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Ursula Meissner

© Promo

Kriegsfotografie: „Zum Glück weiß man nie, was passiert“: Ursula Meissner im Interview

Ursula Meissner ist Kriegsfotografin. Ein Interview über ihre Arbeit in Krisengebieten, Zensur und Angst. Das, was Anja Niedringhaus zugestoßen ist, hätte auch ihr passieren können.

Frau Meissner, wo sind Sie gerade?

In Wörrstadt, meinem Wohnort. Das ist eine Kleinstadt bei Mainz. Dort ist es sehr idyllisch, außerdem bin ich sehr schnell am Frankfurter Flughafen. Gerade bereite ich eine Reise nach Jordanien vor, um im größten Lager für syrische Flüchtlinge zu fotografieren.

Im April ist Ihre Kollegin Anja Niedringhaus in Afghanistan erschossen worden, danach eine junge französische Fotoreporterin in der Zentralafrikanischen Republik. Ist dieser Job für Frauen gefährlicher als für Männer?

Nein. Es ist halt noch immer außergewöhnlich, dass Frauen diese Arbeit machen, und wenn sie dann getötet werden, wird in den Medien natürlich besonders darüber berichtet. Tatsächlich sind aber auch schon viele männliche Kollegen umgebracht worden. Dennoch versuche ich mich immer so anzuziehen, dass ich nicht auf den ersten Blick als Frau erkannt werde. Ich hatte aber auch sehr viel Glück. In Libyen bin ich mitten in die Front geraten, weil mein Fahrer da einfach reingefahren ist, obwohl ich das gar nicht wollte.

Warum fotografieren Sie ausgerechnet in Kriegsgebieten?

Ich mache dort Bilder, um Menschen dazu zu bringen, etwas zu verändern. Und ich habe herausgefunden, dass ich in schwierigen Situationen sehr gut reagiere und oft zu Aufnahmen komme, die meine männlichen Kollegen nicht bekommen. In Sarajewo haben mich Kollegen sogar vorgeschickt, um Heckenschützen zu fotografieren. Von Männern ließen die sich nicht fotografieren, aber sie fanden es toll, dass da eine große Blondine aus Deutschland kommt, um Fotos von ihnen zu machen.

Also ist es sogar von Vorteil, als Frau in diesem Beruf zu arbeiten?

Durchaus. Das liegt wohl auch daran, dass man als Frau oft unterschätzt wird.

Sie kannten Anja Niedringhaus. Haben Sie nach ihrem Tod darüber nachgedacht, den Job an den Nagel zu hängen?

Keine Sekunde. Ich war natürlich schockiert, als ich von Anjas Tod erfuhr. Und er berührt mich noch immer sehr. Ich weiß, das hätte auch mir passieren können. Anja war ja ähnlich erfahren wie ich. Zum Glück weiß man nie, was passiert. Als ich das erste Mal auf dem Boden lag, und zitterte, weil neben mir Granaten einschlugen, habe ich mir geschworen: Ich mache das nie wieder. Aber dann begegnen einem die Menschen, die unter Kriegen leiden, und man sieht Kinder, die apathisch sind und nicht mehr die Kraft haben zu weinen. Und dann geht man wieder hin, um weiter darüber zu berichten.

Wie verkraftet man solche Begegnungen?

Es gibt viele Bilder, die man nicht mehr los wird. Man muss zwischendurch etwas anderes machen, um den Kopf freizubekommen. Anja Niedringhaus hat zum Beispiel gern in Wimbledon fotografiert. Ich mache Porträtfotos oder auch Reisereportagen. Direkt nach einem Bosnienaufenthalt während des Krieges war ich mit einer Schweizer Kollegin für eine Reisereportage in Süditalien unterwegs. Das war eine kleine heile Welt – wie im Märchen. Anfangs fühlte ich mich wie in einem Vakuum. Ich kam aus dem zerstörten Sarajewo und wurde da so reingebeamt. Ich brauchte lange, bis ich das überhaupt aufnehmen konnte. Mir hilft auch, dass mein Leben in Deutschland eher langweilig ist. Ich suche nach dem Ruhigen und Schönen, freue mich über meinen Rosengarten und mein tolles Blumenbeet.

