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Schreiberling-Autor Max Deibert möchte in einer Welt leben, in der man schönen Frauen sagen kann, dass sie gut aussehen.

© privat

10 Hours of Walking in NYC as a Woman: "Jung und unerfahren"

Der Kommentar von Jugendblog-Autor Max Deibert zu dem Video "10 Hours of Walking in NYC as a Woman" wurde heftig diskutiert. Hier erklärt er seinen Standpunkt.

Ich habe immer auf Kommentare zu meinen Artikeln gehofft. In meinem letzten Text kommentierte ich ein Video, in dem eine junge Frau sich dabei filmen lässt, wie sie durch Manhattan läuft und von Männern angesprochen wird. Ich kritisierte die einseitige Inszenierung der Männer als Perverse und spannte darüber einen Bogen zu der Frage, ob sich Frauen mehr Komplimente gefallen lassen sollten. Dies löste meinen ersten Shitstorm aus. Mir wurde von Freunden geraten, mich etwas zurückzuziehen. Kokon der Liebe und so. Genau das würde ich gerne nicht machen.
Besser, ich erzähle ich euch etwas von meiner Familie. Meine Eltern ließen mich früh wissen, dass ihre größte Angst sei, dass ich als junger Mann keinen Charme hätte. Nicht, dass ich schwul oder FDP-Wähler würde. Nein, eine Katastrophe wäre es, wenn ich nicht zum Gentleman, Romantiker, Flirter gedieh. Ihr Sohn stattdessen ein unerotisches Wesen, das mit Steinfresse Frauen die Tür in die Hacken schwingen lässt und niemals von sich aus den Kontakt mit dem anderen Geschlecht sucht, ein Alptraum.
Jemand schlug in einem Kommentar vor, ich solle „zukünftig doch [m]eine Mutter zu Rate […] ziehen“. Eines meiner markantesten Kindheitserlebnisse spielte sich ab, als ich mit meiner Mutter an einer Baustelle in Charlottenburg vorbei ging und ein paar Bauarbeiter ihr zupfiffen. Dieser unbeschreibliche Hass, der in meinem Inneren aufbrodelte, gegen diese viel stärkeren Männer, die meine geliebte Mutter anbaggerten, obwohl ich, der älteste Sohn daneben stand. Sie beruhigte mich und sagte: „Ich möchte, dass die Pfiffe niemals aufhören, sie erinnern mich daran, dass ich jung und schön bin.“

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Erst einmal bin ich der Meinung, wie ich auch in meinem vorherigen Artikel erwähnte, dass von Seiten der Justiz gegen Sexualstraftäter, aber auch gegen Menschen, die auf der Straße beleidigend oder handgreiflich werden, mehr unternommen werden sollte. Leider wurde dieser Punkt in den Kommentaren weitgehend ignoriert. Zweitens geht es mir um die Frage, wie wir uns in dieser Gesellschaft begegnen wollen. Sollen wir in der S-Bahn nur noch in kitschige Liebesromane oder Dating-Apps starren? Nein! Ich möchte in einer Gesellschaft leben, in der man sich mit Charme und Witz begegnet!

Sollen Männer künftig durch Frauen hindurchstarren?

Hierzu eine weitere Anekdote: Ich war mit meiner Mutter beim Arzt, weil mein Fuß eiterte. Ich hatte starke Schmerzen. Während ich stöhnend auf der Untersuchungsmatte lag, erklärte der Doktor begeistert jeden seiner Hangriffe und Einschnitte, um meiner mit den Augen klimpernden Mutter zu imponieren. Er zögerte sogar, als sie ihn fragte, ob sie mir persönlich die Betäubungsspritze in den Fuß rammen dürfe. Es war ein skurriler Krankenhausbesuch, weil mein Leiden durch das freudige Flirten ins Komische gezogen wurde. Wäre die Untersuchung politisch korrekt verlaufen, hätte ich wimmernd rumgelegen, der Doktor hätte meinen verdammten Fuß einbandagiert und ich wäre nach Hause gehumpelt. Kein Spaß, kein Lacher. Ja, mir ist vollkommen klar, dass die Situation, die ich schildere nur einen winzig kleinen Prozentsatz der Mann-Frau-Begegnungen, die täglich stattfinden, repräsentiert. Aber warum kann man diesen Prozentsatz nicht durch ein bisschen mehr Charme und Lockerheit erhöhen?

Die Lösung kann doch nicht sein, dass Männer zukünftig durch Frauen hindurchstarren, wenn sie auf der Straße aneinander vorbei eilen. Natürlich ist es eine schreckliche Unart von vielen Typen, Frauen auf ekelhafteste Art und Weise anzubaggern. Gewalt gegen Frauen ist ein schreckliches Thema, in dem sich die verabscheuenswertesten Seiten der Männerwelt zeigen. Ich vermute, dass aus Wut über solche Vorfälle der Ton von weiblicher Seite in den Kommentaren sehr scharf gegen mich gerichtet war. Darum ging es mir aber nie, dafür fehlt mir, da stimme ich euch gerne zu, die Erfahrung. Ich will lediglich anregen, dass selbst solche Geschehnisse keinen Generalverdacht gegen das männliche Geschlecht rechtfertigen. „Interpretator“ hat unter meinem Artikel in einem Kommentar vorgeschlagen, ich solle mir ein Szenario „mit muskelbepackten homosexuellen Hooligans vorstellen, die [mich] zumindest potentiell vergewaltigen können“. Danke für diesen differenzierten Vorschlag. Es ging in meinem Artikel jedoch, was viele anders verstanden haben, niemals um Vorstellungen. Es ging um meine ganz persönlichen Erfahrungen und Gedanken zu diesem Thema. Ich könnte jetzt darüber abschweifen, dass ich wahrhaftig schon von Homosexuellen Handynummern angeboten bekommen habe und dass ich es mit Humor genommen habe, aber dies würde die Fronten nur weiter verhärten. Ich wurde desweiteren in den Kommentaren unzählige Male als naiv bezeichnet und noch häufiger wurde der Wunsch geäußert, ich würde über die nächsten Jahre geistig reifen. Ich finde es nicht naiv, auf eine Zukunft zu hoffen, in der Mann und Frau mit Charme und Witz aufeinander treffen.

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Max Deibert

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