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Mein Kennedy. Werner Eckert fuhr Kennedy auf dem Weg durch Berlin hinterher und bekam ihn so dreimal zu Gesicht. Eines der dabei entstandenen Fotos schickte er nach der Ermordung des Präsidenten an dessen Witwe Jacqueline – und erhielt eine Antwort.

©  Kitty Kleist-Heinrich

50 Jahre Kennedy-Besuch: Bitte keine Blumensträuße werfen!

Bei der Suche nach Spuren, die Kennedy in öffentlichen und privaten Archiven hinterlassen hat, stößt man auf Überraschendes: Bettelbriefe von prominenten Fans, Brandts Spickzettel – und ein Schreiben Jackies nach der Ermordung des Präsidenten.

Hinter so einem Präsidentenbesuch verbergen sich Dramen, ja Tragödien, von denen der normale Zaungast nicht das Geringste ahnt. So erhielt Dieter Spangenberg, Leiter der Senatskanzlei, zwei Tage vor dem Kennedy-Besuch am 26. Juni 1963 den flehentlichen Brief eines Untergebenen von Telefunken-Boss Hans Heyne, der einen Herzenswunsch seines „höchsten Chefs“ weiterzuleiten hatte: „Dr. Heyne sagte mir heute Vormittag, dass er ganz großen Wert darauf lege, auf der Tribüne oder im Rathaus selbst Präsident Kennedy nahe zu sein. (…) Ich kann nur herzlich bitten, meinem Chef und damit mir zu helfen. Ich weiß wirklich nicht, was ich noch tun soll.“

Der Bettelbrief blieb offenbar erfolglos, jedenfalls fehlt der Name Heyne auf den Listen der Personen, die auf der Tribüne, im Rathaus Schöneberg oder gar beim Bankett im Brandenburgsaal Zutritt hatten. Heyne musste sich wohl doch mit seinem Platz auf dem Flughafen Tegel zufriedengeben, den er im Tausch angeboten hatte.

Das Schreiben dürfte den gleichen Stoßseufzer ausgelöst haben, der in einer Notiz von Egon Bahr, damals Sprecher des Senats, an den Regierenden Bürgermeister Willy Brandt dokumentiert ist: „Ich fürchte, dass auch das größte Essen hier uns 50–80 Leute bringt, die nicht dabei sein können, aber glauben, dabei sein zu müssen.“ Bahr schrieb das am 24. Mai, die heiße Phase der Vorbereitungen stand da erst noch bevor. Eines aber war für ihn bereits sicher: Da bei einem Essen, das Bundeskanzler Adenauer in Bonn zu Ehren Kennedys geben wolle, auch Journalisten eingeladen seien, „dürfte entschieden sein, dass bei unserem Essen ebenfalls Journalisten dabei sein müssen, wenn wir nicht großen Ärger bekommen wollen“. Und so geschah es: Laut der Teilnehmerliste des Banketts waren auch die drei großen West-Berliner Abonnementszeitungen „Telegraf“, „Berliner Morgenpost“ und Tagesspiegel vertreten, für Letzteren durfte Chefredakteur Karl Silex mitdinieren.

Der Telefunken-Brief, Bahrs Notiz (wie auch seine eigene Einladung zum Bankett), die Gästeliste – sie alle finden sich in den dicken Aktenmappen, die im Landesarchiv am Reinickendorfer Eichborndamm zum Kennedy-Besuch aufbewahrt werden. Es ist eine Fundgrube an Informationen, die dem landläufigen Wissen um den Ablauf und die historische Bedeutung der Präsidentenvisite manches teils kuriose, teils spannende Detail hinzufügen, den nüchternen Geschichtsbuchkenntnissen so eine konkrete Dimension hinzufügen. Wer weiß schon, dass Willy Brandt eben nicht nur in offizieller Mission als Regierender Bürgermeister neben Kennedy in dessen Lincoln Continental saß (übrigens demselben Wagen, in dem der Präsident wenige Monate später erschossen wurde), sondern zugleich als Fremdenführer. In den Unterlagen des Landesarchivs verbirgt sich auch ein Waschzettel, auf dem Brandt mit den nötigsten Informationen zu den Sehens- und Merkwürdigkeiten der Fahrtstrecke munitioniert wurde. Natürlich vermischten sich dabei politische und touristische Rolle. So enthält der Spickzettel für die erste Etappe der präsidialen Berlin-Tour ebenso Hinweise auf die Entstehung des Flughafens Tegel während der Luftbrücke als „Beginn der dauerhaften deutsch-amerikanischen Freundschaft“, die Wegstrecke der am 17. Juni 1953 nach Ost-Berlin marschierten Hennigsdorfer Stahlarbeiter wie auch die „ersten deutschen Raketenversuche“, die vor 35 Jahren in Tegel stattgefunden hätten, unter Beteiligung Wernher von Brauns.

In anderen Unterlagen wird die Fahrtstrecke aus polizeilicher Sicht auf mögliche Gefahrenpunkte („unübersichtlich“) hin bewertet, und auch der Aufruf des Polizeipräsidenten ist abgeheftet, wonach die Anwohner tunlichst keine Fremden in die Wohnung lassen und auch bitte keine Blumensträuße werfen sollten.

