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Berlin: 80-jähriger Fahrraddieb zum 40. Mal verurteilt

Rudolf S. kann seine Finger nicht von fremden Rädern lassen – seit 1968 Jetzt muss der Neuköllner Rentner erneut für ein halbes Jahr ins Gefängnis

Von weitem könnte man ihn für einen flotten Biker halten. In dunkler Lederkluft marschierte der drahtige Rudolf S. gestern in den Gerichtssaal. Die Jahre aber haben ihre Spuren hinterlassen. Schlohweiß sind seine schulterlangen Haare und der Rauschebart. Weise ist er allerdings noch immer nicht geworden. Der Mann, der demnächst 81 Jahre alt wird, kann einfach nicht die Finger von fremden Zweirädern lassen. Er handelte sich jetzt die 40. Strafe ein.

Um ein Mofa und ein Fahrrad ging es diesmal. Das ist im Vergleich zu früheren Prozessen noch recht überschaubar. Im Sommer 2004 zum Beispiel saß er vor dem Amtsgericht und sah sich gleich mit zehn Anklagen und insgesamt 21 Zweirädern konfrontiert. „Ich habe Mist gebaut“, murmelte er damals. „Bei mir ist Feierabend“, versprach er unter Tränen. Als dann zwei Jahre Haft wegen Diebstahls und Hehlerei verhängt wurden, ließ Rudolf S. traurig den Kopf hängen. Bald aber griff er wieder zu seinem Lieblingswerkzeug: dem Bolzenschneider.

Immer wieder machte er sich an Fahrrädern oder Mopeds zu schaffen, um sie dann zu verhökern. Manchmal hat er auch Diebesgut „günstig“ angekauft, um dann ein kleines Geschäft damit zu machen. „Mein Drahtesel war mir doch selbst geklaut worden“, schluchzte er dann im Juni 2007, als es um ein altes Damenfahrrad ging. In einem anderen Verfahren hatte er geklagt: „Von etwas musste ich doch leben, habe Hund und Katze zu versorgen."

Anstehende Gerichtstermine schreckten ihn aber offenbar nicht ab. Wenige Wochen vor dem Prozess im vergangenen Sommer ging er wieder mit seinem Werkzeug auf die Pirsch. Er wurde erwischt, als er sich an einem Mountainbike zu schaffen machte. „Dit stimmt“, gab der Neuköllner Rentner gestern zu. „Das ist nicht schön“, hielt ihm der Richter vor. „Nö, normalerweise nicht“, murmelte S. in seinen Bart und schwang ein Bein übers andere.

Er ist ein wahrlich geübter Angeklagter. Und in der Regel macht er es den Gerichten auch nicht schwer. Wenn er gesteht, folgen hochheilige Versprechen. „Ick mach so wat nie wieder. Ick will nich mehr in den Knast. Ick bin doch keene 70 mehr“, beteuerte er nun. Angeblich will er demnächst heiraten. „Ick hör’ mit Straftaten uff“, habe er der Frau gelobt.

Doch wenn dann das Strafregister zur Sprache kommt, sieht es für Rudolf S. jedes Mal schlecht aus. „Der Registerauszug ist dicker als die Akte“, sagte der Richter kopfschüttelnd. 39 Vorverurteilungen hat sich S. bereits eingehandelt. Am 28. April 1947 ging es los. Ab 1968 waren es immer wieder Fahrräder, die ihn auf die Anklagebank brachten. „Sie hätten Fahrradhändler werden sollen“, sagte einmal eine Richterin zu ihm. Da seufzte S. nur. Damals war er bereits 77 Jahre alt.

Versucht hat Rudolf S. viel in seinem Leben. Und wenn er davon erzählt, dann leuchten seine Augen. Er hat Melker gelernt, schloss sich später einem Zirkus an. Er wurde Artist und reiste durch die DDR. Allerdings saß er oft im Gefängnis – insgesamt etwa 45 Jahre seines Lebens. Jetzt soll er wieder in Haft. Wegen versuchten Diebstahls verhängte das Gericht sechs Monate. „Drei Bewährungen liefen bei der Tat, da war nichts mehr zu machen“, sagte der Richter zum Abschied.

Kerstin Gehrke

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