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agein, tagaus. In der Helligkeit joggen ist einfach. Aber nachts im Spandauer Forst? Da halfen nur Stirnlampen.

© dpa

100 Meilen von Berlin: Quälerei entlang des früheren Todesstreifens

Start: Sonnabend, 6 Uhr. Ziel: Sonntag, 12 Uhr. Dazwischen: 160 Kilometer an der Mauer entlang. Der Berliner Mauerlauf fordert den Teilnehmern alles ab.

Renate Hülse stakst über den Asphalt, sie geht so eckig wie eine Marionette, die an Fäden geführt wird. Aber die 57-Jährige hat Zahlen parat; die Daten sind die Entschädigung für ihre brennenden Muskeln. „29 Stunden, 57 Minuten, und ein paar Zerquetschte.“ Die Zerquetschten sind genau gesagt 18 Sekunden, aber eigentlich sind die nebensächlich. Weniger als 30 Stunden, das ist wichtig.

Renate Hülse aus Krefeld, dunkelblauer Rock über den Radlerhosen, blonde Haare, hat die 100 Meilen von Berlin, den Mauerlauf 2014, innerhalb der Richtzeit geschafft. Knapp, aber sie hat’s geschafft.

Sie ist eine der Letzten im Ziel, dem Areal des Jahn-Sportparks. Hinter ihr wird schon das Zelt eingepackt, unter dem Essen ausgegeben wurde. Mark Perkins hat die 100 Meilen in 13:06:52 Stunden geschafft, schneller war keiner der 274 Teilnehmer.

Auf die Bank plumpsen lassen

Aber Perkins hat sich auch nicht auf eine Bank an einer Bushaltestelle plumpsen lassen wie Renate Hülse. Die konnte einfach nicht mehr, 140 Kilometer war sie gelaufen, jetzt klappten ihr die Augenlider zu. Drei Minuten döste sie. Ob Zufall oder Instinkt, es war genau die richtige Zeitspanne. Hätte sie länger gewartet, dann wäre sie am Ende aus der Wertung geflogen.

Außerdem gab’s ja noch Dirk. „Besenläufer“ nennen sie ihn, weil er sich um die Letzten kümmert, die Sportler, die den größten Zuspruch benötigen. Läuferinnen wie Renate Hülse. „Dirk hat einen Superjob gemacht“, sagt sie, „ohne ihn hätte ich das so nicht durchgestanden.“

Harald Retzlaff benötigte keinen Motivator, er kam schon nach 18 Stunden und 47 Minuten ins Ziel. Geflucht hat er trotzdem. „Wann ist dieser Scheiß endlich vorbei“, schoss ihm durch den Kopf. Vor allem auf den letzten Kilometern, als er einen „vermüllten Grüngürtel“ passieren musste. Andererseits, die Veranstalter hätten ihren Job gut gemacht.. „Die Organisation war klasse.“

"Wo geht der Bus zum Hotel?"

Und, mein Gott, die Geschichte mit den Flüchen, die kennt er ja, er macht lang genug Ultramarathons, auch wenn er pro Woche nur dreimal trainieren kann. Er ist Malermeister, der Job geht vor. Und sollten doch mal Probleme auftauchen, sollte Dirk, der Besenläufer, alarmierend nahe kommen, dann greift der Teamgeist. „Wenn man sieht, dass einer Hilfe braucht, gibt man ihm die letzte Magnesiumtablette“, sagt Retzlaff.

Hinter ihm schleppt sich ein Läufer vorbei. „Wo geht der Bus zum Hotel“, fragt er. „Da hinten“, antwortet Retzlaff und weist vage in eine Richtung. „Sonst läufst du halt.“ Humor der Konditionsstarken. Renate Hülse ist zu erschöpft für Späßchen. Aber gleichzeitig ist sie immer noch beeindruckt von Sigrid Eichner, der ältesten Teilnehmerin.

„Sie ist irgendwann an mir vorbeigezogen. Dann habe ich sie nicht mehr gesehen.“ Kein Wunder. Sigrid Eichner kam schon nach 28:12,04 Stunden ins Ziel. „Donnerwetter“, sagt Renate Hülse, als sie die Zeit hört, „das verdient großen Respekt.“ Zweifellos. Sigrid Eichner ist 73 Jahre alt.

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