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Berlin: 99 Zeilen Schwerk: Wo die armen Ahnen nach ihrem elendem Dasein ein würdiges Begräbnis bekamen

Wandeln wir hier etwa über eine Schädelstätte, und spielen die Kinder unbefangen auf dem Koppenplatz über Gebeinen ihrer Ahnen? Allein diese Vorstellung könnte zu feierlich-gestelzten Wendungen verleiten.

Wandeln wir hier etwa über eine Schädelstätte, und spielen die Kinder unbefangen auf dem Koppenplatz über Gebeinen ihrer Ahnen? Allein diese Vorstellung könnte zu feierlich-gestelzten Wendungen verleiten. Eins aber ist gewiss: Hier stehen, gehen, spielen, ja wohnen wir auf ungewöhnlich geschichtsträchtigem Boden. Ungewöhnlich deshalb, weil hier einmal ein Friedhof war, ein Armenfriedhof. Auf ihm werden alle Armen, welche nicht Vermögen genug haben, um die Kosten des Begräbnisses zu bezahlen, frey begraben. Wenn der Tod von einem Polizeikommissar bescheinigt ist, so wird von der Armenkasse die Anweisung zum freyen Sarge, Leichenwagen und Beerdigung ertheilet, und die Armenkasse bezahlt alle diese Kosten.

So lesen wir es auszugsweise in Friedrich Nicolais Beschreibung der Königlichen Residenzstätte Berlin und Potsdam von 1786. Und der Koppenplatz heißt Koppenplatz nach Christian Koppe. Er war der Stifter dieses Armenfriedhofs und auch eines Armenhauses dahinter. Er hatte diese Grundstücke hierfür hergegeben. Ihm ist 1855 von der Stadt Berlin am Hause Koppenplatz 13 ein Denkmal errichtet worden, das jedem, der hier vorbeigeht, auffällt. Friedrich August Stüler hat es entworfen. Auf dreistufiger Erhöhung hinter vier korinthischen Säulen, die einen Giebel tragen, ist die Gedenktafel in die Wand eingelassen. Der Betrachter wird von einem brusthohen Staketenzaun auf respektvollem Abstand gehalten. Doch diese klassische Ehrerbietung für einen Wohltäter trägt überm Giebel die gesprühten Zeichen zerstörungswütiger junger Zeitgenossen, die den Respekt nie überzeugend vermittelt bekamen, also auch das Wort als hohl empfinden. Auf der Gedenktafel nun lesen wir dies:

Herr Christian Koppe Rathsverwandter und Stadthauptmann zu Berlin, widmete diesen Platz und dessen Umgebung im Jahre 1705 als Ruhestätte den Armen und Waisen, in deren Mitte Er selbst mit den Seinigen ruhen wollte und ruht. Sein Andenken ehrt dankbar die Stadt Berlin, 1855.

Als die Stadt dieses Denkmal errichtete, war der Armenfriedhof bereits aufgehoben, bebaut und dem Verkehr übergeben worden. Nun war es der Koppenplatz, wobei das n, das dem Koppe angehängt wird, die Zueignung kennzeichnet wie zum Beispiel auch im Namen der Sophie-Charlotten-Straße. Es gab im 18. Jahrhundert beim Armenfriedhof das Koppensche Armenhaus. Friedrich Nicolai schrieb in seinem Kapitel Milde Stiftungen, dass in dem Haus 22 alte Frauen Wohnung hatten, Feuerung und täglich 1 Gr. bekamen. Dort wohnte mit ihnen auch der Totengräber vom Armenfriedhof, womit ein Lebenskreis sehr eng geschlossen war.

In der Nähe, der Linienstraße, hatte Adolph Carl Streckfuß (1823-1895) einen Tabakladen. Streckfuß war ein 1848er, ein gegen Unbeweglichkeit gereizter Geist, der schrieb und wohl aus Gründen zeitweilig untersagter Schreibtätigkeit auch mit Tabak handelte. In seiner groß angelegten Berlin-Geschichte schildert er das Armenhaus recht drastisch, worin mehr als 22 alte Weiber in drei Stuben zusammengepfercht in jammervollster, schmutziger Armut gelebt hätten. Er stieg auch in die Gruft der Koppens hinab und schilderte anschaulich den Zustand der mumifizierten Leichname. Er war schließlich auch Verfasser von Krimis. Seine deutlich distanzierte Haltung zu Koppe schmälert dessen Einsatz für die Armen keineswegs. Er gab ihnen die Gewissheit, nicht auch noch nach einem elenden Dasein elend verscharrt zu werden. Und er ließ sich auch zu ihnen legen. Gruft und Gräber sind verschwunden. Längst gehört ein Spielplatz zum Platzbild, wo Kinder unbefangen den Sand schaufeln, der den geschichtsträchtigen Boden bedeckt.

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