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Brandenburg: Ausstellung in Eisenhüttenstadt: Leben in der DDR zwischen Hoffnung und Fantasie

Ausgerechnet der Trabi entkam dem Sturm aufs Schlaraffenland. Andere Symbole der kleinen Republik konnten nicht mit so einer Rücksicht rechnen.

Ausgerechnet der Trabi entkam dem Sturm aufs Schlaraffenland. Andere Symbole der kleinen Republik konnten nicht mit so einer Rücksicht rechnen. Da verschwand die DDR-Fahne ebenso wie die Schriftzüge "LPG", "SED" oder "VEB". Selbst vor den roten und blauen Pionierhalstüchern, den aus Kuba stammenden Ersatz-Apfelsinen, dem Obst aus heimischen Gefilden oder dem FDJ-Abzeichen machte das Messer nicht halt. Das vermeintliche Schlaraffenland DDR oder zumindest deren einstige Utopien wurde einfach aufgegessen. Eisenhüttenstädter Lehrlinge hatten sich diese Überraschung zur Eröffnung der neuen Ausstellung im DDR-Dokumentationszentrum ihres Heimatortes ausgedacht. Die große Torte passte wunderbar zum Titel "Das Kollektiv bin ich - Utopie und Alltag in der DDR". So mancher ostdeutscher Traum hatte sich schließlich genau wie die Marzipan- und Cremestücke schlicht in Luft aufgelöst.

Die Ausstellung zeigt unter anderem das Leben und die Werke von fünf Träumern und Weltverbesserern. Sie alle verbindet nach Angaben des Zentrums, dass sie sich mit ihren Idealen über die engen Grenzen des DDR-Sozialismus hinaus lebten. Mit ihren utopischen Vorstellungen rieben sie sich zu unterschiedlichen Zeiten an den Grenzen der Realität. Diese Biographien sollen den Besuchern Antwort auf zwei der spannendsten Fragen der jüngsten Geschichte geben: Warum konnte trotz der verbreiteten Distanz zum Staat die DDR so lange existieren? Und warum gelang es den Menschen am Ende, sich selbst zu befreien? So formulierte Autorin Ina Merkel, die zusammen mit Franziska Becker und Simone Tippach-Schneider die Projektgruppe anführte, das Ziel der in einem ehemaligen Kindergarten untergebrachten Schau. Hier sind heute Lebensläufe, Zitate und Zeitdokumente zu sehen.

Da wäre zunächst die inzwischen auch im Westen bekannte Schriftstellerin Brigitte Reimann. Ihr unvollendeter Roman "Franziska Linkerhand" wurde im Osten zum Kultbuch. Sie war keine Dissidentin, sondern hielt einem "fast gemütvollen Sozialismus die Treue", wie es auf einer Tafel heißt. Sie habe von der "Großen Sache" geträumt, aber immer an der räumlichen und geistigen Enge in der DDR gelitten.

Nicht weniger prominent war einst die Eisbärendompteuse des Staatszirkus, Ursula Böttcher. Von der "kleinen Dresdner Putzfrau" kämpfte sie sich zur Artistin mit Weltruhm empor. Als "Botschafterin im Glitzerkostüm" sollte sie die Kunde von der angeblichen kulturellen Überlegenheit des Sozialismus in viele Länder tragen. Ihre Utopien von der Chancengleichheit für jedermann endeten nach der Wende ziemlich abrupt. Ihre Eisbären gingen in Treuhandbesitz und von dort in Zoologische Gärten bis nach Südamerika. Ursula Böttcher selbst erhielt nach 47-jähriger Arbeit ihre betriebsbedingte Kündigung.

Baggerfahrer Gerhard Gundermann produzierte zeitlebens ausdrücklich utopische Texte. Er träumte gleichermaßen vom selbstbewussten Arbeiter und von individueller Freiheit. Gundermann, 1998 mit 42 Jahren verstorben, griff für den Umweltschutz in der Lausitz selbst zu militanten Mitteln. Doch in seiner Biographie stehen auch Schlagworte wie FDJ-Sekretär, Stasi-IM und Ausschluss aus der SED.

Die Biographien des unbekannten FDJ- und Parteifunktionärs sowie des Amateurfilmers stießen schon zur Eröffnung auf die größte Resonanz. Träume von der Verbesserung der Welt, von der Kraft des Kollektivs oder einem ununterbrochenen Fortschritt führten sie gedanklich über die gesetzten Grenzen der DDR hinaus. Doch gerade an ihnen rieben sie sich auf.

In sieben Abteilungen gliedert sich die Ausstellung, in der mehrere hundert Exponate versammelt sind. Da stehen die NVA-Soldaten aus Plaste neben einem Kunststoff-Klappsitz.

Die Projektgruppe will sowohl Menschen aus dem Osten als auch aus dem Westen ansprechen. Doch vor allem jene aus den westlichen Landesteilen erfahren Neuigkeiten. Viele Einheimischen dagegen werden sich in den Biographien selbst wiederfinden. Beim Sturm auf die Torte aus dem Schlaraffenland gab es allerdings keine Unterschiede zwischen Ost und West. Für die Ausstellung hat das Haus erstmals Fördermittel vom Kulturbeauftragten der Bundesregierung erhalten. Gut die Hälfte der Kosten von 270 000 Mark wird aus der Bundeskasse beglichen.

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