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Berlin: "90 Grad": Tanzstelle an der scharfen Kurve

Wer zählt die Sternchen, wer kennt ihre Namen? Das "90 Grad" in der Schöneberger Dennewitzstraße ist mittlerweile wohl zu dem angesagtesten Berliner Ort geworden, wenn es ums Sehen und Gesehenwerden geht.

Wer zählt die Sternchen, wer kennt ihre Namen? Das "90 Grad" in der Schöneberger Dennewitzstraße ist mittlerweile wohl zu dem angesagtesten Berliner Ort geworden, wenn es ums Sehen und Gesehenwerden geht. Teure Autos und teure Anzüge gehen angesichts der eher düsteren Schmuddelecke des Bezirks eine bizarre Liaison mit dem Anspruch ein, Treffpunkt der Schönen und Reichen der Stadt zu sein.

Als am vergangen Freitagabend der Club seinen elften Geburtstag feierte, waren sie alle wieder vertreten, um den Gastgebern Britt Kanja und Bob Young zu gratulieren: Die wohl unvermeidliche Ariane Sommer, der Medienunternehmer Uwe Fenner, Sängerin Marisa Turner, die allerdings nach einem kurzen Gastspiel auf ihre eigen Record-Release-Party weiterhoppte, Modehändler Stefan Mientus im ostentativ unzugeknöpften Hemd unter dem Designeranzug, Prominenten-Masseuse Doctor Dot. Schauspieler Raffaelo Kramm war auch gekommen, fand aber kritische Worte. Heute gäbe es im Club zu viele Kiddies und nicht mehr so viel Spaß wie früher: "Alle wollen nur noch cool sein."

Als Britt und Bob den Ort 1989 als permanenten Spielplatz für ihre bis dahin umhervagabundierende Tanzstelle auswählten, hatte das Gebäude lange Zeit als brachliegende Halle eines Autoteileverwerters vor sich hinvegetiert und war in Britts Worten "total versifft".

Erstmalig öffneten die an einer 90-GradKurve gelegene Diskothek genau einen Monat vor dem Mauerfall am 9. Oktober 1989. Und glaubt man der ohnehin leicht esoterisch angehauchten Britt, so haben die guten Vibrations, die von dem Club ausgingen, durchaus ihren Anteil an dem historischen Ereignis gehabt. Nachdem das 90 Grad zu Beginn der neunziger mit dem Konzept ständig wechselnder Dekorationen und mit den besten Discjockeys der Stadt die Club-Kultur in Berlin etablierte, verdrängten Techno und das geradezu explodierende Nachtleben im Osten nach und nach seinen guten Ruf, bis im vergangenen Jahr der Hamburger Nils Heiliger das Geschäft übernahm und dem "90 Grad" seinen heutigen Anstrich verpasste.

Doch irgendwie haben die Hauptdarsteller von damals den Sprung ins heutige Jahrzehnt geschafft: Dag Harbach, vom einstigen Faktotum aufgestiegener Art Director ist heute sehr blond und trägt auch keine seiner legendären großen Brillengestelle mehr auf der Nase; Britt Kanja feierte vor zwei Monaten ihren 50. Geburtstag und scheint das unermüdliche Nachtleben ohne Spuren wegzustecken. Und auch Bob Young kam nicht im soignierten Anzug, sondern in einer golden glänzenden Jeanskombination. Er hatte sich schon vor ein paar Jahren aus dem "90 Grad" zurückgezogen und unlängst in Mitte die "808-Lounge" eröffnet. Dennoch feierte er den Geburtstag jetzt ohne reumütigen Blick zurück. Irgendwann sei er es auch leid gewesen, vier Nächte in der Woche bis sieben Uhr morgens zu arbeiten, sagte er: "Lounge ist jetzt ein bisschen mehr mein Rhythmus."

Alexander Pajevi¿c

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