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Berlin: 44 Kerzen für 44 Leben

Bei einemGottesdienst wurde der Motorradfahrer gedacht, die im letzten Jahr verunglückt sind

SONNTAGS UM ZEHN

Eigentlich wollte Ronalt T. heute dabei sein, wollte mit seinem Motorrad vom Olympiastadion aus zum Winterfeldtplatz in Schöneberg fahren. Zum Gedenken an all die Motorradfahrer, die in diesem Jahr in Berlin und Brandenburg verunglückt sind. Aber Ronalt ist tot, gestorben, als er ein Auto überholen wollte und die Kurve nicht gekriegt hat. Das war im Juli. Jetzt stehen seine Freunde ohne ihn am Winterfeldtplatz vor der Matthiaskirche. Sie haben ein Foto von Ronalt an die Windschutzscheibe ihrer Motorräder geklebt. „So kann er doch bei der Gedenkfahrt dabei sein“, sagt einer von ihnen.

Auf den Kirchbänken sitzen rund 400 Motorradfahrer, in Lederkluft, einige von ihnen halten ihren Helm auf dem Schoß fest umklammert. Zwischen ihnen Väter, Mütter, Brüder und Freunde. Über das Liebste im Leben spricht Pfarrer Bernd Schade in seiner Predigt. Er erzählt von Maria, die vor dem Kreuze Jesu stand und um ihn weinte. „Und das Wasser spülte empor, was ihr das Liebste im Leben war“, sagt er. Und dann erzählt er von der übermächtigen Gewalt des Todes, die so plötzlich über einen hineinbrechen kann. Erzählt von dem Gefühl der Einsamkeit, wenn ein geliebter Mensch stirbt. Als Maria um ihren Sohn weinte, da erschien er ihr und seinen Jüngern. „Fürchtet euch nicht, ich habe die Welt überwunden“, sagte er ihnen. Gott wolle nicht unseren Tod, sagt Pfarrer Schade. Er wolle „den ganzen Scheiß“: unsere Schuld und unser Leid. Das könnten wir ihm ruhig vor die Füße schmeißen, wenn das Kreuz, das wir zu tragen haben, zu schwer wird.

Pfarrer Schade fährt selbst Motorrad. 24 000 Kilometer reißt er im Jahr ab, und er weiß um die Gefahr. „Bei einem Unfall gibt es für einen Motorradfahrer keine Knautschzone, die ist er selbst“, sagt Schade. 44 Motorradfahrer sind in dieser Saison auf Berlins und Brandenburgs Straßen ums Leben gekommen. 44 Kerzen stehen vor dem Altarraum. Ein Angehöriger liest die Namen der Verunglückten vor. Es ist ganz still in der Kirche, draußen hört man die Glocken läuten. Beim letzten Namen versagt dem Vorleser die Stimme. Das Mädchen war erst zwölf, als es starb. „Möge die Straße uns zusammenführen und der Wind in deinem Rücken sein“, singen 400 Motorradfahrer. dro

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