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2009: Nebelkrähen greifen Fußgänger in Mitte an

Passant informierte die Polizei, Bezirksamt warnt vor aggressiven Vögeln.

Von Sandra Dassler

„Verweile doch“ steht in großen Buchstaben vor dem Deutschen Theater, doch manchem erschien diese Bitte in den vergangenen Tagen wie Hohn. „Ich wollte nur noch hier weg“, erzählt ein Mann: „Diese Biester sind wirklich lästig.“

Der Mann, der seinen Namen nicht nennen will, arbeitet in der Charité und läuft jeden Tag durch die Parkanlage zwischen Reinhardt- und Schumannstraße. Am Dienstag wurde er von Krähen attackiert. Und war nicht der Einzige. Am Donnerstag, so meldete es jetzt sogar die Polizei, sei ein Fußgänger in der Reinhardtstraße von zwei Krähen angegriffen worden. Die Vögel hätten den Mann mit ihren Schnäbeln auf den Kopf gehackt, hieß es. Nur mittels seines Rucksacks habe er sich vor Verletzungen schützen können.

Die alarmierten Polizeibeamten fanden die „Brutstätte des Bösen“ und informierten das Grünflächenamt Mitte. Das konnte wenig tun, weil – bis auf Stadttauben – alle Vögel in Berlin geschützt sind. Immerhin ließ das Amt ein paar Zettel mit der Aufschrift „Achtung Krähenbrutgebiet“ an den Bäumen anbringen – als Warnung.

Die meisten Passanten nahmen diese Warnung gestern allerdings gar nicht wahr. „Ich dachte, die weisen darauf hin, dass man eventuell Vogelkot auf den Kopf bekommt“, sagt Bernd Scheibe, der in der Nähe einen Coffeeshop betreibt. Er hat noch nie von Angriffen der Vögel gehört.

Anders die beiden jungen Frauen, die wenige Meter entfernt zum Rauchen vor die Zentrale der Heinrich-Böll-Stiftung getreten sind. „Das geht seit einer Woche so“, erzählt die eine: „Ich habe gesehen, wie eine Krähe eine Frau angriff. Die rannte weg, aber der Vogel verfolgte sie.“

Die andere Frau hat beobachtet, wie eine Krähe von hinten einen Mann anflog, der durch den Park ging und ihm „mit den Flügeln an den Kopf schlug beziehungsweise hackte“. „Mein Chef kann von seinem Zimmer aus direkt auf das Nest schauen“, sagt sie und zeigt auf einen hohen Götterbaum. Das Nest befindet sich etwa zehn Meter über der Erde, es sind Nebelkrähen, die hier brüten.

„Das mit den Angriffen ging los, als die Jungen geschlüpft waren“, erzählt die Mitarbeiterin der Böll-Stiftung. Die Naturschutzbehörde von Mitte bestätigt diese Beobachtung. Wenn die Jungvögel flügge werden, könnten ihre Eltern aggressiv reagieren, falls sie die Brut bedroht sehen, heißt es. Von den etwa 5000 in Berlin heimischen Krähenbrutpaaren würde aber weniger als ein Prozent auch Menschen attackieren. Die Polizei führt keine Statistik darüber – wer zeigt schon eine Krähe an?

Schlimmer als der durch die Schnäbel verursachte Schmerz sei oft der Schrecken der Betroffenen, sagt eine Bezirksamtsmitarbeiterin. Und warnt davor, vermeintlich aus dem Nest gefallene Jungvögel aufzuheben. Da drehen die Eltern durch. Von wegen Rabenmutter! Diese Bezeichnung ist ja gerade deshalb zustande gekommen, weil junge Rabenvögel, zu denen auch die Krähen gehören, oft das Nest verlassen, bevor sie fliegen können, und am Boden unbeholfen wirken. Daraus entstand der Trugschluss, dass Raben keine fürsorglichen Eltern seien. Dabei füttern diese ihre Jungen jedoch noch einige Tage lang weiter und schützen sie vor Feinden. Wie die Berliner gerade erfahren.

Auch in den Vorjahren wurden beispielsweise aus Kreuzberg und Charlottenburg hin und wieder Krähenattacken gemeldet – immer im Mai. Und immer nur ein paar Tage lang. Dann sind die Jungen flügge. Und dann kann man unter den Bäumen vor dem Deutschen Theater wieder gefahrlos verweilen. Sandra Dassler

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