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Berlin: 1997 schon acht Tote auf Berlins Baustellen

Senatorin Hübner kritisiert Unternehmen: Durch Preisdumping wird mangelnder Arbeitsschutz in Kauf genommenVON SIGRID KNEIST BERLIN. In diesem Jahr sind in Berlin bereits acht Arbeiter bei Unfällen auf Baustellen gestorben.

Senatorin Hübner kritisiert Unternehmen: Durch Preisdumping wird mangelnder Arbeitsschutz in Kauf genommenVON SIGRID KNEIST BERLIN. In diesem Jahr sind in Berlin bereits acht Arbeiter bei Unfällen auf Baustellen gestorben.Erst in der vergangenen Woche wurde ein 34jähriger Lastwagenfahrer auf einer Baustelle am Alexanderufer in Mitte von einem rückwärts rangierenden Radlader zu Tode gequetscht.Drei Wochen zuvor erlag ein Arbeiter seinen Verletzungen, die er sich auf einer Baustelle in Hohenschönhausen zugezogen hatte.Damit nimmt die Zahl der Unfälle mit tödlichem Ausgang in der Baubranche wieder zu, nachdem sie im vergangenen Jahr erstmals rückläufig gewesen war. Kein anderer Wirtschaftszweig ist so gefährlich.1996 kamen 14 Bauarbeiter ums Leben.Fünf der Verunglückten waren ungelernte Arbeitskräfte aus dem Ausland.Insgesamt gab es in dem Jahr 20 tödliche Arbeitsunfälle in der Stadt. Wie Sozialsenatorin Beate Hübner gestern sagte, wird mangelnder Arbeitsschutz "augenscheinlich von einigen Unternehmen bewußt schon bei der wirtschaftlichen Kalkulation in Kauf genommen".Preisdumping führe zum Unterlaufen der Schutzvorschriften.Es gebe nicht nur organisatorische Mängel bei Arbeitsabläufen und Dispositionen."Der zunehmende Zeitdruck auf Berlins Baustellen verleitet auch noch die Beschäftigten dazu, sich ohne Rücksicht auf die eigene Sicherheit auf den Baustellen zu bewegen", sagte Hübner. Zunehmend problematisch sei in dieser Hinsicht auch, daß auf vielen Baustellen immer mehr un- und angelernte Kräfte, darunter viele aus dem Ausland, beschäftigt seien.Neben der fehlenden Ausbildung erschwerten Sprach- und Verständigungsprobleme einen umfassenden Arbeitsschutz, so Hübner.Knapp 30 000 Arbeiter aus EU-Ländern, rund 8000 Vertragsarbeiter aus osteuropäischen Ländern sowie etwa 20 000 Schwarzarbeiter verschiedener Nationalitäten malochen derzeit auf den Berliner Baustellen. Norbert Nickel, der Sprecher der Fachgemeinschaft Bau, bezeichnet eine "qualifizierte Ausbildung als beste Voraussetzung, Unfälle zu verhüten".Die Lehrlinge lernten den richtigen Umgang mit den Geräten und die Grundlagen und Bestimmungen für die Sicherheit am Arbeitsplatz: "In der Ausbildung wird das Fundament gelegt." Nach Hochrechnungen des Landesamtes für Arbeitsschutz (Lafa) kommen auf 1000 Beschäftigte am Bau rund 115 meldepflichtige Unfälle jährlich.Bei 120 000 Bauarbeitern in Berlin müsse man folglich von 13 000 Unfällen ausgehen, teilte Eginhard Wonneberger vom Lafa mit.Tödliche Folgen haben meist Stürze aus hoher Höhe von Gerüsten.In diesen Fällen stellt das Amt immer Strafanträge bei der Staatsanwaltschaft.Nach Wonnebergers Angaben mußten letztes Jahr 124 Gerüste wegen Mängeln stillgelegt werden, davon wurde in 63 Fällen der Sofortabbau angeordnet.78mal leiteten die Kontrolleure Ordnungswidrigkeitenverfahren ein.Zu den Sicherheitsmängeln an Gerüsten gehören unter anderem fehlende Absturzsicherungen oder falsche Verankerungen. Aufgrund der regen Bautätigkeit richtete das Lafa eine spezielle Arbeitsgruppe ein, die aus 27 Mitarbeitern besteht und sich nur um die Überprüfung dieser Branche kümmert.1996 kontrollierte sie mehr als 13 500 Baustellen.Nach Ansicht der IG Bauen, Agrar, Umwelt sind diese Überprüfungen bei weitem nicht ausreichend.Sie müßten in bedeutend stärkerem Umfang stattfinden.Vor allem aber fordert die Gewerkschaft nach Angaben ihres Vorsitzenden Klaus Pankau, daß eine EU-Baustellenrichtlinie endlich in deutsches Recht umgewandelt werde.Diese sieht vor, daß auf einer Baustelle mit vielen Betriebe ein Baustellenkoordinator eingesetzt wird, der das Geschehen zwischen den einzelnen Gewerken regelt.

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