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Affären: Potsdams preußische Amigos

Affären, Filz, Rücktritte und Razzien: In Potsdam ist seit Monaten nichts mehr heil. Die Schnittstelle in dem Verwirrspiel bildet der SV Babelsberg 03. Es laufen Wetten, wen die Affären womöglich noch alles mitreißen werden.

Als die beiden Männer miteinander telefonierten, war Potsdams Welt noch nicht aus den Fugen. Im Gegenteil, es gab einen wirklich schönen Anlass für die denkwürdige Videokonferenz, damals im Frühsommer 2009, deren Mitschnitt später offiziell vorgeführt wurde. Dank eines großzügigen älteren Herrn konnte Brandenburgs künftiges Landtagsgebäude plötzlich doch mit der historischen Fassade des Knobelsdorff’schen Stadtschlosses verziert werden. Der Etat hatte das zuvor nicht zugelassen. 20 Millionen Euro hat der Spender aufgebracht. Eine Summe auch für Hasso Plattner, 67 Jahre, „Mister SAP“, geschätztes Vermögen laut „Forbes“ 6,9 Milliarden US-Dollar, Wohnsitze in Amerika, Südafrika und am Griebnitzsee. Da er gerade nicht in seiner Wahlheimat an der Havel weilte, saß er nun um sieben Uhr Ortszeit im kalifornischen Palo Alto vor dem Bildschirm, um aus der Ferne grünes Licht für die Pläne der Architekten zu geben.

„Guten Morgen, Herr Minister, ist es ein Prachtkind geworden?“, fragte Plattner. Und dann schwärmte und schwärmte er, der die schönsten Flecken des Erdballs kennt, von der „Augenweide Potsdam“, wollte gar nicht mehr aufhören damit. Als Plattner irgendwann die Mahnung einstreute, dass man rings um das Stadtschloss nun nicht gleich alles im Barockstil rekonstruieren sollte, pflichtete ihm sein Gegenüber bei, auf seine Art. „Det iss meene Befürchtung.“

Dann wurde Rainer Speer, damals noch Finanzminister, förmlich. „Wir ham beede ’n Vertrach mitenander. Ick persönlich hab ’n reines Jewissen. Ick hab’ ihn erfüllt.“ Was ihm Plattner, der sich zwischendurch dabei ertappt hatte, das Schloss wie der Minister „Ding“ genannt zu haben, ausdrücklich bestätigte.

Genauso war es, so wurde der Aufbau des Stadtschlosses besiegelt.

Die Szene ist ein Sinnbild für Potsdam und für die beiden Hemisphären, die die beschauliche Landeshauptstadt im Südwesten Berlins prägen. Für das Bürgerliche und das Proletarische. Seit 1990 erlebt die Stadt der Preußenkönige und Baumeister eine rasante Renaissance. Entgegen dem allgemeinen Abwanderungstrend aus den östlichen Bundesländern gen Westen haben sich zehntausende Neu-Potsdamer in umgekehrter Richtung auf den Weg gemacht. Sie sind angekommen in dieser Idylle, die schon der Große Kurfürst zu einem „Paradies“ machen wollte, und bilden zusammen mit den Alteingesessenen einen sehr, sehr speziellen Mikrokosmos.

Es liegt nicht an ihnen, dass in Potsdam plötzlich der Teufel los ist. Aber ohne Potsdam als Sehnsuchtsort lässt sich vielleicht nicht verstehen, dass seit Monaten in Potsdam nichts mehr heil ist. Meldungen um Affären, Filz und Klüngel, um Rücktritte und Razzien wollen nicht abreißen – und nun auch noch die Festnahme von Axel Hilpert, einem der schillerndsten Geschäftsmänner Brandenburgs. Da gibt es etwa das dubiose Immobiliengeschäft beim Verkauf des landeseigenen Krampnitzer Kasernengeländes, die verdeckte Förderung für einen Fußballverein, und in beiden Fällen war Landesminister Speer die zentrale Figur.

Begonnen hatte es damit, dass Rainer Speer der Laptop samt brisanten Interna geklaut, manche sagen auch: nicht wiedergegeben wurde. Die Umstände des Verlusts sind mysteriös geblieben. Noch immer ist unklar, wer da im Brandenburger Hintergrund die Fäden zieht und etwa dafür sorgte, dass kompromittierende E-Mails von der Festplatte des Speer-Computers den verschlungenen Weg in die Zeitung fanden. So wurde letzten September die Sache mit dem unehelichen Kind publik, für das er dreizehn Jahre keinen Unterhalt gezahlt hatte. Speer, ausgerechnet Speer, der da schon mit Vorwürfen um zu billig verkaufte Russenkasernen in Krampnitz zu kämpfen hatte, sofortiger Rücktritt, was sonst.

