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Edgar Harter (l.) und Timo Doleys vor der Spielstätte in der Friedrichstraße.

© Thilo Rückeis

20 Jahre Einheit: Befreites Lachen in der Distel

Der eine ist seit 35 Jahren bei der Distel. Den Sozialismus wollte er verbessern. Der andere war 25, als die Trabi-Konvois bis Göttingen kamen. Heute machen sie zusammen Kabarett.

An der Eingangstür zur Distel, dem Kabarett am Admiralspalast, geht die Rangelei schon los: „Ich bin hier der Ossi, wir verteidigen uns so verbissen, wie wir nun mal sind“, sagt der eine, aber auch der andere zerrt an der Tür und ruft wie weiland Gerhard Schröder am Kanzleramt: „Ich will hier rein, schließlich sind wir die Sieger der Geschichte.“ Alles Spaß, alles Spiel. Friedrichstraßentheater fürs Foto. Beide sind „Distel“-Finken, gehören zum Ensemble, das Abend für Abend sein Publikum zum Lachen anstachelt und zum Nachdenken bringt. Nur: Der eine kommt aus dem Osten, dem Ursprungssumpfgebiet, in dem die Distel seit 1953 zum Spaße blüht und piekst, der andere lebte stets in Göttingen, dem „Zonenrandgebiet“, bis er als Schauspieler durch Deutschland zog und vor fast fünf Jahren beim „Stachel am Regierungssitz“ anheuerte.

Ostgewächs Edgar Harter, Jahrgang 1946, spielt jetzt 35 Jahre bei der Distel. Die Mimen spotteten einst, als es das große Kabarett namens DDR noch gab, über ihre „Engagements mit Grabsteinverpflichtung“. Die waren zwar sozial ideal, aber nicht gut für die Kunst. „Das ist heute alles anders“, sagt Edgar Harter. In seinen 40 Berufsjahren war er gerade mal in Meiningen, Neustrelitz und dann auf immer und ewig in Berlin. „Da hab’ ich schon eine Station mehr“, sagt der junge Timo Doleys, Jahrgang 1964. Vor seinem Engagement in der Distel stand er in Köln, Aachen und Neuss auf der Bühne.

Die Zeitenwende Ende 1989 haben beide auf sehr unterschiedliche Art erlebt. Der damals 25-jährige Göttinger kannte den dichten Zaun nur von der anderen Seite, natürlich verschlug jedem der November ’89 den Atem, aber im beschaulichen Göttingen spürte man das zunächst nur an der Okkupation durch unzählige Trabis. Es stank zum Himmel: Hilfe, die Ostler kommen! Edgar Harter war da dem Puls der Zeit schon näher. Ab 1987 spürte er in Berlin, noch dazu in der Bergstraße nahe der Mauer, „das bewusste Abtauchen der DDR-Regierung vor allen Problemen“. Die Kulturfunktionäre hatten in ihrer Hilflosigkeit zum Beispiel Ende 1988 das komplette Programm „Keine Mündigkeit vorschützen“ verboten. Da aber für die Generalprobe schon sämtliche Karten verkauft waren und sich die Genossen ängstlich 400 aufgebrachte Leute nahe dem Tränenpavillon und dem Grenzbahnhof vorstellten, ging das Mündigkeitsprogramm wenigstens einmal über die Bühne – mit Standing Ovations am Ende der Vorstellung.

Ein von allem Humor verlassenes Reingequatsche „im Namen der Partei“ hatte im Osten Tradition, besonders beim Kabarett. Beispiel: April 1958. Das Tauwetter in der Kulturpolitik hatte SED-Chef Walter Ulbricht brüsk beendet, die Distel wollte dies noch nicht wahrhaben, sie garnierte ihr Programm „Beim Barte des Proleten“ mit allerlei Anspielungen auf die Politik des Spitzbarts, wie ihn der Volksmund nannte. „Nitschewo!“ riefen die Genossen und dachten an den Untergang ihrer kleinen heilen Welt. Der Direktor wurde geschasst, das Programm verändert, der neue Titel wegweisend: „Liebe und Raketenbasen.“

Wenn Edgar Harter (Ost) dem Timo Doleys (West) diese alten Geschichten erzählt, guckt der junge Kollege aus Göttingen sehr erstaunt. Wie konnten sie in einem Land, in dem immer irgendeiner beleidigt auf dem Sofa saß, überhaupt Kabarett machen? Edgar Harter spricht von einem ganz anderen Selbstverständnis: „Wir wollten nicht das System infrage stellen, sondern meinten, alle an einem Strang zu ziehen. Wir wollten, dass der Sozialismus irgendwie besser würde. Also keine Systemkritik, sondern eher befreiendes Lachen über Zustände.“ Kein Rütteln an Grundfesten. „Wenn die Partei sagte, dass die DDR Riesenprobleme mit den Devisen hat und das Geld aus den Intershops dringend braucht, dann sahen wir das ein und formulierten den Sketch zu den zwei Währungen vielleicht etwas weniger scharf.“ Sie hatten so ihre Tricks bei der „Abnahme“: Da kamen zwei scharfe Nummern für die Genossen und dazwischen ein Text, den die Kabarettisten wirklich wollten. Und der kam durch. Oder bestimmte Stellen wurden weggenuschelt. Unser Stichwort war immer: „Mal unter uns gesagt...“ Privat waren die Genossen nämlich meistens anderer Ansicht als offiziell. Einmal traten sie bei der Stasi auf, und da kamen die vorher und sagten: „Ihr könnt heute mal richtig vom Leder ziehen, also, gebt mal Saures.“ Edgar Harter dachte, du lieber Gott, wir haben doch überhaupt nix Saures im Angebot.

1990. Was hat sich nach den Verbrüderungsprogrammen mit den West-„Stachelschweinen“ in der Berliner Kabarettlandschaft verändert? Die Liebe hörte sehr schnell auf, als man im Westen sah, welch gefährliche Konkurrenz auf die Bühnen und in die Synchronstudios kam. Würde der solide ausgebildete Ossi dem Wessi den Platz streitig machen? Timo Doleys spürte das 1993 beim Zivildienst in einem Göttinger Krankenhaus. West- traf auf fachlich tolle Ost-Schwester. Die Folge: Konkurrenzkampf.

Der Distel blieb zunächst das Ost-Publikum weg, noch dazu, als die IM-Tätigkeit der Direktorin ruchbar wurde. „Aber dafür kamen die West-Berliner in Scharen. Plötzlich saß da einer aus Kreuzberg mit seinem Hund im Saal“, erinnert sich Edgar Harter. Das Ensemble-Kabarett, das die Distel bis heute pflegt, war für viele neu und ist bis heute erfolgreich.

Jetzt steht eine Ost-West-Truppe auf der Bühne, der Direktor kommt aus dem Rheinland und hat das jüngste Programm „Das Schweigen des Lammert“ inszeniert. Jubel am Schluss für scharfe Kritik an Parteien und Personen. Tabus gibt es nicht mehr, Extemporieren erwünscht. Ost und West sitzen im Parkett und stehen auf der Bühne, Probleme gibt es vielleicht, wenn rheinischer Frohsinn auf preußische Disziplin trifft. Heute heißt der Zensor Publikum. Es entscheidet an der Abendkasse. Und Unterschiede? In einer Szene zitieren sie Brechts „Was ist der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“ „Hey, woher kennst du das?“, fragt der eine. Sagt der andere: „Polytechnische Oberschule.“ An dieser Stelle ist es in Köln total ruhig, aber in Dessau hau’n sie sich auf die Schenkel.

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