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Gueffroy Mauertoter

© dpa

20 Jahre nach Mauerfall: Gedenken an letzten Mauertoten

Er wollte Amerika sehen, doch er starb beim Fluchtversuch in den Westen - wenige Monate vor dem Fall der Mauer. Am Donnerstag wurde Chris Gueffroy gedacht, dem Letzten, der an der Berliner Mauer erschossen wurde.

Der Ost-Berliner Chris Gueffroy wollte Amerika sehen. Und er wollte nicht zum Militärdienst in der Volksarmee. Bei einem Fluchtversuch in der Nacht vom 5. zum 6. Februar 1989 starb der 20-jährige Kellner im Kugelhagel von DDR-Grenzposten - wenige Monate vor dem Fall der Mauer. Zur Andacht in der Berliner Kapelle der Versöhnung kam zum 20. Todestag am Donnerstag auch seine Mutter Karin Gueffroy. In der Kapelle im früheren Todesstreifen in der Bernauer Straße entzündete sie eine Kerze für ihren getöteten Sohn. Sie rang um Fassung. Die Trauer ist nicht verblasst.

Die Mauer habe mitten ins Herz von Berlin geschnitten, sagt Rainer Just von der Versöhnungsgemeinde. Dass das mehr als 28 Jahre dauerte, "war schreiendes Unrecht und zerstörte Leben". Die Kirche der Gemeinde war 1985 auf Geheiß der DDR-Oberen gesprengt worden, weil sie durch den Mauerbau in den Grenzanlagen stand und die Sicht störte. Nach dem Mauerfall wurde aus den zerstörten Resten die Kapelle der Versöhnung errichtet.

Mindestens 136 Mauertote - unterschiedliche Zahlen

Mindestens 136 Menschen wurden nach einer Studie des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam zwischen 1961 und 1989 an der Berliner Mauer getötet oder kamen in unmittelbarem Zusammenhang mit dem DDR-Grenzregime ums Leben. Über die Zahl der Maueropfer gibt es seit Jahren unterschiedliche Angaben. Das Institut hat für seine Nachforschungen auch Akten von Mauerschützenprozessen ausgewertet und Zeitzeugen befragt.

Gueffroy wollte zusammen mit einem Freund flüchten. Die beiden hatten gehört, dass der Schießbefehl ausgesetzt sei. Gegen halb elf am 5. Februar 1989 erreichen sie im Schutz der Dunkelheit die Kleingartenkolonie "Harmonie" im Ost-Stadtbezirk Treptow. Sie nähern sich den Sperranlagen vor dem Britzer Zweigkanal. Mit Wurfankern überwinden sie die mehr als drei Meter hohe Hinterlandmauer, doch dann lösen sie die Alarmanlagen aus - nur noch ein zwei Meter hoher Streckmetallzaun trennt die Flüchtlinge vom Westen. Doch die Grenzposten eröffnen sofort das Feuer: Gueffroy stirbt im Kugelhagel, sein Freund wird schwer verletzt.

Nach dem Tod von Chris Gueffroy gab es 1989 nach Angaben des Zentrums noch ein weiteres Opfer im Zusammenhang mit der Mauer. Am 8. März stürzte der 32-jährige Winfried Freudenberg mit einem selbst gebauten Ballon in Berlin-Zehlendorf ab, nachdem er bereits die DDR-Grenze überwunden hatte.

Vorwurf: DDR-Regime nicht ausreichend aufgearbeitet

Der Berliner CDU-Landes- und Fraktionschef Frank Henkel kritisierte die Aufarbeitung der SED-Diktatur als unzureichend. Dieser Teil der deutschen Geschichte müsse im Stadtbild angemessen und würdevoll dargestellt werden, forderte der CDU-Politiker. "Verheerend ist auch die Geschichtsvergessenheit" gerade unter den jungen Berlinern, sagte Henkel. Er bezog sich dabei auf eine Studie der Freien Universität Berlin, wonach Berliner Schüler im bundesweiten Vergleich die geringsten Kenntnisse über die DDR haben. Auch die anlässlich des Mauerfalls vor 20 Jahren am Potsdamer Platz aufgestellte Infobox monierte Henkel. Informiert werde lediglich über die Entwicklungen nach dem 9. November 1989. Das Leiden der Menschen in dem Unrechtsstaat hingegen werde "einfach ausgeblendet", sagte Henkel.

Auch der Direktor der Stasiopfer-Gedenkstätte in Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, forderte mehr Anstrengungen gegen das Vergessen. Die Erinnerung an Chris Gueffroy sei in den vergangenen Jahren zunehmend verblasst. Es müsse daher mehr getan werden, um die Erinnerung an den letzten Mauertoten wachzuhalten. Knabe schlug die Benennung einer Berliner Schule nach Gueffroy sowie die Gründung einer Gueffroy-Stiftung vor. Der Tod des 20-Jährigen zeige "die ganze Ungeheuerlichkeit des DDR-Systems", sagte er. (jnb/ddp/dpa)

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