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Berlin: 6270 Euro pro Wohnung reichen bei Weitem nicht

Brandenburg wird Flughafengesellschaft zur Aufstockung des Lärmschutz-Programms zwingen.

Potsdam - Beim Willy-Brandt-Flughafen steht der Neustart des Schallschutzprogramms bevor, weil es unterfinanziert und rechtswidrig ist: Brandenburgs Infrastrukturministerium wird die Flughafengesellschaft (FBB) nach Tagesspiegel-Informationen im Juli verpflichten, alle Bewilligungsbescheide für Schallschutz in 14 000 Wohnungen des sogenannten Tagschutzgebietes neu berechnen zu lassen – zu Gunsten der BER-Anwohner.

Nach dem aktuellen Entwurf des Bescheides bleibt es nämlich dabei, dass „die sofortige Vollziehung“ angeordnet wird. Denn Schallschutz sei „bis zur Inbetriebnahme“ sicherzustellen, heißt es darin – also zum avisierten Eröffnungstermin am 17. März 2013. „Dies ist nur erreichbar, wenn mit der Umsetzung des Schallschutzkonzeptes unverzüglich begonnen wird.“ Die zwingende Folge: Die FBB muss diesen Bescheid sofort umsetzen. Und zwar unabhängig davon, dass man nach den jüngsten Aufsichtsratsbeschluss gegen den Bescheid vorgehen will, der das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) exekutiert. Brandenburgs Regierungschef Matthias Platzeck (SPD) versicherte am Mittwoch, dass der OVG-Beschluss – ungeachtet der Überprüfung – durchgesetzt werde und es da „kein Wackeln“ gäbe.

Das OVG hat den bisherigen Tag-Schallschutz um den Flughafen als „systematischen“ Verstoß gegen den Planfeststellungsbeschluss gekippt. Denn die Bewilligungen beruhen auf dem Spar-Standard von täglich sechs Überschreitungen des zulässigen Spitzenpegels in Wohnungen (55 Dezibel/Gesprächslautstärke), für den es zwar Parallelen in anderen Airports, hier aber keine Rechtsgrundlage gibt. Bislang stehen für Schallschutz 157 Millionen Euro bereit, also lediglich 6270 Euro je Wohnung, was nicht mal ansatzweise reicht. Von Klaus Wowereit und Matthias Platzeck gibt es bislang keine plausiblen Erklärungen, wie dieser Rechtsbruch, die krasse Diskrepanz zu Lasten von zehntausenden Hauptbetroffenen des Airports, überhaupt möglich war.

Bei den aktuellen Gefechten um das OVG-Urteil geht es nur noch darum, wie viel Geld mehr in den Schallschutz fließt. Setzt sich die OVG-Linie durch, sind 591 Millionen Euro zusätzlich fällig, was intern erwartet wird. Brandenburgs Finanzministerium stellt sich bereits darauf ein: Im Entwurf für den Haushalt 2013/14 werden 218 Millionen Euro eingeplant. In Berlin wird die gleiche Größenordnung fällig. Hätte der Einspruch Erfolg, so würde die von der FBB seit Dezember 2011 ignorierte Auflage der Brandenburger Planfeststellungsbehörde gelten, nach der 257 bis 297 Millionen Euro mehr in Schallschutz fließen.

Allerdings ist die willkürliche Spar-Praxis des Flughafens bis zum Tage nicht gestoppt worden, auch nicht vom Aufsichtsrat, woran die Kritik wächst. „Der Rechtsbruch muss sofort beendet, das OVG-Urteil umgesetzt werden“, fordert etwa die SPD-Politikerin Andrea Wicklein, Sprecherin der brandenburgischen SPD-Abgeordneten im Bundestag. Das ist auch die Linie der Linken, die in Brandenburg mitregieren. „Der rechtswidrige Spar-Schallschutz beim BER muss unverzüglich beendet werden“, sagt der Linke-Abgeordnete Herbert Behrens. Die FBB hingegen verteidigt in einer Erklärung den bisherigen Schallschutz immer noch als „weitreichend“ und warnt vor einem deutschen Präzedenzfall infolge des OVG-Urteils.

Keine Aussage findet sich, warum die FBB den jetzt als unfinanzierbar beklagten Schutzstandard einst selbst exakt so beantragte, auslegte und im Planfeststellungsverfahren durchsetzte – und das sogar für das gesamte Umfeld des BER. Die Trennung in Tag- und Nachtschutz erfolgte erst Jahre später. Bürgerinitiativen vermuten, dass der Flughafen damals mit fiktiven Schallschutz-Versprechen operierte, um den Planfeststellungsbeschluss durch die Gerichte zu bringen.Thorsten Metzner

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