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Brandenburg: Auf die schnelle Tour

Von Ingo Bach Einen kleinen Muntermacher können hier alle vertragen, wenn die Betäubung nachlässt. „Kaffee oder Tee?

Von Ingo Bach

Einen kleinen Muntermacher können hier alle vertragen, wenn die Betäubung nachlässt. „Kaffee oder Tee?", fragt OP-Schwester Norma Kosnar. Die Patienten im Aufwachraum des Spandauer Krankenhauses antworten schläfrig. Die im Pflegerjargon „Cocktailsessel“ genannten Krankenstühle machen ihrem Spitzn wenig Ehre. Hart, abwaschbar und platzsparend. Aber man kann in ihnen dösen, denn die Lehne ist leicht abzuklappen. Und dieser Komfort allein zählt, wenn man Ruhe braucht. Patrick Schulz* wacht gerade auf. Vor wenigen Minuten hat ein Unfallchirurg sein Kniegelenk von den Schrauben befreit, die es nach einem Unfall zusammenhielten. Schulz hat Durst. „Ich würde gern mehr verteilen, als nur Kaffee oder Tee,“ sagt Schwester Norma. Doch das gibt das Budget des Krankenhauses nicht her. Denn hier wird gespart. In einem der fünf OP-Säle des Chirurgie-Zentrums wird nur ambulant operiert, das heißt: bis zu einstündige Eingriffe, zwei Stunden Aufwachen und ab nach Hause. Im Schnitt schleusen die Operateure täglich acht Patienten durch. Diese Eingriffe ersparen den Krankenkassen Millionen, denn ein Kliniktag mit Übernachtung schlüge mit 450 Euro zu Buche.

Die Knieoperation von Patrick Schulz ist ein typischer Fall für die Ambulanz. Schwieriger wird die Entscheidung, wenn ein Basaliom entfernt werden muss, eine weit verbreitete Hautkrebsart. Ein und dieselbe Diagnose kann ebenso einen kurzen ambulanten Eingriff zur Folge haben, wie eine mehrtägige stationäre Aufnahme. Warum? Spurensuche in der Dermatologie des Spandauer Krankenhauses, zwei Häuser weit entfernt vom ambulanten OP-Zentrum.

Auf der Stirn des Patienten klafft ein Fünfmarkstück großes Loch, die Haut ist bis fast auf den Schädelknochen herausgeschabt. Bis vor zwei Tagen saß an dieser Stelle noch ein Basaliom. Beim ersten Schnitt hatte der Chirurg nicht das gesamte kranke Gewebe erwischt, deshalb muss er jetzt in einer zweiten Operation nachschneiden. Von Kopf bis Fuß ist der Kranke auf dem OP-Tisch in sterile blaue Tücher gehüllt. Nur die offene Stelle an der Stirn ist unbedeckt. Mit einer Spritze setzt der Arzt eine lokale Betäubung. Behutsam schneidet der Chirurg schmale Haustreifen von den Wundrändern. Es fließt nur wenig Blut. Schließlich verschweißt der Arzt die Adern mit kurzen Elektroschocks - fertig. Nicht mal zehn Minuten hat das Ganze gedauert. Walther Koch* muss trotzdem im Krankenhaus bleiben. Der 68-Jährige ist gehbehindert und kann deshalb nicht regelmäßig zur Nachsorge in die Klinik kommen. Beim Basaliom wird sehr sparsam geschnitten, um möglichst wenig Gewebe zu entfernen. Erst nach zwei Tagen hat das Labor die Gewissheit, ob der Arzt den gesamten Krebs entfernt hat.

Das Basaliom ist eine Volkskrankheit. Jedes Jahr trifft es allein in Berlin rund 5000 Menschen, Tendenz steigend. Denn er ist eine typische Folge der Jagd nach „gesunder Bräune". Die von zu viel UV-Strahlung geschädigten Zellen wachsen unkontrolliert zu einem Tumor heran, der sich zwar tief in das Gewebe fressen kann, aber keine Metastasen bildet. Deshalb gilt er als leicht zu heilen. Gerade das macht das Basaliom zu einem idealen Kandidaten für ambulante Operationen. Vormittags um elf auf dem OP-Tisch, zwei Stunden später schon wieder auf dem Heimweg. Und für die Kassen rechnet sich das auch. Nur 90 Euro zahlen die Versicherer für den schnellen Eingriff.

