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Die Gastgeber Mario Koss und Melanie Simond beim 116. Berliner Presseball.

© imago/APP-Photo

116. Berliner Presseball: Die Tradition ist gerettet

Der Berliner Presseball hat unter neuer Leitung im Maritim Hotel sein Comeback gefeiert. Vieles klappte, manches floppte.

Der mitternächtliche Auftritt des Elektronik-Künstlers Schiller war mit seiner schönen Laser-Show sicher ein Höhepunkt des 116. Berliner Presseballs im Maritim Hotel. Nach längerer Pause und unter neuer Führung gab es in der Nacht zu Sonntag mit 1600 Gästen ein Comeback für eine altehrwürdige Institution. Wer vor einigen Jahren das lange Siechtum im wirtschaftlichen Aus miterlebt hat, konnte auf den ersten Blick den Eindruck gewinnen, dass hier mit Herzblut und Engagement ein altes Format mit neuem Leben gefüllt wird. Einige Klippen gilt es freilich noch auszuräumen.

Die Leierkastenfrau war wieder da, eine Pyramide aus gut gefüllten Champagnergläsern sollte eine Anmutung von Üppigkeit vermitteln, neben einem schicken kalifornischen Auto mit Flügeltüren tropfte eine Eisbar vor sich hin und es waren bekannte Gesichter und schräge Gestalten zu sehen. Den „verwegenen Menschenschlag“, den Goethe einst in der Stadt beobachtete, trifft man auf keinem gesellschaftlichen Ereignis so zuverlässig wie hier, das macht die Sache authentisch.

Erst mal keine Tombola-Gewinne für die Gäste

Dragqueen Gloria Viagra unterstrich die natürliche Körpergröße mit stählern wirkenden High Heels. Boxer Artur Abraham zeigte, dass man auch im offenen Hemd zum Ball gehen kann, Playboy-Legende Rolf Eden kennt eisern keine Altersgrenze für Fetentauglichkeit, Udo Walz war immerhin per Telefonschaltung über seinen Mann Carsten Thamm dabei. Designerin Nanna Kuckuck glänzte in eigener Robe, Frank Henkel, Wolfgang Kubicki und Wladimir Kaminer waren gekommen, und mit Innensenator Andreas Geisel zeigte sich auch die Stadtregierung von ihrer sympathischen Seite.

Ziemlichen Unmut rief am frühen Morgen die offensichtlich nicht ausreichend vorgeprobte Ziehung der Tombola-Lose hervor. Der späte Verweis auf das Allheilmittel „online“ dämpfte die Enttäuschung über die Verzögerung der Gewinninformationen zunächst mal nicht.

Der gute Einfall, dem Ball mehr Gewicht zu geben mit einer Rede des Chefredakteurs der Satire-Zeitschrift „Charlie Hebdo“, Gérard Biard, wurde modifiziert durch die Länge dieser Rede. Zwar sagte Veranstalter Mario Koss anschließend, dass er sie eigenhändig von 40 auf 35 Minuten gekürzt habe. Aber alles, was über zehn Minuten geht, ist zu viel, wie einige Ballbesucher tatkräftig bewiesen, indem sie während der eigentlich sehr bedenkenswerten Ausführungen lauthals lachten und redeten. Schade auch, dass Flaneure, die ernsthaft an Biards Ausführungen interessiert waren, an der Saal-Security scheiterten und gar keine Chance bekamen, die Rede anzuhören.

Das Buffet ist noch ausbaufähig

Im Wesentlichen ging es um die Bedeutung journalistischer Qualitätsarbeit, auch um die Tyrannei der sozialen Medien: „Stammtischgeplänkel, über Twitter verbreitet, verdient es nicht, tagelang diskutiert zu werden.“ Den möglichen Grund, warum er sich auf den Ball-Auftritt eingelassen hat, verriet Biard gleich am Anfang: Seit sechs Wochen gibt es eine deutschsprachige Ausgabe von „Charlie Hebdo“. Nett auch der Auftritt eines Kurt-Tucholsky-Darstellers und die mit dramatischer Musik untermalte Rückschau auf frühere Bälle mit Willy Brandt und Richard von Weizsäcker.

Gelungen waren auch der Auftritt des Kinderchors der Deutschen Oper und eine sehr schöne Walzershow der Tanzschule Broadway. Dass die Gastgeber Mario Koss und Melanie Simond sich danach allein auf dem Parkett versuchten, war eigentlich unnötig. Statt Ehrengäste wie Dieter Kronzucker, Barbara Schöne, Ireen Sheer, Rita Süssmuth, Ute Ohoven und Anja Kling einzeln zu begrüßen, hätte man sie einfach zum Tanzen rufen können oder sagen sollen: „Der Ball ist eröffnet“. Am Ende des offiziellen Teils stürzten sich die Massen freilich nicht aufs Parkett, sondern erstmal aufs Büfett.

Mit einer Diät aus Obstspießen, bedruckten Plätzchen und Muffins den Bärenhunger von Berliner Ballbesuchern über längere Zeit in Schach halten zu wollen, verrät eine Menge sportlichen Ehrgeiz. So gut das Ambiente des Maritim Hotels für einen Ball geeignet ist, am Thema Verpflegung müssen sie dort weiter arbeiten, um sich dem Vergleich mit der Konkurrenz stellen zu können und mehr Fülle zu vermitteln. Auch wenn sich die Zeiten geändert haben, könnte, nach einigen notwendigen Korrekturen, der Ball als Motiv-Ereignis irgendwann wieder mehr Gäste ziehen.

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