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Berlin: Ab jetzt nur noch mit Grundwortschatz

An diesem Sonnabend werden 27 000 Erstklässler eingeschult. Sie erhalten dabei eine ganz besondere Liste

Mit der guten alten Fibel ist es nicht mehr getan: Wenn Berlins rund 27 000 Erstklässler am heutigen Sonnabend eingeschult werden, bekommen sie erstmals auch ein Heft mit einem Grundwortschatz in die Hand gedrückt: Eine Liste mit 700 Wörtern soll die gemeinsame Basis für den Deutschunterricht bilden.

Von A wie Abend bis Z wie zwölf reicht die alphabetisch geordnete Wörterliste, die auf jeder zweiten Seite mit Aufgaben aufgelockert wird. Gedacht ist sie für die deutschen Muttersprachler im bürgerlichen Frohnau ebenso wie für die Kinder mit fremdsprachigem Hintergrund in Kreuzberg oder Wedding.

Noch wissen Berlins Lehrer nicht so genau, was von den neuen Heften zu halten haben: Die ersten Fachkonferenzen finden erst in diesen Tagen statt. Möglicherweise seien die Aufgaben für Kinder mit geringen Deutschkenntnisse zu schwer, befürchtet Inge Hirschmann vom Grundschulverband. Sie bezweifelt auch, dass die alphabetische Sortierung „methodisch-didaktisch“ sinnvoll ist. „Wörter werden leichter im Sinnzusammenhang gelernt“, gibt Hirschmann zu bedenken.

Die Bildungsverwaltung erwidert darauf, dass Bayern mit dem Grundwortschatz seit elf Jahren gute Erfahrungen gemacht habe, auch Brandenburg hat ihn inzwischen übernommen. „Die Tatsache, dass der Wortschatz in dem Schülerheft alphabetisch angeordnet ist, heißt nicht, dass er im Unterricht in alphabetischer Reihenfolge behandelt werden muss“, wendet die Sprecherin der Bildungsverwaltung, Beate Stoffers, ein. Die alphabetische Anordnung sei doch nur ein Ordnungsprinzip, damit die Kinder die Wörter leichter wiederfinden.

Dass Berlins Schulen jetzt mit dem Grundwortschatz arbeiten sollen, hängt mit dem Qualitätspaket von Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) zusammen. Wegen der großen Sprachdefizite der Schüler hatte der Senator im Frühjahr entschieden, bei der Sprachbildung nachzubessern, ohne dass neue Stellen geschaffen werden müssen. So wurden die HU und die FU beauftragt, ein Konzept für eine „durchgängige Sprachbildung“ zu entwickeln. Die Expertise soll Ende November vorliegen. Zudem soll jede Schule, die Zusatzlehrer für die Sprachförderung hat, einen „Sprachbildungskoordinatoren“ benennen, der dann für die Umsetzung des Konzeptes zuständig ist.

Die Sprachbildung bleibt die wichtigste Herausforderung für Berlins Schulen. Mehr als 1200 Lehrerstellen – rund 70 Millionen Euro – gibt es für diesen Bereich. Diese Summe ist seit Jahren gedeckelt, obwohl die Zahl der Schüler mit Sprachproblemen stetig steigt. Allein unter den rund 27 000 Erstklässlern sind tausende, die dem Unterricht nicht vollständig werden folgen können. Etwa 35 Prozent der Kinder haben keinen deutschen Hintergrund, und längst nicht alle waren vor der Einschulung in der Kita.

Was das bedeutet, weiß kaum einer besser als der Leiter der Marienfelder Kiepert-Grundschule, Rainer Bonne. Seine Schule liegt in der Nähe eines Übergangswohnheimes, in dem auch Sinti und Roma wohnen. Bonne hat die Erlaubnis bekommen, für einige Sinti- und Roma- Kinder eine kleine Sprachförderklasse aufzumachen, weil sie völlig ohne Deutschkenntnisse eingeschult werden. Nun hofft Bonne, dass die Kinder auch alle zur Einschulungsfeier kommen.

Eines steht aber schon fest: Für die Schultüten ist gesorgt. Die Erzieher des Internationalen Bundes, der das Wohnheim betreibt, haben für jedes Kind eine bunte Tüte gebastelt und gefüllt. Und sie werden die Eltern und Kinder am Morgen auch zur Einschulungsfeier begleiten. Susanne Vieth-Entus

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