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Zu sicher? Angela Merkel.

© Reuters

Die Wahlkampfbeobachter (19): Passt auf im Kanzleramt!

Alles längst entschieden? Von wegen. Schon oft änderte sich kurz vor der Wahl noch einmal die Stimmung im Land. Vor allem eines fürchtet die regierende Koalition deswegen nun: die Unentschiedenen.

Ganze 6000 Stimmen. So viel lag die SPD bei der Bundestagswahl 2002 vor der Union. Das war knapp für Gerhard Schröder und trug zum Ende der Kanzlerträume von CDU/CSU-Kandidat Edmund Stoiber bei. Man muss daran denken in diesen Tagen, in denen der Stoiber Edi als Waldschrat mit langem Zauselbart und Hund in einem Wahlspot Werbung macht für seine Partei.

Immer montags bis freitags erscheint die Kolumne "Die Wahlkampfbeobachter".
Immer montags bis freitags erscheint die Kolumne "Die Wahlkampfbeobachter".

© Cicero/Daxer

Da ist also noch einiges drin in diesem Wahlkampf, der für die Auguren der Macht doch schon gelaufen sein soll. Auch die Spin-Doktoren in ihrem Wahlkampfbunker im Kanzleramt wissen es besser – und vibrieren nervös, sobald sich in der Öffentlichkeit ein neues Thema abzuzeichnen beginnt. Auf die Performance der letzten Wochen kommt es an, wissen sie. Und vor allem weiß es die Bundeskanzlerin. Denn rechnen kann die Mathematikerin der Macht allemal – und ein gutes Gedächtnis hat sich auch. Nichts ist entschieden vier Wochen vor der Wahl, diese Lehre hat Angela Merkel garantiert nicht vergessen. Und die Wähler sollten sich auch erinnern.

Verlieren auf der Zielgeraden

Einen Monat vor der Wahl 2005 nämlich rechneten 60 Prozent aller Wähler mit einem Wahlsieg der Herausforderin Merkel, fanden die Demoskopen heraus, nur acht Prozent glaubten an eine Mehrheit für Gerhard Schröder. Das war die höchste gemessene Differenz seit dem Wahlsieg Helmut Kohls im Jahre 1983: Ein supersicheres Polster für Merkel. Es kam anders. Am Wahlabend war jedenfalls heftiges Fingernägel knabbern bei der CDU/CSU-Spitzenkandidatin angesagt: Gegenüber allen Prognosen vier Wochen vor dem Wahltag verlor die CDU fast sieben Prozent und lag nur noch knapp vorn.

Da war Merkel in unguter Kontinuität. Auch Stoiber verlor 2002 auf der Zielgeraden vor der Stimmabgabe noch geradezu dramatisch die Poleposition gegenüber Rot-Grün. Darin haben die Christdemokraten inzwischen fast so etwas wie eine Tradition. Seit über 20 Jahren gab es keine Bundestagswahl, bei der CDU/CSU in den letzten Wochen noch hinzugewonnen hätten in der Wählergunst: Von nun an geht’s bergab.

Vor allem eines fürchtet die regierende Koalition deshalb in diesen Tagen: die Unentschiedenen. Und dazu zählen je nach Einschätzung von Wahlforschern zwischen 40 bis 50 Prozent. Beunruhigen kann und soll das nur die Parteien. Für die bewussten Wähler gilt: Je mehr es sind – um so besser. Lasst sie zittern, lasst sie die Macht der Unentschiedenen spüren. Ist es wirklich wahr, dass der Trend kein Genosse mehr ist? Da dürfen die Wahlforscher längst nicht sicher sein. Auch 1998, als Rot-Grün mit deutlichem Vorsprung Helmut Kohl in die Rente schickte, gaben vier Wochen vor der Wahl fast 50 Prozent der Wähler an, sich noch nicht entschieden zu haben.

Die Macht der wenigen Stimmen

Sie haben es in der Hand!, plakatiert die SPD. Genau. Zumindest hier hat SPD-Kandidat Peer Steinbrück mal Recht. Auf den Wähler kommt es schließlich an. Macht den Parteien Dampf, macht sie nervös. Ihr sagt uns nicht, was ihr nach der Wahl genau vorhabt? – von Griechen-Hilfe bis Steuererhöhungen. Dann sagen wir entschiedenen Unentschiedenen euch und euren Stimmungsausforschern auch nicht, was wir vor der Wahl über euch denken! Wo alle Parteien sich im Ungefähren der politischen Mitte herumdrücken, können die bewussten Unentschiedenen die Parteien in Bewegung bringen. Zwingt die Parteien, die Karten auf den Tisch zu legen; grillt sie, bis sie Farbe bekennen.

Schon 6000 Stimmen können entscheidend sein. So viel zur Macht von Wählerstimmen, liebe Nichtwähler. Nix da mit: Ich kann eh nichts ändern, es kommt nicht auf meine Stimme an. Passt bloß auf im Kanzleramt!

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