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Kabel statt Spule. Die Berlinale-Filme werden nicht mehr auf Zelluloid gebannt, sondern als digitale Kopien auf gigantischen Servern gespeichert – bei der Firma Colt Technology Services in Moabit. Foto: Colt

© Colt

64. Filmfestival in Berlin: Die Berlinale ist völlig von der Rolle

Niemand muss mehr Filmspulen herumfahren: Die Berlinale ist heute komplett digital. 200 Kilometer Glasfaserkabel durchziehen die Stadt. Weniger hektisch ist es dadurch trotzdem nicht.

Die dritte Generation“ stand auf dem Spiel. Rainer Werner Fassbinders Berlinale-Beitrag. Leider nicht rechtzeitig fertig geworden, also äußerste Hektik im alten Neuköllner Geyer-Kopierwerk, immer neue Änderungswünsche des Regisseurs, für die gar keine Zeit mehr war, Fertigstellung praktisch in letzter Sekunde vor der Premiere: „Während wir mischten, wurde der Film bereits rollenweise ins Uraufführungstheater gefahren.“

Eine Erinnerung der Filmeditorin Karin Nowarra anlässlich einer Ehrung von Fassbinders Cutterin Juliane Lorenz, leider nicht ganz zutreffend. „Die dritte Generation“ lief nie auf der Berlinale, hatte 1979 in Cannes Premiere, es muss also ein anderer Film gewesen sein, der die Berlinale unter so dramatischen Umständen erreichte.

Egal, trotzdem eine hübsche Anekdote, die den Wandel der Zeiten anschaulich illustriert. Denn ist ein größerer Gegensatz denkbar zwischen dem Damals und dem Heute: Dort die Hektik aus Chemikaliendunst, Schweiß und vielleicht auch Tränen, die mitunter die Filmabgabe prägte; hier das Starren auf Bildschirme, das Bedienen von Tastaturen. Dort ein traditionelles Kopierwerk, an eine kleine Chemiefabrik erinnernd, hier beispielsweise das Rechenzentrum der Firma Colt Technology Services in einem Moabiter Industriegebiet. Eine fast fensterlose Halle, bis zum Jahr 2000 wurden hier Zigaretten produziert. Statt Tabak, Zigarettenpapier und Filter lagern hier jetzt die Berlinale- Filme, doch nicht länger in Filmspulen, sondern als digitale Kopien, sogenannte Digital Cinema Packages (DCP). Enorme Speicherkapazitäten werden der Berlinale hier zur Verfügung gestellt. Ove Sander, Technischer Leiter Digitales Kino der Berlinale, beziffert das Datenvolumen, das während der Filmfestspiele bewegt wird, auf 400 Terabyte. Das entspricht 34 952 534 MP3-Songs von fünf Minuten Länge.

Enorm auch die Energiemenge, die dafür gebraucht wird. „Hochspannung! Lebensgefahr!“ warnen Schilder an den Wänden. Viele Mitarbeiter gibt es hier nicht, die zu warnen wären. Dafür aber jede Menge mit Zahlenschlössern verriegelte Gitterschränke, in denen Unmengen von Geräten still vor sich hin blinken. Die Kühlung für die viel Wärme produzierenden Speicher rauscht ohrenbetäubend. Praktischerweise hängt der Ohropax-Spender gleich an der Wand.

Digital bedeutet nicht "keine Arbeit"

Die Filme werden per Glasfaserkabel in die Spielstätten der Berlinale übertragen. Ungefähr 48 Stunden vor einer Vorführung erstellt der Kinoserver einen Download der Filmkopie. Also Kabel rein, Film ab? Nicht ganz. Der analoge Teil der Bereitstellung und Vorführung der Filme mag geschrumpft sein, verschwunden ist er nicht.

Sein Zentrum liegt in einem unscheinbaren Haus an der Voxstraße 3. Dort befindet sich das „Film Office“ der Berlinale. Glamour sucht man auch hier vergebens. Das Büro ist viel zu klein, unzählige junge Menschen wuseln hin und her, man trägt Wollmütze und Computerteile.

Der erste Raum des Filmbüros wirkt fast wie eine Poststelle. Alle eingereichten Filme sind dort gelandet, in diesem Jahr immerhin 6775. In den Regalen stapeln sich Pakete und kleine Transportkoffer aus Plastik. Größtenteils enthalten sie die Festplatten mit den gespeicherten Filmen. Mittlerweile werden 60 Prozent der Filme im digitalen DCP-Format eingereicht. Dazu kommen rund ein Drittel BlueRay-Einreichungen und noch einige wenige Beiträge in anderen Formaten wie dem 35-mm-Format.

Eine technische Hürde: die Daten müssen entschlüsselt werden

Im zweiten Raum Rechner, Rechner, Rechner. Man fühlt sich in eine studentische Computer-Werkstatt versetzt: Überall Kisten voller Kabel und Stecker, an der Wand eine Tafel, die „Anschluss- Knowhow“ für Stecker und Schnittstellen vermittelt. Die Mitarbeiter testen, ob alle Festplatten nach dem Transport noch intakt sind und ein Film tatsächlich in dem Format geliefert wurde, das die Etikettierung ausweist. Die oberste Maxime bei der Arbeit lautet: Never trust the label! Die Warnung prangt in Fettdruck über den Arbeitsplätzen. Außerdem müssen die Mitarbeiter kontrollieren, ob die DCPs kompatibel mit dem Server des entsprechenden Kinos sind. Eine Etage höher werden alle Beiträge, die als BlueRay- oder 35-mm-Formate eingereicht wurden, in DCPs umgewandelt. Die Computer lüften und rauschen um die Wette.

Wenn die Filme schließlich auf die Kinoserver heruntergeladen worden sind, gibt es noch eine weitere technische Hürde: Die DCPs werden entschlüsselt. Die dafür benötigten Schlüssel sind immer nur für ein knapp bemessenes Zeitfenster und eine Spielstätte gültig. In vielen Fällen werden sie erst kurz vor der Vorführung übermittelt. Wenn ein Schlüssel einmal nicht passt, muss noch schnell ein Ersatzschlüssel generiert werden.

Das kann schon Hektik auslösen. Doch der größte anzunehmende Unfall für die digitalisierte Berlinale wäre ein Defekt des 200 Kilometer langen Glasfasernetzes. Es würde Stunden dauern, einen solchen Schaden zu beheben, denn man müsste extra einen Bypass legen. Doch Olaf Stehr von der Firma Colt bleibt auch angesichts dieser potenziellen Schwachstelle ganz entspannt: „Die größte Gefahr für unser Netz stellen Tiefbauarbeiten dar“, sagt er. „Aber im Februar wird ja nicht so viel gebaggert.“

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