Auch Günther Schmidt* hat Krebs. Der 58-Jährige hielt die dunkle Stelle an seinem linken Nasenflügel zunächst nur für eine Druckstelle von seiner Brille. Irgendwann konnte er sich nicht mehr damit beruhigen, denn der Tumor grub sich langsam ins Fleisch - schließlich blieb nur noch der Gang zum Dermatologen. Inzwischen ist das Basaliom zu einem fünf Millimter breiten Krater geworden. Die Hautärztin beruhigt. „Das lässt sich ambulant entfernen." Schmidt ist kräftig, macht einen robusten Eindruck – und er ist erleichert. „Ich hatte schon große Angst, dass ich tagelang im Krankenhaus liegen muss."

Politik und Krankenkassen machen Druck, die Zahl der ambulanten Eingriffe weiter zu erhöhen. Es ist kein Geheimnis, dass derzeit noch viele Patienten stationär eingewiesen werden, obwohl man sie nach der Operation gleich wieder nach Hause schicken könnte. Denn die Krankenhäuser rechnen noch nach den belegten Betten ihre Honorare ab. Das wird sich ab 2005 jedoch ändern, wenn schrittweise die so genannten Fallpauschalen gelten. Dann gibt es nur noch Geld für die behandelte Krankheit, nicht mehr für das belegte Bett. Eine unnötige stationäre Aufnahme lohnt sich dann nicht mehr.

Sogar Gisela Albrecht, Chefärztin der Spandauer Dermatologie, will nicht ausschließen, dass mal ein Patient unnötig auf der Station landet, um die Kosten für die Ambulanzen einzuspielen. „Die ambulanten Operationen sind für die Krankenhäuser ein Zuschussgeschäft. Denn sie werden von den Krankenkassen nicht kostendeckend vergütet." Und die Kassenrechnung – ambulant ist gleich billig – gehe nicht auf. Zu vieles sei ungeklärt. Wer übernimmt die Verantwortung dafür, wenn es nach dem ambulanten Eingriff zu Komplikationen kommt? Der Hausarzt oder der Klinik-Operateur? Und wer zahlt den Transport der Patienten?

Ebenfalls unklar ist, wie sich die Fallpauschalen auf die Krankenhauskapazitäten auswirken. In der Berliner Senatsgesundheitsverwaltung versucht man, die Kliniken geordnet auf die neue Abrechnungsart vorzubereiten. Bis zum Herbst will Gesundheitsstaatssekretär Hermann Schulte-Sasse den den neuen Krankenhausplan vorlegen, in dem festgelegt ist, welche stationären Kapazitäten Berlin dann überhaupt noch brauchen wird. Schon jetzt beunruhigt die Ärzteschaft und die Patienten eine Liste von Erkrankungen, die stationär behandelt werden, aber eigentlich auch ambulant vorgenommen werden könnten. Man fürchtet ein stures Abhaken nach dem Motto: Krankheit X muss stationär behandelt werden, Krankheit Y ambulant. Schulte-Sasse wiederspricht: „Jeder Einzelfall wird geprüft.“

Natürlich sei im Krankenhaus die Quote stationärer Behandlungen sehr hoch, sagt Chefärztin Albrecht. „Wir bekommen die Patienten-Negativauslese." Die niedergelassenen Chirurgen operierten nur die jungen, kräftigeren Patienten ambulant, bei denen das Risiko von Komplikationen geringer sei. „Die Hochrisiko-Patienten schicken sie zu uns ins Krankenhaus." Das bestreiten die niedergelassenen Chirurgen auch gar nicht. „Das ist unsere Verantwortung gegenüber der Gesundheit der Patienten“, sagt Frank-Peter Emmerich, Vorsitzender der Berliner Arbeitsgemeinschaft der niedergelassenen Chirurgen. Reich werden auch sie nicht mit den ambulanten Operationen. Bei Kassenpatienten lohne es sich oft nicht. Deshalb behandeln die Chirurgen lieber Privatpatienten. „Mit den höheren Privathonoraren muss ich die Behandlung der Kassenpatienten quersubventionieren“, sagt einer. Die Niedergelassenen haben zur Gehaltsaufbesserung eben keine Krankenhausbetten zwei Türen weiter.(* Patientennamen geändert)

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