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Brandenburg: 50 Jahre EKO Stahl: Marmor, Stahl und Eisen - eine Stadt sucht ihre Identität

Wird Gerhard Schröder einen Helm aufsetzen? Wird Manfred Stolpe zur Axt greifen wie seinerzeit Industrieminister Fritz Selbmann?

Wird Gerhard Schröder einen Helm aufsetzen? Wird Manfred Stolpe zur Axt greifen wie seinerzeit Industrieminister Fritz Selbmann? Oder zur Fackel wie 1993, als er die Mahnwache zum Erhalt von EKO-Stahl unterstützte? Am 18. August vor 50 Jahren wurde zwischen Fürstenberg und Schönfließ symbolisch die erste Fichte gefällt. Es war der Startschuss für das größte Stahl- und Roheisenwerk der DDR. EKO-Stahl feiert Jubiläum, Eisenhüttenstadt feiert mit.

Das Werk lädt am Sonnabend zum Tag der offenen Tür. Nena singt von 99 Luftballons, das russische Nationaltheater und ein polnisches Orchester bieten östliche Impressionen. Der Stahlgigant tut viel für die Stadt. Er beschenkt die Stadt mit einer Mehrzweckhalle und einer Reihe von Stahlskulpturen. Internationale Künstler hatten sie in einem Pleinair gebaut. Aufgestellt wurden die großformatigen Arbeiten Anfang der Woche an der Lindenallee, die bis zur Wende Leninallee hieß. Sie führt vom Rathaus geradewegs zum Werkstor. Die Skulpturen scheinen die Eisenhüttenstädter mehr zu bewegen als die ganzen Feierlichkeiten - sie sind Zielscheibe für Spott und Randale. In der nächsten Woche feiert die Stadt: mit der Rockband BAP und Volkstümlichkeit, mit Trabant und Keimzeit, den Prinzen und Gerhard Schöne. Auf den Plakaten zum Jubiläum lacht ein Junge begeistert in die Kamera. Das ist ein seltenes Bild, es scheint nicht recht zu Eisenhüttenstadt zu passen. Vor 50 Jahren noch nicht - da war hier so etwas wie Goldgräberstimmung und auf den Baustellen kein Platz für Kinder. Und heute nicht mehr - in den vergangenen 10 Jahren sind rund 10 000 meist junge Leute ausgewandert. Die Stadt an der Oder bietet nicht mehr die Perspektiven wie zuvor. In diesem Sommer schließen die ersten vier von 15 Schulen. Über den Abriss von Häusern werden im Wohnungsamt gerade Pläne erstellt. Eine Hochschule hat die Stadt nicht aufzuweisen. Nach dem Arbeiteraufstand im Juni 1953, an dem sich auch Arbeiter der damaligen Stalinstadt beteiligten, wurde statt der geplanten Hochschule für Metallurgie der Wohnkomplex VI gebaut. Gerade eine Fachschule steht seit den 90ern für höhere Bildung. Aber die Studentinnen der Gesundheitsberufe werden nicht heimisch; an den Wochenenden ist das Wohnheim wie ausgestorben. Keine Spur mehr von Aufbruchstimmung wie in den 50ern und 60ern.

Die Sanierung des Werkes brachte keinen wesentlichen Umschwung. Bis Ende 1994 war die Zukunft des Eisenhüttenkombinats Ost in der Schwebe. Heute schreibt EKO-Stahl unter dem Dach der französischen USINOR-Gruppe schwarze Zahlen. Der Volkswagen-Konzern bescheinigte dem Werk im vergangenen Jahr mit dem Corporate Supplier Award, zu seinen besten Lieferanten zu zählen. Von ehemals 12 000 Arbeitsplätzen im Kombinat blieben 2500. Durch Ausgliederung und Vorruhestand soll niemand entlassen worden sein. Aber das Herz der Stadt schlägt seit der Privatisierung nur noch mit halber Kraft. Viele Bürger können mit der Weltoffenheit des Konzerns nicht mithalten. Früher sei alles ganz anders gewesen. Das Wort hat Inflation in der Stadt. Da gab es noch genug Arbeit und Ausbildung. Die alte Leier. "Warum müssen die jedes Jahr 50 Lehrlinge aus Polen ausbilden?" fragt der Wirt der Kneipe "Zur letzten Instanz". Die Stammgäste schimpfen und lästern, als gebe es noch die zentralistische Regierung, die für alles verantwortlich und rechenschaftspflichtig sei.

Früher hat es auch keine abstrakten Stahlplastiken gegeben. Straßen, Plätze und Höfe sind voller Kunstwerke. Der Unterschied: sie sind von früher, im Stil des sozialistischen Realismus. Ist die "erste sozialistische Stadt" die letzte übrig gebliebene? Stehen gut 90 Prozent kommunal verwaltete Wohnungen als Zeichen für zentralistische Verwaltung und Volkseigentum? Versprühen die Häuser, die aussehen wie kleine Schwestern der Berliner Karl-Marx-Allee, weiterhin Stalins Kollektivgedanken? Mitnichten. Die Stadt hat sich gewandelt. Vielleicht dauert das Umdenken gerade hier etwas länger als anderswo. Ein mit EU-Mitteln gefördertes Dokumentationszentrum "Alltagskultur der DDR" setzt vorsichtig Zeichen gegen die Ostalgie. Die evangelische Kirche, in den ersten drei Jahrzehnten vom Staat stark in ihrer Arbeit behindert, hat ein normales Gemeindeleben entwickeln können. Sie kümmert sich heute auch um die Bewohner der Zenralen Aufnahmestelle für Aussiedler und des Abschiebegefängnisses. In allen Schulen sind Sozialarbeiter beschäftigt, und Jugendzentren bieten Kurse und Fahrten. Vielleicht muss man in "Hütte", wie die Einwohner ihre Stadt nennen, die Welt noch weiter öffnen, um mehr Weltoffenheit zu erreichen. Eine Verbindung zu Polen besteht nicht mehr. Die Oderbrücke, 1919 erbaut, wurde von den Deutschen 1945 zerstört. Der nächste Übergang in Frankfurt/Oder wird stark genutzt - wenn auch nicht zur Völkerverständigung, so doch zur Ersparnis von Tabak- und Mineralölsteuer.

Die Perspektive der Stadt, die wirtschaftliche wie die soziale, hängt weiter von EKO-Stahl ab. Die Entscheidung für den Standort Eisenhüttenstadt geht übrigens auf Walter Ulbricht zurück. Ihm saß die Bedrohung durch westdeutsche Raketen im Nacken. Bis hierher waren es 15 Minuten Warnzeit bei Bedrohung aus dem Westen. Vielleicht braucht die Stadt 15 Jahre, um die Angst vor dem Westen endgültig zu verlieren.

Holger Klemm

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