Vor ein paar Tagen musste der nächste gehen: Peter Paffhausen, Geschäftsführer der Potsdamer Stadtwerke. Der hatte eine von einem Ex-Stasi-Offizier geführte Berliner Detektei auf eine andere Stadtfirma ansetzen lassen, womöglich zur Vorbereitung einer Übernahme. Und prompt flog gleich mit auf, dass er auf krummen Wegen dem örtlichen Fußballverein SV Babelsberg 03 mit geheimen Bürgschaften ausgeholfen hat. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Untreue, die Firmenzentrale wurde vorige Woche durchsucht, Paffhausens Privatwohnung auch.

Krimi, Räuberpistole, Drama, Tragödie, Politthriller, es ist alles dabei. Und die Schnittstelle in diesem Verwirrspiel bildet ein merkwürdiger Fußballverein, SV Babelsberg 03, bei dem alles zusammenläuft. Gegründet 1903, untere Liga, die Farben Blau-Weiß. Bis zum Aufstand der Fans vor wenigen Tagen stand ihm Rainer Speer als Präsident vor und Peter Paffhausen als Aufsichtsratschef. „Nulldrei“, immer wieder „Nulldrei“. Und das wiederum erleben viele, die schon länger hier sind, als Déjà-vu.

Ein ähnliches Stück um diesen Verein, um Filz, um Machos und Moneten wurde schon einmal dargeboten, mit anderer Besetzung, und: eine Liga tiefer. Das war 1998, der Baustadtrat hieß Detlef Kaminski, Sozialdemokrat, auch er der starke Mann, zwar nicht in der Landesregierung, aber im Rathaus, und Präsident von 03, weil das hier offenbar üblich ist. Kaminski stürzte über Korruptionsvorwürfe und riss den Oberbürgermeister gleich mit. Schon damals ging das geflügelte Wort um, dass, wer in Potsdam etwas wolle, beim SVB einzahlen solle.

Schon damals wurden bohrende Fragen gestellt, selbst in einem Untersuchungsausschuss des Landtages. Etwa nach den Gründen, warum die Landesfirma LEG Wohnen als Hauptsponsor dieser Fußballtruppe auftrat, die außerhalb Potsdams kaum jemand kannte und später Insolvenz anmeldete. Das war vor acht Jahren.

Um herauszufinden, wie es möglich ist, dass sich die gleiche Geschichte jetzt wiederholt, die ganze Stadt schon wieder zugesehen hat, in Potsdam keine Alarmglocken schrillten bei der trickreichen Finanzierung desselben notorisch klammen Profivereins, landet man im Frühsommer 2003. Damals schaltet sich ein Mann in die Rettung des Vereins ein, der gerade ein Jahr Ministerpräsident und vorher Potsdams Oberbürgermeister war, ein Guter, wie die meisten immer noch finden, auf beiden Seiten der Stadt: Matthias Platzeck. Der ist die personifizierte Symbiose für das bürgerliche und für das proletarisch-ostdeutsche Potsdam. Hier der Arztsohn, sensibel, auf Stilfragen Wert legend, der die intellektuelle Konversation liebt. Bei ihm fand und findet sich das neue Bürgertum mit seiner Liebe zum alten Potsdam wieder. Und da der andere, der sich im Nowawser Arbeiterkiez der kleinen Leute, bei „Hiemke“ um die Ecke immer wohler fühlte als anderswo, der wie vor 1989 einige hundert Meter entfernt vom Karl-Liebknecht-Stadion wohnt, das hier alle „Karli“ nennen und nie jemand nach einem Sponsor umbenennen würde. Auf der Tribüne hat er seinen Stammstehplatz, kaum ein Spiel hat er versäumt.

Es liegt für Platzeck auf der Hand, Rainer Speer zum Präsidentenamt bei 03 zu drängen. Den Freund zu überreden, der damals Chef seiner Staatskanzlei war, ihm in brenzligen Situationen noch immer geholfen und die Machtübergabe durch Manfred Stolpe eingefädelt hat. Klar, dass Speer, nach einigem Zögern, zusagt.

