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Berlin: 99 Zeilen Schwerk: Raunen um Honeckers "Siegeszug" fürs rot-rote Rote Rathaus

Vorm Schauspielhaus sind ins Pflaster des Gendarmenmarktes sieben steinerne Tafeln eingelassen, auf denen Textfetzen zugunsten Berlins stehen. Dagegen ist nicht viel einzuwenden.

Vorm Schauspielhaus sind ins Pflaster des Gendarmenmarktes sieben steinerne Tafeln eingelassen, auf denen Textfetzen zugunsten Berlins stehen. Dagegen ist nicht viel einzuwenden. Nicht einmal, dass die Platten in einer Zeit ins Pflaster gefügt wurden, als die Mitte Berlins verrückt in den Osten war. Den politischen Osten, versteht sich ja wohl. Wie es sich ja stets verstand, dass das Schauspielhaus seit seiner Wiederherstellung 1984 der Musik geweiht wurde. Das hatte sich zwar bald in die entlegensten Winkel herumgesprochen, dennoch hielt es ein Intendant nach der Berliner Wiedervereinigung für gerechtfertigt, das vertraute Schauspielhaus in "Konzerthaus" umzubenennen.

Also vorm Schauspielhaus sind noch sieben Platten mit Sprüchen, die auf Berlin gemünzt sind, den Tritten ausgesetzt. Es gab auch eine achte Platte. Die wurde aber bald nach dem Mauerwanken aus dem Pflaster gelöst und zunächst ins Märkische Museum gebracht. Dort weiß heute niemand mehr, wo sich Erich Honeckers prophetische Platten-Worte von 1979 befinden. Sie lauteten: Buchstäblich aus Ruinen auferstanden, wird das Berlin von heute immer mehr zum Symbol für den Siegeszug des Sozialismus auf deutschem Boden.

Ein Raunen geht nun um, wonach diese schmählich verachtete Weissagung doch nicht unauffindbar sei. Es soll die Platte schon gleich nach der außerplanmäßigen Wahl im Jahre 2001 aufpoliert worden sein, um an geeignetem Platz fest in den deutschen Boden verankert zu werden. Hierfür ausersehen sei der noch immer namenlose, riesige Platz mit der Marienkirche und dem Neptunbrunnen vorm nun ja rot-rot Roten Rathaus. Auf dass die Schrift Honeckers erfüllet werde... Die recht voreilige Entfernung dieser Platte vom Gendarmenmarkt hatte gleich nach dem Fall des SED-Regimes die Hegelsche Phänomenologie des Berliner Witzes Lügen gestraft. Deswegen ist Hegels Platz-Platte auch geborsten, deren Text so lautet: Der Berliner Witz ist mehr wert als eine schöne Umgebung.

Nicht nur Hegels Platte ist geborsten. Ein Plattenkundler hat mir das so erklärt: Jeglicher Stein, der unsere Wege als Pflaster ebnet, auch der harte Granit, ist Belastungen nicht grenzenlos gewachsen. Deswegen bekommen sie - wie unsere Granitplatten Schweinebäuche. Wenn Sie mal beiläufig so eine Granitplatte aus ihrer Bodenhaftung ein wenig hervorheben, sehen sie unter der glatten Oberfläche eine raue Wölbung zum Erdreich hin und halten eine Schweinebauchplatte hoch. Die Spruch-Platten wurden, da sie keine Schweinebauchplatten sind, zu Bruchplatten. Auch jene von Albert Lortzing, dem man obendrein den zweiten Satzteil kurzerhand abgeschnitten hatte, damit Berlin eben gut wegkäme.

Auf der Platte steht, was Lortzing ein Jahr vor seinem sehr frühen Tod im Jahre 1850 nur zum Teil gesagt hat (er starb 50-jährig verarmt in seiner Heimatstadt, woran zum 150. Todestag allenthalben auch nur ärmlich erinnert wurde): Es ist mir, als ob ich von Berlin nicht wieder fortkommen würde. Weggestrichen wurde die Satzfortsetzung:...so wenig mir meine Vaterstadt eigentlich behagt mit ihrer kahlen Gegend und dem ekelhaften Dialekt. Dieser hat sich freilich im ehemaligen Ost-Berlin, ja auch in der von Hegel so erwähnten Umgebung besser gehalten als der Berliner Witz. Und ohne diesen ist der ganze Dialekt wirklich nur - wenn nicht gerade ekelhaft, so doch mindestens nur eine halbe Sache.

Friedrich Schiller ist nicht nur als Standbild vorm Schauspielhaus vertreten, sondern auch mit einem PLatten-Text: Daß ein längerer Aufenthalt in Berlin mich fähig machen würde, in meiner Kunst voranzuschreiten... zweifle ich keinen Augenblick. Auch dieser Spruch hat einen Sprung bekommen.

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