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1. MAI Ein friedliches Fest in Kreuzberg – und der Tag der Arbeit im Zeichen des Arbeitskampfs: Krawall ist nicht mehr angesagt

Ein gut gelaunter Kiez, 4700 gelassene Polizisten und eine ruhige Revoluzzer-Demo. Doch die Unsicherheit blieb bis tief in die Nacht

Volksfeststimmung rund um die Oranienstraße, Kiezküche von Köfte bis Bratwurst, serviert von Anwohnern, dazu die Musik von mehr als 170 Bands auf 17 Bühnen – gratis wie der Sonnenschein am Nachmittag. Abgesehen von einer in die Luft geschossenen Leuchtkugel vor der Kreuzberger McDonald’s-Filiale während der „Revolutionären 1. Mai-Demonstration“ und danach vereinzelten Flaschenwürfen und Festnahmen blieb es bis zum späten Abend friedlich. Polizeipräsident Dieter Glietsch wurde am Rand des Aufzugs von Demonstranten erkannt und bedrängt. Polizisten brachten ihn in einem Mannschaftswagen in Sicherheit.

„Kreuzberg hat die Schnauze voll von Krawall“, sagte Innensenator Ehrhart Körting (SPD), der gemeinsam mit Polizeipräsident Glietsch auf dem „Myfest“ unterwegs war. Für Randalierer werde es durch das von lokalen Initiativen getragene Straßenfest immer schwieriger, weil die Bevölkerung keine Deckung mehr gebe, sagte Körting. Er zeigte sich am frühen Abend optimistisch, dass es zu keinen größeren Auseinandersetzungen kommen werde in der Nacht – auch weil es dafür keine äußeren Anlässe gebe wie im Vorjahr den G-8-Gipfel. Rund 150 Autonome seien zudem in Bussen zur Anti-Nazi- Demo nach Hamburg gefahren, dazu eine unbekannte Zahl in privaten Pkw. Grundsätzlich vorbei sei die Gefahr von Ausschreitungen jedoch nicht angesichts von rund 900 polizeibekannten Autonomen in Berlin, sagte der Innensenator.

Um das Risiko möglichst gering zu halten, hatte die Polizei rund 4700 Beamte im Einsatz. Die hielten sich allerdings auffallend zurück. Auf dem Fest selbst waren überwiegend Polizisten in Zivil im Einsatz, unterstützt von rund 100 Mitgliedern freiwilliger Antikonflikt-Teams, die in ihren neongelben Westen wo nötig Streitigkeiten im Festgeschehen schlichten sollten. Die uniformierte Polizei hatte sich mit ihren Einsatzfahrzeugen in entfernte Seitenstraßen zurückgezogen, auch um dem Vorwurf aus vergangenen Jahren, allein durch Präsenz zu provozieren, vorzubeugen. Ganz unbeachtet blieben die Beamten aber auch dort nicht. Freiwillige der Heilsarmee schenkten Kaffee aus und verteilten Nuss-Küsschen an die aus dem gesamten Bundesgebiet angereisten Sicherheitskräfte.

Das Sicherheitskonzept ging offenbar auf. Selbst die „Revolutionäre 1. Mai Demonstration“, traditionell der Auftakt zum abendlichen Aufruhr, konnte diesmal keinen Funken der Gewalt entzünden. Rund 10 000 Demonstranten, etwa doppelt so viele wie im Vorjahr, zogen ab 18 Uhr vom Oranienplatz durch SO 36, begleitet von einem großen Polizeiaufgebot, das sich jedoch betont zurückhielt. Selbst vermummte Autonome wurden beim Aufmarsch geduldet. Als Mitveranstalter der Demo trat der Ex-Terrorist Ralf Reinders auf, der 1975 an der Entführung des damaligen Berliner CDU-Landeschefs Peter Lorenz beteiligt war. Der Aufzug endete gegen 22 Uhr mit einem Konzert der italienischen Ska-Band „Banda Bassotti“ am Kottbusser Tor.

Bereits am Vorabend des 1. Mai, bei der Feier der Walpurgisnacht im Mauerpark in Prenzlauer Berg, war es der Polizei durch massive Präsenz gelungen, Gewalttätigkeiten weitgehend zu vermeiden. Während einer kurzen Auseinandersetzung mit Linksautonomen und Punks, begleitet von Flaschen- und Steinwürfen, waren nach Mitternacht 24 Personen vorübergehend festgenommen worden. In der Nähe brannten kurz darauf zwei Autos; im Vergleich zu früheren Walpurgisnächten eine ruhige Nacht. Insgesamt waren 2700 Polizisten in Prenzlauer Berg, Friedrichshain und Kreuzberg im Einsatz.

Der gewerkschaftliche „Tag der Arbeit“ stand vor allem im Zeichen der aktuellen Tarifkonflikte im Einzelhandel und öffentlichen Dienst sowie dem Streik bei der BVG. Insgesamt rund 15 000 Menschen zogen bei verschiedenen Demonstrationen durch die Straßen der Stadt, allein 5000 folgten dem Aufruf des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) zur zentralen Maidemonstration. Bei der Schlusskundgebung am Brandenburger Tor machte Verdi-Chefin Susanne Stumpenhusen vor allem Finanzsenator Thilo Sarrazin für den langwierigen Tarifstreit bei der BVG verantwortlich.

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