Es ist also wie immer, wenn etwas zur Chefsache für Matthias Platzeck wird, es wird zu einem Fall für Speer. Beim Stadtschloss verfährt das Duo so. Und gemeinsam mit Sozialminister Günter Baaske, der Präsident der Frauenfußballerinnen von Turbine Potsdam ist, sorgt es schließlich dafür, dass das Kabinett trotz Warnungen acht Millionen Euro aus dem Konjunkturpaket II zur Sanierung des maroden Babelsberger Stadions bewilligt. Sie wissen, um Sport allein geht es nicht dabei, einen Klub zu bevorzugen, der ein Stück Identität für die Leute in Babelsberg, in der Potsdamer Platte ist. Noch immer wohnen die meisten Wähler hier.

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Auf den Stadionrängen trifft man fast nie Zuschauer aus dem feineren Teil Potsdams, aus den Villenvierteln und Gründerzeitvorstädten am anderen Havelufer. Die Trennlinie zwischen bürgerlichem, und „rotem“ Potsdam führt ziemlich präzise am SV Babelsberg 03 entlang. Liegt hier womöglich der Schlüssel für das, was geschah und immer noch geschieht? Ist das der tiefere Grund dafür, dass sie im Rathaus gerade wieder eine Notspritze von 700 000 Euro für den in Insolvenznot geratenen Club bewilligt haben?

Bekommt das eine Potsdam sein Wahrzeichen auf dem Alten Markt, und dem anderen wird eben sein Traditionsverein Babelsberg 03 erhalten, um der Balance willen? Schloss und Spiele für die zwei Identitäten der Stadt.

Es geht mit Speer, dem von Platzeck eingesetzten Retter, erstaunlich lange gut, ehe er sich verheddert und beinahe zum Totengräber wird. Als Fußballkönig macht er es wie in seinem Ministerjob, verlässlich, diskret, Verabredungen beim Rotwein und per Handschlag besiegelnd. Keiner fragt nach, solange die Gelder kommen. Und es sieht so aus, als ob es aufwärtsgehen würde mit 03, dem „St. Pauli des Ostens“, seitdem dieser Haudegen die Geschäfte führt. Er, Jahrgang 1959, passt zu dem Verein. Er, der mal Baumaschinenschlosser lernte, von der Offiziershochschule wegen politischer Unzuverlässigkeit flog, Möbel restauriert, einen Jugendclub geleitet hatte, ehe er in den Wendetagen die SPD mit aufbaute. In Brandenburgs Politik der Stolpe-Ära schoss er nach oben, wurde Staatssekretär, erster ostdeutscher Chef einer Staatskanzlei, Finanzminister und schließlich Innenminister. Ihn umgeben in der Vereinsführung ostdeutsche Aufsteiger, wie er einer ist, mit schillernden Biografien, Potsdams wilde Kerle.

Da ist Thilo Steinbach, Jahrgang 1963, den sie jetzt aus der CDU schmeißen wollen, weil sein Parteibuch das Bild der „roten“ Staatsaffäre stört. Der Unternehmensberater ist bis zu seinem Abgang Marketingchef im Vorstand. Als 25-Jähriger hatte er mit Chuzpe versucht, den DDR-Staatssicherheitsdienst in eine Art Katz-und-Maus-Spiel zu verwickeln. Er traf sich mit Stasi-Mitarbeitern, lehnte es ab, Leute „ans Messer zu liefern“. Später, 1990, begleitete er Lothar de Maizière als Berater bei den Zwei-plus-vier-Verhandlungen, ehe er in die Industrie wechselte, Geld, viel Geld verdiente. Heute lebt er einer Villa am Jungfernsee. Speer und Steinbach hatten sich Anfang der 90er Jahre kennengelernt, zufällig, in einem New Yorker Jazzklub.

Da ist der Lausitzer Frank Marzcinek, Jahrgang 1961, CDU, der erst später dazustößt und im SVB-Vorstand für Bauen zuständig ist. Eigentlich gehört seine Leidenschaft dem Kampfsport, Karate, Träger des schwarzen Gürtels. Er war NVA-Offizier, an der Militärakademie Dresden, nach den Akten Stasi-IM, auch er in der Regierung de Maizière damals, Staatssekretär für Abrüstung unter Verteidigungsminister Rainer Eppelmann, ehe er in der Wirtschaft durchstartete. Er machte ein Abbruch-Unternehmen als Geschäftsführer groß und kaufte es dann 2006 Thyssen und Vattenfall ab. Fast zeitgleich erwarb er die Brandenburgische Bodengesellschaft (BBG) vom Land noch dazu. Einer, der als Chefvermarkter der brandenburgischen Militärgrundstücke mit großen Summen hantiert. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen des Verdachts schwerer Untreue, weil er es war, der die Krampnitz-Kaserne verscherbelte.

