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Gesichter vom Kurfürstendamm. Serpil Albayrak in seinem Kiosk.

© Heinrich/Rückeis

125 Jahre Ku’damm (2): Berlins längster Arbeitsplatz

Fahrer, Feger, Fahnder: Täglich sind sie am Ku’damm und kennen ihn so genau wie kaum ein anderer.

Eines Morgens kam er nicht mehr vorbei. Dieser Franzose, etwa 50 Jahre alt, der um die Ecke am Ku’damm wohnte und sich täglich mit einem Lächeln zu Serpil Albayrak in den Zeitungskiosk beugte. „Die Le Monde, bitte.“ Dabei rutschte ihm jedes Mal die Krawatte aus dem zugeknöpften Jacket, er stopfte sie zurück, zahlte und eilte davon. Der Mann war bis vor ein paar Jahren einer von Serpil Albayraks Stammkunden im Kiosk an der Ecke Ku’damm/Uhlandstraße. Aber dann zog er weg wie viele andere, die bei ihm regelmäßig hereingeschaut hatten, manche mehr als 14 Jahre lang. Albayrak beobachtet dieses Kommen und Gehen seit fast anderthalb Jahrzehnten, rund um die Woche von seinem gepachteten Zeitungshäuschen aus. In letzter Zeit mehr das Gehen. „Hier, am unteren Ku’damm, wohnen immer weniger“, sagt er. Es gibt mehr Büros, deren Angestellte rennen nur hektisch vorbei.

Jeden Tag beruflich am Kurfürstendamm zu sein, bei jedem Wetter, zu jeder Jahreszeit – und das seit vielen Jahren. Wer das von sich sagen kann, kennt den Boulevard genau, registriert kleinste Veränderungen. Zum Beispiel Serpil Albayrak in seinem denkmalgeschützten Kiosk oder BVG-Busfahrer Jörg Müller, Susanne Link vom Auktionshaus Leo Spik, Polizist Jörg Hader oder auch die Ku’damm-Feger Peter Lutz und Roberto Longhin.

Die BSR-Feger Peter Lutz (r.) und Roberto Longhin.
Die BSR-Feger Peter Lutz (r.) und Roberto Longhin.

© Heinrich/Rückeis

Manchmal winken sich die zwei in Orange und der türkische Zeitungsverkäufer in aller Frühe zu. Dann muss sich Serpil Albayrak weit aus seinem säulengeschmückten Zeitungshäuschen mit der Ullstein-Eule auf dem Dach lehnen. Das ist 100 Jahre alt und hat schon bessere Tage erlebt, meint Albayrak. Seit einiger Zeit kommen zwar wieder mehr Touristen in die West-City, aber die fragen ihn oft nur, wo’s zur Gedächtniskirche geht. Auf Demonstranten ist er auch schlecht zu sprechen. Die kaufen nichts und vergraulen seine Stammkunden. Der Umsatz sinkt. Doch er will durchhalten, träumt sogar von einem schöneren Ku’damm: „Man müsste die Bürgersteige mit Mosaiken schmücken.“

Die Straßenfeger Peter Lutz (54) und Roberto Longhin (41) sind als Team auf den breiten Bürgersteigen unterwegs. Leicht vornübergebeugt, kraftvolle Besenstriche. Es muss flott gehen ab sechs Uhr früh, um neun kommen die ersten Touristen und der Ku’damm gehört zur Reinigungsklasse eins. Peter Lutz ist seit 35 Jahren, Roberto Longhin seit 20 Jahren am Kurfürstendamm im Einsatz. Dessen Entwicklung messen sie am Verschmutzungsgrad. Um die Wendezeit hatten sie dort noch viel mehr zu tun. Damals war der Boulevard bis spätnachts proppenvoll und in der Frühe „extrem versifft“.

Susanne Link im Auktionshaus.
Susanne Link im Auktionshaus.

© Heinrich/Rückeis

Wenn Kunsthistorikerin Susanne Link vom traditionsreichen Auktionshaus Leo Spik am Kurfürstendamm 66 zurückblickt, erinnert sie sich an große Sandberge. Ihre Ku’damm-Retrospektive beginnt Ende der Sechziger, als am Adenauer Platz die Straßen und Häuser neu gebaut und auf den Brachen Gebrauchtwagen verkauft wurden. Damals studierte sie in Berlin, seit den frühen siebziger Jahren begutachtet sie Antiquitäten. Bei den Auktionen gehen wahre Schätze weg, erst jüngst ersteigerte ein reicher Chinese eine kleine Buddha-Statue für 630 000 Euro. Schon als junge Frau schätzte Susanne Link auch die angenehmen Seiten des Ku’damms. Sie könnte ein Buch über die versunkene Lokal- und Eventsszene schreiben – vom Catcherzelt in den Sechzigern an der Gedächtniskirche bis zu Restaurants und Bars wie dem Ciao, Bovril oder FoFi. Alle mal Kult, alle geschlossen.

Polizeihauptkommissar Jörg Hader, 43, hat die Gastronomie unter anderen Gesichtspunkten im Blick. Ab und zu ist er in Zivil in Hotelbars unterwegs, um Taschendiebe zu schnappen. Langfinger gehören zum Ku’damm wie ihre Zielgruppe: „Reiche Leute, die mit so viel Barem herumlaufen, wie andere es in einem Jahr verdienen“, sagt Hader.

Seit seinem ersten Einsatz auf dem Boulevard 1989 sah er „soziale und kriminelle Szenen“ kommen und gehen. Vor der Wende trafen sich die Junkies im U-Bahnhof Kurfürstendamm. „Es war apokalyptisch.“ Später beschäftigten ihn die Hütchenspieler, Bank- und Juwelierräuber. Eine Nacht hat er mal in einem Tresorraum auf der Lauer gelegen. Dass die Damen der einstigen Nobelbordelle nicht mehr an den Vitrinen stehen, hat aus polizeilicher Sicht Nachteile. „Die Glaskästen werden jetzt öfter eingeschlagen.“ Sein Job, sagt Hader, sei so abwechslungsreich wie der Ku’damm. Er kennt „Tüten-Erna“ die mit ihrem verpackten Hausstand im Bushäuschen schlief, war dabei, als Kanzlerin Merkel privat zum Schuhkauf vorfuhr.

Dass es mit dem Boulevard wieder aufwärtsgeht, erfährt Busfahrer Jörg Müller auf den BVG-Linien X10 oder M19. Sein Bus ist häufig so rappelvoll wie die Cafés an der Strecke. Sonntags hat er oft den Eindruck, „dass gar kein Weekend ist“. Müller ist genervt von Radlern, die ihm auf der Busspur keinen Platz lassen und freut sich über verliebte Pärchen. Ehe er sie zum Einsteigen drängt, gönnt er ihnen noch zehn Sekunden – für einen Kuss.

Nächste Folge: Donnerstag, 21. April

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