

"Kaputtrechnen gilt nicht", steht auf einem Aufkleber

Der Zug hält an einem leeren Bahnsteig in Kassel Wilhelmshöhe. Sylwia Strug springt auf. Mit einem Kaffee in der Hand eilt sie nach draußen in die kalte Nacht, um das Heißgetränk dem Lokführer an der Spitze des Zugs zu bringen. Den roten Sticker, an dem sie auf dem Gang vorbeihuscht, ignoriert Strug. Doch wer nicht jeden Tag im Nachtzug arbeitet, dem sticht der knallrote Aufkleber sofort ins Auge. Nachtzugbefürworter haben ihn dort hin geklebt. „Kaputtrechnen gilt nicht!“ steht darauf. Es ist ein Überbleibsel aus der Zeit, als der Liegewagen bei der DB im Einsatz war. Nun haben die Nachtzüge der ÖBB Fahrt aufgenommen.

Doch auch die Deutsche Bahn war näher dran am Erfolg, als manche glauben – hätte sie sich nicht diverser Rechentricks bedient, die die Nachtverbindungen unwirtschaftlicher dastehen ließen, als sie wirklich waren. Das Datenmaterial, das dem Tagesspiegel vorliegt, beinhaltet auch dazu zahlreiche Auffälligkeiten, allen voran zum vermeintlich gewachsenen Defizit der DB-Nachtzugsparte. Demnach betrug dort 2012 das Minus ausgenommen der Autozüge 10,9 Millionen Euro. Zuständig für den Nachtreiseverkehr war zu diesem Zeitpunkt die DB Autozug AG, eine DB- Fernverkehrs-Tochter. Für die Muttergesellschaft führte DB Autozug auch die IC-Pendlerwagen mit. Weil Personal, Lok, Trasse und andere laufende Kosten von DB Autozug bezahlt wurden, durfte die Tochter die Ticketeinnahmen aus den IC-Pendlerwagen behalten.

In den Bilanzen wurde die Nachtzüge regelrecht verschoben

Das änderte sich 2013, als die Bahn DB Autozug auflöste und in DB Fernverkehr aufgehen ließ. In einer Wirtschaftlichkeitsrechnung der Nachtzüge von April 2014 verbuchte die DB für das vorherige Jahr ein Minus von 18,3 Millionen Euro. Das Defizit hatte sich also um 7,4 Millionen Euro verschärft – so die Schlussfolgerung aus den Dokumenten.

In dieser Aufstellung nicht berücksichtigt sind allerdings rund 5,4 Millionen Euro Erlöse aus den Pendlerwagen, die nun anderswo verrechnet wurden - vermutlich im Tagesreiseverkehr. Hinzu kommen 3,8 Millionen Euro zusätzliche Aufwendungen für allgemein gestiegene Ausgaben im Management und eine geänderte Kostenverteilung wegen der Einstellung von Autozug-Linien. Von tatsächlich zunehmenden Verlusten der Nachtzüge kann also kaum die Rede sein. Ein DB-Insider kommentiert das so: „In den Bilanzen können Sie schieben und jonglieren, wie Sie wollen.“

In Hinblick darauf wirft besonders das Jahr 2014 weitere Fragen auf: Hier soll sich laut DB-Angaben das Defizit noch einmal im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt haben: auf 37 Millionen Euro. Verkehrsexperten lässt das ratlos zurück: „Es gab nach unserem Eindruck keinerlei äußeren Einflüsse für diesen Anstieg“, sagt Matthias Kurzeck, Vorstandsmitglied des Verkehrsclubs Deutschland (VCD) und der „Allianz pro Schiene“. Weiterhin stiegen von 2014 auf 2015 die Kosten für die Fahrzeugwartung um mehrere Millionen Euro – obwohl die Bahn genau zu diesem Zeitpunkt die reparaturanfälligsten Wagen aussortiert hatte.

Österreicher kündigen neue Schlafwagen an

Skurril mutet auch ein 2014 angekündigtes Sanierungskonzept an. Die veränderten Rahmenbedingungen galten ab Ende 2015. Mit dem Wegfall der Reservierungspflicht für Sitzwagen erlebte der Nachtreiseverkehr tatsächlich einen Boom. Doch da war es bereits zu spät: Kurz bevor das Programm überhaupt ins Rollen geraten war, hatte der DB- Vorstand für den Nachtzug alle Signale auf Rot gestellt.

Am Ende brachte die Einstellung der Nachtzugverkehre der DB zumindest eine Entlastung der Konzernbilanzen - eine Verlust-Sparte weniger. Doch auch daran lässt das interne Datenpaket zweifeln. Denn schon Mitte 2014 hatten sich Betriebswirtschaftler der Bahn mit der Abschaffung des Nachtzugs auseinandergesetzt. Die Erkenntnis: Hätte die DB 2013 die Züge aufs Abstellgleis geschoben, wären ihr dennoch zunächst weiterhin jährlich Kosten von rund 17 Millionen Euro entstanden - also in ähnlicher Höhe wie die angegebenen Verluste der Nachtzüge in jenem Jahr. Erklären lässt sich das durch die verbleibenden Abschreibungskosten, den Weiterbetrieb der Lokomotiven und durch einen Wartungsvertrag mit einer externen Firma in Höhe von 5,6 Millionen Euro. Der läuft noch bis 2020, so steht es in den Unterlagen.

Die DB wollte auf Anfrage zu diesen Angaben nicht Stellung nehmen. Und die ÖBB? Für rund 230 Millionen Euro haben die Österreicher neue Schlafwagen angekündigt, rollen sollen die Waggons in drei bis vier Jahren. Dann sei auch eine „Ausweitung des Angebots“ möglich. Im Raum steht beispielsweise Kopenhagen als „interessantes Ziel“.

Johannes Hirschlach

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false