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Berlin: 1000-Kilo-Bombe in Lichterfelde entdeckt

Ein Baggerfahrer stieß am Vormittag auf einen sowjetischen Blindgänger. 4000 Menschen mussten ihre Häuser verlassen

Ein Wasserrohr, dachte Baggerfahrer Jens Höhme, als die Schaufel seiner Baumaschine über ein Metallrohr schrammte. Mit einem Spaten legte er der 36-Jährige gegen 8.40 Uhr den Fund frei. Als auch das zweite Ende des vermeintlichen „Wasserrohrs“ konisch zulief, wurde ihm mulmig. Seit 16 Jahren baggert Höhme in Berliner Gruben, er kann sich noch an das Jahr 1994 erinnern, als in der Pettenkoferstraße in Friedrichshain ein Kollege einen Blindgänger zur Detonation brachte. Drei Tote hatte es damals gegeben. Höhmes Chef machte gestern früh noch schnell ein Foto, dann alarmierten sie die Polizei.

Die Profis staunten: So einen großen Blindgänger hatten sie noch nie gesehen. Eine 1000-Kilo-Bombe sowjetischer Produktion, sagte Polizei-Entschärfer Detlef Jaab am Vormittag, „mit zwei Zündern, an jedem Ende einer“. Ein Beamter sprach von einem „Jahrhundertfund“, keiner konnte sich an einen fast drei Meter langen Blindgänger erinnern, in den vergangenen Jahren waren es meistens 250-Kilo-Bomben, selten einmal eine mit 500 Kilogramm.

Hundertschaften der Polizei begannen gegen Mittag damit, den Stadtteil Lichterfelde West zu räumen. Die Entschärfer – sie nennen sich offiziell „Feuerwerker“ – hatten den Splitterradius auf etwa 600 Meter festgelegt. Der nahe gelegene S-Bahnhof Lichterfelde West wurde gesperrt, ebenso die Bundesstraße 1 (Unter den Eichen).

Mindestens 4000 Menschen, so die Schätzung der Polizei, mussten ihre Häuser verlassen. Mehrere Lautsprecherwagen fuhren immer wieder durch alle Straßen des Villenviertels, forderten Bewohner auf, ihre Häuser und den Sperrbezirk zu verlassen. Danach gingen Beamte von Tür zu Tür, klingelten und klopften. Niemand wurde jedoch gezwungen, sich in Sicherheit zu bringen, „das ist dann eigenes Risiko“, sagte ein Polizist. Glück sei, dass wegen der Ferien die Schulen und die meisten Kindertagesstätten geschlossen gewesen seien, der Bundesnachrichtendienst am Gardeschützenweg lag knapp außerhalb des Sperrkreises.

Die kurzfristig obdachlosen Lichterfelder wurden in der Polizeiwache am Augustaplatz von der Feuerwehr mit Getränken versorgt. Bis etwa 18 Uhr, so wurde den Menschen gesagt, könne die Entschärfung dauern. Erst als die Umgebung gegen 17 Uhr geräumt war, wollten Jaab und Neumann mit der Entschärfung der Bombe beginnen – also mit dem vorsichtigen Herausschrauben der beiden Zünder. Bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe waren sie damit noch beschäftigt.

Welches Ziel die sowjetischen Piloten vor gut 60 Jahren treffen wollten, wird ungeklärt bleiben, derartig große Bomben seien sonst auf Industrieanlagen oder wichtige Bahnhöfe abgeworfen worden. Ein älterer Anwohner berichtete, dass im Krieg die Kasernen am Gardeschützenweg und das Telefunkengelände an der Goerzallee Ziel alliierter Fliegerangriffe gewesen seien. Was im Krieg auf dem Grundstück an der Curtiusstraße war, ist unklar. Bis vor kurzem habe in einem Flachbau eine Wäscherei gearbeitet. Dieser wurde abgerissen, Jens Höhme sollte mit seinem Bagger eine Baugrube von vier Metern ausheben – für eine Tiefgarage. Darüber sollen zwei Stadtvillen entstehen.

Jens Höhme blieb den ganzen Tag in Lichterfelde. Nur zur Entschärfung des Blindgängers musste auch er in sichere Entfernung. Die Polizei hatte ihn morgens gebeten, den Blindgänger später mit seinem Bagger auf einen Lastwagen der Polizei zu heben. Dieser sollte die zünderlose Bombe am Abend zum Sprengplatz Grunewald bringen. Eine Sprengung, wie sonst üblich, komme nicht in Frage, erklärten Jaab und sein Kollege Neumann. Für eine derartig große Menge Dynamit sei in Deutschland nicht einmal bei der Bundeswehr ein Sprengplatz zugelassen. Der 1000-Kilo-Blindgänger werde mit Spezialgerät zersägt, die Teile dann einzeln „kontrolliert“ gesprengt.

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