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Berlin: „... dann gibt es einen Spruch oder es knallt“

Immer wieder Schüsse auf offener Straße in Kreuzberg. Wie Anwohner reagieren

Die Fenster und Türen der „Bar 11“ stehen sperrangelweit offen. Draußen sitzen zwei Gäste vor geleerten Gläsern. Es ist Samstagabend kurz vor 22 Uhr in der Wiener Straße in Kreuzberg, die Luft steht über der Stadt. Maria, 28, steht hinter dem Tresen und wartet. „Bei der Hitze kommen die Gäste erst später.“ Und wenn momentan weniger da sind, dann liege es an der Ferienzeit und bestimmt nicht an der Schießerei.

Erst in der Nacht zu Freitag hat es wieder geknallt, wieder in Kreuzberg. Diesmal in der Oranienstraße. Im arabisch-kurdischen Café „Marmara International“ haben sich zwei Männer zunächst angeschrien, kurz darauf hat einer der beiden mit einer Pistole mehrmals in die Beine des anderen geschossen und ist zu Fuß geflüchtet.

Der Besitzer der Bar „Travolta“ sagt, dass die Schüsse in der Oranienstraße „nun mal Streitigkeiten unter Kriminellen“ gewesen sind. „Die Leute werden insgesamt immer verzweifelter“, glaubt er. Und schon bald könne es „amerikanische Verhältnisse“ geben. Der Barmann kommt selbst aus Los Angeles. „Aber Kreuzberg ist nicht L.A.“

Maria aus der „Bar11“ denkt bei Schießerei immer noch an den 30. Juni, einen ebenfalls warmen Abend. Bei einem Amoklauf erschießt ein 38-jähriger Mann seine Ex-Freundin vor der Bar „Travolta“, ebenfalls in der Wiener Straße. Als genau in jenem Moment Marias Kollege Markus M. auf dem Fahrrad entlangkommt, wird auch er mit mehreren Schüssen niedergestreckt und lebensgefährlich verletzt. Erst einen Monat später erwacht er aus dem künstlichen Koma. Der Täter feuert bei seiner Flucht auch noch auf einen Polizisten, der schwer verletzt überlebt. Am Ende richtet der Amokläufer die Waffe gegen sich selbst.

„Die ersten Tage danach hatte ich ein mulmiges Gefühl, wieder hinter dem Tresen zu stehen“, sagt Maria. Aber dass ausgerechnet hier wieder jemand austickt und losschießt? „Man kann keinem von außen ansehen, wozu er in der Lage ist.“ Die Gäste kommen trotzdem weiter zum Biertrinken und Draußensitzen. „Vielleicht ist einem jetzt bewusster, dass jeden Moment die Stimmung kippen kann“, vermutet Maria.

Dennoch: An manchen Tagen kann man den Eindruck gewinnen, dass es an jeder Ecke knallt oder die Leute im Stundentakt mit Fäusten aufeinander losgehen. Polizei-Sirenen reißen Bewohner der Oranienstraße aus dem Schlaf, mit quietschenden Reifen werden Kriminelle verfolgt. Und in Neukölln ballert, wie vergangene Woche, ein Türke aus dem Fenster in die Luft: aus Freude, weil sein Fußball-Team gewonnen hat.

Khaled, 19 Jahre, arbeitet in der Pizzeria neben dem Café „Marmara International“. „Als die Gäste die Schüsse hörten, sind sie natürlich alle hochgeschreckt und weggelaufen.“ Man sei es gewohnt, dass die sich da drüben prügelten. Braucht nur mal jemand falsch zu gucken, dann gibt’s einen Spruch oder es knallt.“ Seine Kollegen und er sind selbst alle arabischstämmig. Bislang habe es im Marmara noch nie eine Schießerei gegeben. „Wenn das öfter vorkommt, bleiben die Kunden weg. Aber bislang läuft das Geschäft weiter super.“ Höchstens Touristen, die an jenem Abend vor der Pizzeria saßen, würden die Gegend mit Schrecken in Erinnerung behalten und in ihrer Heimat von dem filmreifen Vorfall erzählen. Khaled sagt, am besten sei es in Kreuzberg, gar nicht zu reagieren, wenn jemand frage: „Was guckst du so?“

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