Es sind alles Männer, etwa gleich alt, risikofreudig, die ähnlich ticken, die sich da auf der Tribüne von Babelsberg 03 fanden, Speer mit Basecap und Zigarre. Keiner dabei, der an mangelndem Selbstbewusstsein leidet. Und wenn man gemeinsam paddelte, dann nicht über die Havelseen, sondern in Feuerland. Der Kick.

Wer so viele Grenzen durchbrochen hat, kann schon das Gespür für Grenzen verlieren.

Freilich, ein Problem bleibt in all den Jahren immer bestehen: Es ist selten voll im „Karli“, im Durchschnitt kommen 1500 Zuschauer pro Spiel, der Stehplatz 9 Euro. Die echten Fans kommen aus dem linksalternativen Milieu.

Ohne Peter Paffhausen hätte es nie funktioniert, den Aufsichtsratschef und Hauptfinanzier. Der war bei Mannesmann gewesen, ehe er aus der Mühle raus wollte, wie er mal offenherzig sagte, und in Potsdam Chef der Energie- und Wasserbetriebe wurde. Er machte daraus ein lokales Imperium, zuständig für Strom, Wasser, Müll, Nahverkehr, Schwimmbäder. Auf die im Rathaus, egal, wer da gerade amtierte, sah er herab. Er hatte ja alle eingebunden. Dem Sportverein, den „Babelszwergen“, wie sich die Nulldreier liebevoll selbst nennen, weil sie schon immer mit den kleinsten Etats der Liga auskommen müssen, überwies er jährlich 370 000 Euro direkt. Er half, wenn es klemmte, mit Bürgschaften aus. Dass er das konnte, hatte mit einem gefällig gemachten Aufsichtsrat zu tun.

Paffhausen passt gut hinein in dieses Potsdam der Wohltäter und Goldgräber. Da haben sich seine Maßstäbe verschoben, da hat sich ein Hang zum Größenwahn entwickelt. Ein neues Schwimmbad? Natürlich von Oscar Niemeyer, dem Star-Architekten aus Brasilien. Stadtwerkefest? Mindestens ZZ Top, Gianna Nannini oder wie in ein paar Wochen die Simple Minds mussten es sein, gratis für alle natürlich. Auf einem dieser Feste traten Paffhausen und Speer einmal gemeinsam auf die Bühne im Lustgarten, spielten vor Zehntausenden, die ihnen zujubelten, er Gitarre, Speer die Mundharmonika: „Every Day I Have The Blues“. Zwei Männer, denen keiner was konnte.

Die Staatsanwaltschaft ermittelte schon früher gegen Paffhausen, weil bei der ziemlich freihändigen Vergabe von Tiefbauaufträgen auffällig oft eine Firma zum Zuge kam. Alles verlief im Sande. Klar, dass die Firma heute am Stadion mitbaut, auch klar, dass sie Sponsor bei 03 ist. Potsdamer Kreislaufwirtschaft.

Alle sind sie hinweggefegt, die einstigen Spitzen von Babelsberg 03. Zu Ende aber ist dieses Gesellschaftsstück nicht. Zur Privatdetektei, die Paffhausen in den letzten Jahren für eine Million Euro engagiert hatte, fand man konkrete Belege nur für die Hälfte des geflossenen Geldes. Wurde sie etwa auch beauftragt, um nach Speers verschwundenem Laptop zu fahnden? Und wer ließ vor einigen Wochen bei Thilo Steinbach einbrechen, gezielt dessen Laptop klauen, am helllichten Tag? Das hätten nur Profis so gekonnt, heißt es im Landeskriminalamt.

Da sind noch Rechnungen offen. Und Potsdam rätselt auf beiden Seiten der Stadt, ob und wie lange sich SPD-Oberbürgermeister Jann Jakobs halten kann. Wetten werden abgeschlossen, wen es womöglich noch alles mitreißen wird. Aber die Zeit, da in Brandenburg und in Potsdam mit Freundschaftsdiensten regiert werden konnte, ist vorbei.

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