Zahlreiche Dokumente in den Archivmappen dokumentieren die Vorbereitungen des Kennedy-Besuchs in detaillierten Ablaufplänen, Skizzen für die Aufstellung der Beteiligten an den Stationen der Fahrt, in der gezeichneten Wagenfolge des Konvois oder endlosen Namenslisten der Personen, denen für diesen oder jenen Ort Passierscheine auszustellen seien. Selbst die Rechnung für die Pressetribünen am Brandenburger Tor und am Checkpoint Charlie hat man nicht weggeworfen. Man erfährt von kuriosen Angeboten, die bei der Senatskanzlei eingingen, wie etwa dem einer Firma für Hebebühnen, die ihr Produkt für Kennedy als Aussichtsplattform an der Mauer empfahl, aber nur die höfliche Antwort „Keine Verwendung“ erhielt. Und man erkennt, dass der immer noch verbreitete Irrglaube, Kennedy habe vom Balkon des Rathauses Schöneberg gesprochen, nicht ganz aus der Luft gegriffen ist: Der Balkon gehörte zu den drei im Vorfeld erwogenen Orten, es wurde aber doch eine eigens errichtete Tribüne.

Das Landesarchiv ist nicht der einzige Ort in Berlin, an dem sich Dokumente vom Kennedy-Besuch erhalten haben. Zwar hat nicht jeder die originale Menükarte des Festbanketts in Besitz wie Graf Finckenstein, der sie dem Museum „Die Kennedys“ in der Auguststraße für seine Sonderschau überlassen hat. Auch ein von Kennedy signiertes Foto mit Widmung für seinen Berliner Übersetzer Heinz Weber ist dort zu sehen, von der Familie des mittlerweile Verstorbenen zur Verfügung gestellt. Aus unbekanntem Grund hatte Kennedy das Foto nie abgeschickt, erst nach seinem Tod wurde es von einem Mitarbeiter entdeckt und nach Berlin gesandt.

Und viele alte West-Berliner haben zumindest Schnappschüsse in ihren Fotoalben oder auch hinter Glas wie Werner Eckert. Der 81-jährige ehemalige Amateurboxer hat seine Wohnung in Westend geradezu zum Museum seines Lebens ausstaffiert. Zahllose Fotos dokumentieren seine Sportlerlaufbahn, die 1949 in den Andrew Barracks in der Lichterfelder Finckensteinallee begonnen hatte, in einem Club des amerikanischen Programms „German Youth Activities“ (GYA), und ihn später mit Boxgrößen wie Max Schmeling, Bubi Scholz oder Axel Schulz zusammenbrachte. Einen besonderen Platz aber nimmt seine Zusammenstellung persönlicher Kennedy-Dokumente ein, die mit großartigen, aber auch traurigen Erinnerungen verbunden sind.

Auch Eckert war von dem Begeisterungstaumel ergriffen worden, der West-Berlin durchflutete. So sehr, dass er sich nicht damit begnügte, den Präsidenten nur an einer seiner Berliner Stationen zu erleben, sondern ihm im Firmenwagen hinterherfuhr. Damals arbeitete er als Vertreter für eine Hamburger Kaffeefirma, deren Niederlassung sich Unter den Eichen , Ecke Habelschwerdter Straße befand, an der Grenze zwischen Dahlem und Lichterfelde und nicht weit vom American Hospital in der Fabeckstraße. Dort warteten schon die Patienten des Krankenhauses auf ihren Oberbefehlshaber, einige waren sogar auf Krankentragen gebracht worden, und Eckert erlebte, wie der Präsidentenwagen heranrollte, kurz stoppte und Kennedy seinen Soldaten zuwinkte. Für den Berliner Jungen war das „eine Sensation … ich hab’ heute noch Gänsehaut“.

Zuvor hatte er Kennedy schon vor dem Rathaus Schöneberg erlebt, war dann auf Schleichwegen zum American Hospital und danach noch zum US-Headquarter in der Clayallee gefahren. Der beschriftete Firmenwagen habe ihm geholfen, an Absperrungen durchgelassen zu werden, glaubt Eckert noch heute. Selbstverständlich hatte er seine kleine Agfa-Box dabei, mit der ihm auch ein paar Aufnahmen gelangen, doch nur eine ist ihm erhalten geblieben: ein Schnappschuss mit dem jugendlich strahlenden Kennedy, neben seinen ernst dreinblickenden Begleitern Brandt und Adenauer. Wo die Aufnahme entstanden ist, weiß Eckert nicht mehr.

Genau dieses Foto hat er später, als Kennedy in Dallas ermordet worden war, samt einem Beileidsschreiben an Jacqueline Kennedy geschickt. Im März 1964 antwortete sie mit einem gedruckten Dankesschreiben, auf dem Umschlag ihre ebenfalls gedruckte Unterschrift: „Mrs. Kennedy weiß Ihr Mitgefühl sehr zu schätzen und ist dankbar für Ihre Anteilnahme.“

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