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Berlin: 99 Zeilen Schwerk: Beim Ballett der Pizza-Bäcker unter den Stadtbahnbögen 177-180 der Georgenstraße

Heute mal - mir ist gerade so zumute - ziemlich drauflos. Das Tempo wird von Toni, Nico und Ciccio vorgegeben.

Heute mal - mir ist gerade so zumute - ziemlich drauflos. Das Tempo wird von Toni, Nico und Ciccio vorgegeben. Sie reißen einen ganz schön mit. Sie geben ein Pizza-Ballett, das Ausdruck, ach was: Ausbruch einer tiefinneren Heiterkeit ist. Wir gehen ja tagein-tagaus an vielen Lebensäußerungen vorbei, die uns erfrischen, auf Trab bringen könnten, wenn wir eben nicht nur daran vorbeigingen. Berlin ist eine einzige Bühne, auf der reineweg alles gespielt wird: vom Trauerspiel bis zur Klamotte. Wahrgenommen, will sagen: ausgewalzt, wird aber vorrangig das Miese. Wie im modernen Theater. Problemhudelei allenthalben. Die schwere Kunst der leichten Hand ist verpönt. Alles wird vergällt. Und die Welt wird davon auch nicht besser.

Laßt uns zu Toni, Nico und Ciccio zurückkehren. Sie sind Pizzabäcker dort, wo das Lokal zwölf Apostel im Schilde führt: unter den Stadtbahnbögen 177 bis 180 der Georgenstraße. Der beste Apostel-Platz ist an der Bühnenrampe, der Anrichte, ein kleiner Vierertisch. Er steht an der Einflugschneise des behenden, jungen Bedienungspersonals. Auch dies - von Hals bis zur Sohle schwarz gekleidet - vollführt biegsam ein Ballett, erotisch auch, doch doch.

Die Pizzabäcker sind zweckmäßigerweise weiß gewandet. Deren Choreographie besteht aus drei ineinander greifenden Szenen. Die erste ist die Teiggewinnung in einer Knet-Trommel. Das Mehl wird mit Wasser vermählt und dem Trommelgetriebe überlassen. Diese Szene spielt neben dem Backofen. In den fertigen Teig, einen ungefügen Batzen, krallen sich die Finger dessen, der ihn zur entgegen gelegenen Nebenbühne schleppt. Selbst dieses Schleppen hat Anmut. Auf enger Bühnengasse, in der die lange Stange einer Pizzaschaufel wie eine Lanze geführt wird, das dampfende Gebäck aus der heißen Höhlung holt und es mit Schwung auf einen der Teller an der Anrichte wirft. Dabei wird freilich keine Fliehkraft entfesselt, die das Backwerk uns womöglich um die Ohren schleuderte. Ich mache hierzu andeutenden Applaus. Das wird regungslos in den Augenwinkeln aufgenommen. Die mittlerweile dem Teigbatzen abgeschnittenen, faustdicken Teile werden in einer Hand mit unnachahmlicher Eleganz zu Kugeln geformt und dem Nebenmann überlassen. Dieser stemmt auf bemehltem Tisch - tempo energico - mit beiden Handballen aus einer Kugel einen Fladen. Drei oder vier solcher Fladen werden übereinander gelegt. Dann dehnt der Zuständige das geschichtete Gebilde mit Ring- und Mittelfingern beider Hände bis zur großen Pizzaform. Dieses Gebilde nun wird flugs im rhythmischen Gleichklang flach über den Tisch im Tiefflug weiter geschleudert und vom Hauptakrobaten geschickt aufgefangen. Er wirft den Fladen in die Höhe, fängt ihn mit gerecktem Zeigefinger auf, versetzt ihn in wilden Kreiswirbel, wie wir es von Tellerakrobaten aus dem Circus kennen, bringt die entfesselten Zentrifugalkräfte durcheinander, indem er den Finger am fliegenden Teigteller randwärts lenkt, damit zunächst ein schlappes Drehgehinke bewirkt, das aber bald in gaukelnden, schmetterlingsgleichen Wellenflug übergeht und endlich auf der bemehlten Piste landet. Mit einem klatschenden Handschlag des Meisters bedacht, wird der Fladen nun mit all dem dekoriert, was ihn zur bestellten Pizza macht.

Wäre ich 55 Jahre jünger, so würde ich beschlossen haben, nicht mehr zum Circus zu gehen, sondern Pizzabäcker zu werden. Aber es wäre dann ja doch wieder nichts weiter geworden als das Backen kleiner Brötchen. Kinderträume werden nie wahr, weil sie vom Ernst-des-Lebens-Gerede Erwachsener gestört werden. Es fehlt uns eben so ein bissel italienischen Komödiantentums, das sogar eine Pizza zur runden Sache werden lässt.

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