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Jens Mühling.

© privat

Jens Mühling las aus seinem neuen Buch: Sein russisches Abenteuer

Auf seiner einjährigen Reise durch Russland ging Tagesspiegel-Redakteur Jens Mühling den ebenso unglaublichen wie wahren Geschichten dieses riesigen, vielfältigen Landes auf den Grund. „Mein russisches Abenteuer“ heißt sein Reisebericht, aus dem er am Montag abend im Tagesspiegel-Salon las.

Ein ehemaliger Verkehrspolizist glaubt seit einem Erweckungserlebnis, er sei Jesus. Ein Moskauer Mathematik-Professor behauptet, die heutige Zeitrechnung sei ein Irrtum, in Wahrheit befinde die Menschheit sich erst im Jahr 1012. Jens Mühling, Tagesspiegel-Redakteur und Russland-Liebhaber, begab sich vor zwei Jahren auf eine Russland-Reise voller kurioser Erlebnisse und Begegnungen. „Die wahren russischen Geschichten sind viel unglaublicher als alles, was man sich ausdenken könnte“, das hatte ihm zehn Jahre zuvor ein russischer Filmemacher gesagt. Diese „wahren Geschichten“ wollte der studierte Literaturwissenschaftler aufspüren. Am Montag abend las er im Tagesspiegel-Verlagsgebäude am Anhalter Bahnhof aus seinem Buch „Mein russisches Abenteuer“.

Eingestimmt mit einem Zirbelkiefernwodka zur Begrüßung und mit Musik vom russischen Knopfakkordeon nimmt Jens Mühling das Publikum mit auf einige Stationen seiner Reise, die in Kiew begann, über Moskau und Sankt Petersburg durch Sibirien bis an die mongolische Grenze führte.

Die unscheinbare Zeitungsnotiz „Altgläubige Einsiedlerin will die Taiga nicht verlassen“ hatte den Ausschlag gegeben. Zu dieser alten Eremitin, die zweihundert Kilometer von der nächsten Siedlung entfernt in den Wäldern Südsibiriens lebt, wollte sich Jens Mühling durchschlagen. Dabei ging er nicht nur ihrer Geschichte, sondern auch der Geschichte Russlands und der viel zitierten „russischen Seele“ auf den Grund. Seine Reiseerlebnisse hat er auch auf Fotos dokumentiert. Auf den an die Wand projizierten Bildern sind unter anderem zu sehen: der „Jesus“ zwischen seinen Jüngern in einem Dorf in der Taiga; der Mathematikprofessor mit seiner Zeitleiste auf einer Papierrolle, die viel zu groß ist für seine Moskauer Dreizimmerwohnung. Ein Mann, der Denkmälern die Nasen abschlägt; die Stalin-Ikone, die in einer Sankt Petersburger Kirche hängt. „Das Foto von Rasputins Prostata, die ein Arzt konserviert hat, erspare ich Ihnen. Kein schöner Anblick“, so Jens Mühling lachend.

Ob er durch diese Reise das Land lieben gelernt hat, fragt Tagesspiegel-Chefredakteur und Moderator Stephan-Andreas Casdorff. „Geliebt habe ich Russland schon vorher. Besser kennen gelernt habe ich es auf jeden Fall“. Unangenehme Erfahrungen hat es natürlich auch gegeben: „Am schlimmsten für mich waren die Gespräche mit Menschen, deren Gedanken ich überhaupt nicht teilen konnte, zum Beispiel Menschen mit einer rassistischen, nationalistischen Weltanschauung“, erzählt Jens Mühling. Aber die schönen Erlebnisse haben eindeutig überwogen. Die Reise zu der alten Eremitin hat nach mehreren Anläufen – beim ersten zerbiss ihm in Sibirien ein Hund die Hände, beim zweiten betrank sich der Bootsführer und stellte auf halber Strecke fest, dass der Tank leer war – schließlich doch geklappt. Und stets stieß er auf Gastfreundschaft und Interesse. „Wie organisiert man eine Reise durch ein so riesiges Land?“, möchte ein Zuhörer wissen. „Am besten reist man mit möglichst wenig Gepäck, um mobil zu bleiben und um sich nicht ständig sorgen zu müssen, dass etwas geklaut werden könnte“, erklärt Jens Mühling. Aber vor allem: „Mit Leuten sprechen, Kontakte knüpfen, da ergibt sich vieles von selbst.“ Auf den Zug- und Busfahrten lernte er Menschen kennen, die ihm halfen, Unterkünfte zu finden oder ihn – den Exoten aus Deutschland – gleich zu sich nach Hause einluden. Von dem großen Deutschen, der sogar Russisch sprechen konnte, waren die Russen genauso fasziniert wie er von ihnen. Ein alter, bärtiger Greis, der Jens Mühling für einen Katholiken hielt, wollte wissen: „Wie steht in Deutschland die katholische Kirche zu Bärten?“ Und zwei eigenbrötlerische Schwestern, die sich aus den bunten Zeitschriften, die gelegentlich den Weg in ihr Dorf finden, eine drohende Apokalypse zusammenreimen, fragten den verdutzten Jens Mühling: „Tragen Sie einen Chip in der Stirn?“

Mein russisches Abenteuer, Dumont, 19,99 Euro, auch erhältlich im Tagesspiegel-Shop, Askanischer Platz 3, Kreuzberg, (Telefonnummer 29021-520, Internet: shop.tagesspiegel.de)

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