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Brandenburg: 600 Kilometer für eine Zukunft

Wer für einen Job wegzieht, bekommt 2500 Euro. Kristin aus Lübbenau ging nach Bonn – und will bald wieder zurück

Von Mandy Schielke

Lübbenau. Kristin Bräsemann war diesmal nicht beim Spreewaldfest. Zum ersten Mal nicht. Es hätte sich nicht gelohnt, von Bonn in den Spreewald für einen Abend. In Bonn arbeitet Kristin Bräsemann seit Januar als Wirtschaftsjuristin. Ihre Wunsch war das nicht: Fast 100 Bewerbungen hat die 24-Jährige geschrieben. Zuerst nur für Berlin und Brandenburg: „Aber da war nichts zu machen, weil die Firmen immer nur Leute suchen, die schon Berufserfahrungen haben", sagt Kristin. Schon während des Studiums habe sie sich an den Gedanken gewöhnt, für den Job weggehen zu müssen, gibt sie zu. Übers Internet hat sie dann die Stelle bei dem Versicherungsunternehmen Deutscher Herold gefunden. Cost Controlling, die Überwachung des Haushalts. Arbeitsort Bonn.

Am Abend vor dem Umzug sind die Bräsemanns in ein Fischrestaurant gegangen. Ihr Vater möge die Hausmannskost, sagt die Tochter mit schmalem Lächeln. Klaus Bräsemann ist Elektriker. Am Wochenende fährt er mit seinem Kahn Touristen durch die engen Spreewaldkanäle. Er habe von ihr erwartet, dass sie den Mut aufbringt, allein in den Westen zu gehen, erzählt Kristin. „Auch wenn er es nicht offen gesagt hat.“ Jetzt sind beide Töchter aus dem Haus. Kristins jüngere Schwester Stefanie studiert seit einem Jahr in Berlin.

Dabei wollte Kristin nie richtig weg von Zuhause. Einmal ist sie während der Schulzeit vier Wochen mit einer Freundin durch Frankreich gereist. Das war schon lange. Mit ihrem Freund Lars, der Bauphysik studiert hat, ist sie seit fünf Jahren zusammen. Im letzten Sommer waren sie gemeinsam in Ägypten, schnorcheln. Ein Auslandssemester während des Studiums, das kam schon wegen Lars für sie nicht in Frage.

Den Umzug nach Bonn hat das Arbeitsamt bezahlt. 2500 Euro bekommt jeder, der dort hinzieht, wo es Arbeitsplätze gibt, und das sind meistens die alten Bundesländer. Bislang haben nahezu 12500 Brandenburger die Abwanderungsprämie kassiert. Über die Prämie hat Kristin schon vor zwei Jahren aus der Zeitung erfahren. Beim Arbeitsamt musste sie den Arbeitsvertrag vorlegen und schriftlich begründen, welche Auslagen auf sie zukommen würden. Von dem Geld hat sie sich dann Möbel für die neue Wohnung außerhalb von Bonn gekauft: „Ist zwar klein, aber wenigstens im Grünen", sagt Kristin Bräsemann über ihr neues Zuhause. Für das Zugticket nach Hause hat die Prämie auch noch eine Weile gereicht. Ein- bis zweimal im Monat fährt sie zu ihrer Familie. Mit der Bahncard kostet die Fahrt nach Lübbenau und zurück knapp 60 Euro. Der Zuschuss freut sie. Nötig sei er aber nicht. Auch nie gewesen: Sie wäre auch ohne die Prämie weggezogen. Letztlich habe sie keine Wahl gehabt, sagt die junge Frau: „Man muss eben dahingehen, wo es eine Perspektive gibt." Kristin klingt dabei so unbeteiligt wie eine Mitarbeiterin aus dem Arbeitsministerium. Als ginge es gar nicht um sie selbst. Oft spricht über sich und ihr neues Leben in der unbestimmten dritten Person. „Man kann es sich eben nicht immer aussuchen", sagt Kristin. Da ist sie wieder, diese unpersönliche Form.

Freundschaften hat sie in Bonn noch nicht geschlossen. „An der Uni war es leicht, Freunde zu finden, aber im Arbeitsleben ist das einfach schwieriger", sagt Kristin.

Ihr Freund Lars will auch bald nach Bonn ziehen und Arbeit suchen. „Da denke ich dran, wenn ich mich doch manchmal einsam fühle", sagt sie, und dass sie aber nicht für immer im Rheinland bleiben wolle. Dass es wieder zurückgeht. „Meine Zukunft, in der ich auf jeden Fall eine Familie gründen will, sehe ich nicht 600 Kilometer von Lübbenau entfernt", sagt Kristin. Sie vertraut darauf, dass sich der Arbeitsmarkt auch im Osten irgendwann stabilisiert. Nur wann das soweit sein wird, weiß sie nicht.

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