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Berlin: 14 Jahre Haft für Gas-Attentäter

Das Gericht sprach Lothar Terletzki des neunfachen Mordversuchs schuldig – für die von ihm ausgelöste Explosion

Auf eine negative Bilanz seines Lebens reagierte Lothar Terletzki mit „ungewöhnlicher Skrupellosigkeit“. Zu dieser Überzeugung kam gestern das Berliner Landgericht. Der 59-jährige Elektriker, der im August 2000 in der Herderstraße 6 in Charlottenburg eine verheerende Gasexplosion ausgelöst hatte, wurde wegen neunfachen Mordversuchs und gefährlicher Körperverletzung zu 14 Jahren Haft verurteilt. Die Richter gingen davon aus, dass der psychisch kranke Mann gefährlich für die Allgemeinheit ist und ordneten zugleich seine Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik an. Damit entsprach das Gericht dem Antrag der Staatsanwaltschaft.

Viele Bewohner aus der Herderstraße waren zur Urteilsverkündung gekommen. „Es war eine Genugtuung, ihn vor den Schranken des Gerichts zu sehen“, sagte eine 59-jährige Frau. „Aber für die seelischen Qualen gibt es keine Gerechtigkeit.“ Am frühen Morgen des 14. August 2000 war Lothar Terletzki in den Keller geschlichen, hatte an den Gasleitungen manipuliert und Teelichter aufgestellt. Eine Postbotin bemerkte noch den Gasgeruch und alarmierte die Polizei. Doch es war zu spät. Gegen 5.40 Uhr kam es zur Explosion. Vier Hausbewohner und fünf Polizisten wurden zum Teil schwer verletzt. Eine Ärztin aus dem Erdgeschoss wurde in Betonteile eingeklemmt. Sie schwebte lange in Lebensgefahr. Eine junge Polizistin ist noch immer dienstunfähig. Sie wurde von zahlreichen Splittern in Gesicht und Oberkörper entstellt

Lothar Terletzki, ein bullig wirkender Mann mit graumeliertem Bart, mächtigen Augenbrauen und schulterlangen Haaren, hatte auch am letzten Verhandlungstag den Blick starr nach unten gerichtet. Den Prozess hatte er schweigend verfolgt, nur in seinem Schlusswort erklärt: „Es tut mir Leid.“ Sein Verteidiger hatte von einer „Verzweiflungstat eines Getriebenen“ gesprochen und davon, dass Terletzki lediglich mit einem beschädigten Keller und ein paar kaputten Fensterscheiben gerechnet habe. Dem hielt Richter Friedrich-Karl Föhrig entgegen: „Jedermann weiß, welch ungeheuerlichen Folgen eine solche Gasexplosion haben kann.“ Der Angeklagte sei zudem „genau das Gegenteil eines ahnungslosen Dummkopfes“. Terletzki ist ein hoch qualifizierter Handwerksmeister und mit einem Intelligenzquotienten von 127 überdurchschnittlich intelligent.

Im August 2000 zog der Eigenbrötler eine Lebensbilanz. Als er 32 Jahre alt war, hatte er seine erste Freundin geheiratet. Doch die Ehe war längst zerrüttet. Er schimpfte über ihren Alkoholkonsum, sie über seine Schweigsamkeit. Seinen Job hatte er verloren und fühlte sich „gemobbt“. Auch die Eigentumswohnung in der Herderstraße machte ihn nicht zufrieden. Er meinte, die Nachbarn würden sich für etwas Besseres halten. Er stritt mit ihnen vergeblich wegen Wasserrechnungen und den Ausbau des Kellers. Als dann auch noch sein Auto kaputt war, beschloss er, „ein Zeichen gegen die Ungerechtigkeit zu setzen“.

Terletzki sei professionell vorgegangen, sagte der Richter. Sorgfältig hatte er auch seine Flucht geplant, die er vor Gericht als „Ferien“ bezeichnet hatte. Mit 70 000 Mark in der Tasche fuhr er Richtung Süden. Zwanzig Monate später wurde er auf der Ferieninsel La Palma gefasst. Wenn Lothar Terletzki gesund wäre, hätte ihn die Höchststrafe erwartet, „dann hätte er mindestens 25 oder 30 Jahre verbüßen müssen“, hieß es im Urteil. Aber der Gas-Attentäter ist wegen einer schizoiden Persönlichkeitsstörung vermindert schuldfähig. Die Ärzte müssen nun entscheiden, wann er wieder frei kommen kann. Theoretisch könnte das bei bescheinigter Heilung und guter Führung in neuneinhalb Jahren sein – nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe.

Kerstin Gehrke

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