Hat sich Ihre Arbeit in den vergangenen Jahren verändert?

Der Druck ist viel größer geworden. Früher flog man nach Hause, um seine Filme zu entwickeln. Durch die digitale Fotografie und Satellitenverbindungen kann man nun aber von jedem Ort der Welt praktisch in Echtzeit Fotos schicken. Und die Redaktionen verlangen das dann natürlich auch. Die Nachricht kommt über den Ticker, und dann soll das Bild auch da sein. Und morgen kommt eine neue Nachricht, und man muss auf einen anderen Kontinent fliegen. Früher konnte man sich außerdem freier bewegen. Heute riegeln Truppen ganze Orte ab und gewähren nur Journalisten Zugang, die sich ‚embedden’ lassen. Das heißt, man bekommt nur zu sehen, was die jeweiligen Truppen einem zeigen, was sie in einem guten Licht erscheinen lässt. Dadurch ist die Berichterstattung einseitiger geworden. Ich versuche, das zu umgehen und meinen Auftraggebern möglichst nur unzensierte Bilder zu bringen.

Camille Lepage, eine 26-jährige französische Kollegin von Ihnen, wurde erschossen, als sie in Zentralafrika Milizen begleitete, die unterwegs waren, um ein Massaker zu verüben. Hat sie da nicht moralische Grenzen überschritten?

Ich hätte so etwas nicht gemacht, denn oft agieren Kämpfer vor einer Kamera besonders schlimm. Sie wollen dann zeigen, wie tapfer sie sind. Ich hätte vielleicht nach den Kämpfen Fotos gemacht. Aber wahrscheinlich brauchte sie extreme Bilder, um etwas verkaufen zu können. Es ist halt schwer, etwas zu bringen, was noch nicht gezeigt wurde. Und dann geht man eben ein höheres Risiko ein.

Also gibt es eine Jagd nach immer spektakuläreren Bildern?

Auf jeden Fall. Als ich zum ersten Mal das größte Flüchtlingslager für Syrer in der Wüste Jordaniens besucht habe, musste ich die Bilder anbieten wie Sauerbier. Dabei ist das Leben in diesem Lager schrecklich. Die Menschen leben in totaler Abhängigkeit, es gibt nicht einmal genug Lebensmittel. Aber das will niemand zeigen. Wenn ich das Risiko eingehen würde, nach Syrien zu fahren, um den Krieg selbst zu fotografieren, würde ich die Bilder sicher besser verkaufen.

Was war Ihr bisher schlimmstes Erlebnis?

In Sri Lanka bin ich von tamilischen Kindersoldaten festgehalten worden. Mein großes Trauma habe ich aber erlebt, als ich in Afghanistan entführt wurde. Das waren Kriminelle, die Geld wollten. Hätte ich welches dabeigehabt, hätten sie mich vielleicht einfach umgebracht. Ich habe noch immer die Szene vor Augen, als meine Begleiter in einer Hütte von mir getrennt wurden und einer der Entführer den Riegel an der Tür hochschob. Da stirbt man vor Angst, weil man weiß, jetzt kann alles passieren. Ich habe ihnen gesagt, mein Geld sei in meinem Büro in Dschalalabad, das ist im Nordosten Afghanistans, und dort könnte ich es Ihnen geben. Darauf haben sie sich eingelassen, das war meine Rettung. Aber in solchen Situationen passieren manchmal auch unfassbare Dinge. Als wir in Dschalalabad angekommen waren und sie das Geld bekommen hatten, holte einer der Entführer plötzlich aus der Westentasche ein Passbild und fragte mich, ob ich so ein Bild von ihm machen könne. Das sollte ich ihm später vorbeibringen. Am Ende haben wir dann sogar noch ein Bild von uns zusammen gemacht.

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