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Berlin: 1200 Schulstunden weniger als in Bayern

Von Susanne Vieth-Entus Kein Bundesland bietet seinen Schülern in den ersten neun Schuljahren so wenig Unterricht wie Berlin. Fast 1200 Pflichtstunden trennen den Schüler in der Hauptstadt von dem in Pisa-Spitzenreitern wie Bayern und Sachsen.

Von Susanne Vieth-Entus

Kein Bundesland bietet seinen Schülern in den ersten neun Schuljahren so wenig Unterricht wie Berlin. Fast 1200 Pflichtstunden trennen den Schüler in der Hauptstadt von dem in Pisa-Spitzenreitern wie Bayern und Sachsen. Absolviert ein Berliner Schüler in neun Jahren also rund 8000 Stunden, sind es in Bayern 9200. Ursache sind die erheblichen Kürzungen in Berlin zwischen 1990 und 2000. Fachleute sehen in der schlechten Stundenausstattung eine von mehreren Ursachen für Berlins mäßiges Abschneiden bei Pisa – neben Defiziten bei Unterrichtsmethoden, Qualitätskontrolle und Leistungsbereitschaft.

Ausgerechnet in den ersten Schuljahren, wenn die Grundlagen gelegt werden sollen, steht Berlin besonders schlecht da. In Klasse 1 und 2 gibt es nur je 20 Stunden Unterricht, in Klasse 3 und 4 sind es 24 und 26 Stunden. Bayern dagegen beginnt mit 24 Stunden, in Klasse 2 sind es schon 25, in Klasse 3 und 4 je 28 Stunden. Diese zusätzlichen Stunden fließen zur Hälfte in den Religionsunterricht, ansonsten aber in Fächer wie Mathematik und Deutsch. Auch in den anderen Klassenstufen steht Berlin schlechter da. Eltern und Gewerkschaften hatten immer wieder vor diesem Unterrichtsabbau gewarnt.

Wie berichtet, belegten Berlins Gymnasien in den Naturwissenschaften zwar einen mittleren Platz im bundesweiten Pisa-Vergleich. Bei der Lesekompetenz landeten sie aber nur auf Platz 10 und in Mathematik auf Platz 12. Die mäßige Platzierung ist nicht allein damit zu erklären, dass Berlin auch schwächeren Schülern den Zugang zu Gymnasien ermöglicht. Vielmehr sind viele Schulen überzeugt, dass sich Berlin trotz der schwierigen Klientel auf einen besseren Platz vorarbeiten könnte. Ein Ansatzpunkt ist das Aufstocken der Pflichtstunden. „Wer mehr zur Schule geht, lernt auch mehr“, steht für Dieter Marwede, Leiter des Kreuzberger Hermann-Hesse-Gymnasiums, fest. Er beklagt, dass in den neunten und zehnten Klassen nur noch drei Stunden Mathematik und Deutsch auf dem Stundenplan stehen. Gestrichen wurde auch bei Chemie, Physik, Sachkunde, Erdkunde, Biologie und Technik.

Bildungssenator Klaus Böger (SPD) ist jetzt dabei, das Steuer herumzureißen. Nach und nach wird ein Teil der Stundenkürzungen zurückgenommen. In der zweiten Klasse kommt eine Stunde für die Leseförderung hinzu, nächstes Jahr wird bei Mathematik aufgestockt. Verbesserungen sind auch in der Mittelstufe geplant. Damit allein ist es allerdings nicht getan, denn auch bei der Unterrichtsqualität liegt vieles im Argen, was die Schulen inzwischen erkennen. Tausende Lehrer machen sich zurzeit die so genannte Klippert-Methoden zu eigen, um den Frontalunterricht aufzubrechen. Die Schüler lernen etwa durch Gruppenarbeit, mehr Eigeninitiative zu entwickeln.

In diese Richtung geht auch FU-Vizepräsident Dieter Lenzen. Er meint, dass der Schlüssel zum Schulerfolg in der Unterrichtsqualität liegt. Der Erziehungswissenschaftler fordert mit Hinweis auf die erfolgreichen skandinavischen Länder die Wende zum „selbstgesteuerten, problemorientierten und kooperativen Lernen“, was dem Klippert-Modell schon sehr nahe kommt. Aber auch damit ist es nicht getan. Immer mehr Schulleiter und auch Lenzen sind sich einig, dass die größten Investitionen und modernsten Methoden wenig nützen, wenn die Qualitätskontrolle fehlt. „Vergleichsarbeiten sind eminent wichtig“, sagt Harald Mier, der das Schadow-Gymnasium und den Verband der Oberstudiendirektoren leitet. Er sagt: „Je mehr die Lehrer in die Pflicht genommen werden, desto mehr nehmen sie die Schüler in die Pflicht“. (Siehe auch Seite 13)

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