zum Hauptinhalt
14 Tage wollte Dries Verhoeven seine Performance in einem Glascontainer veranstalten, am Sonntag brach er die Aktion ab.

© dpa

Abbruch einer Performance: Der gläserne Dialog

Der Künstler Dries Verhoeven veröffentlichte Sex-Chats für eine Performance in einem Glashaus in Kreuzberg. Ein Nutzer fühlte sich hintergangen und schlug zu. Nun ist das Projekt zu Ende. Dieses stieß ohnehin auf starke Kritik beim Lesben- und Schwulenverband.

Er wollte nach Liebe in Zeiten des Internets fragen – doch das führte zu Gewalt. Ein Mann, der unfreiwillig Teilnehmer der Performance von Dries Verhoeven geworden war, hat den niederländischen Künstler am Donnerstagabend körperlich angegriffen, am Sonntagabend schließlich brach Verhoeven sein Performance-Projekt „Wanna play?“, für das er erst am vergangenen Mittwoch einen mobilen Pavillon auf dem Heinrichplatz bezogen hatte,ab. Sein Projekt zieht jetzt die scharfe Kritik des Berliner Lesben- und Schwulenverbands LSVD auf sich.

Der Künstler hatte nur über eine Dating-App Kontakt zur Außenwelt

Verhoeven fragt nach eigenen Aussagen in seinen Arbeiten nach der Beziehung zwischen Zuschauer und Künstler. Bei dem Projekt am Heinrichplatz ging es dabei um eine besondere Form von Beziehung: Verhoevens einziger Kontakt zur Welt außerhalb seines Glashauses sollte über zwei Wochen lang die Dating-App „Grindr“ sein, die vor allem von Schwulen benutzt wird. Seine Chats mit den Unbekannten wurden an eine LED-Wand im Pavillons projiziert, die Namen und Fotos der Chat-Teilnehmer verfremdet. Für die Zuschauer draußen vor dem Pavillon sollten Verhoevens Chat-Partner anonym bleiben. Als jedoch einer der Chat-Partner, der am Donnerstagabend zum Heinrichplatz kam und dort eine Gruppe von Zuschauern seinen vermeintlich privaten Chat verfolgen sah, stürmte er in den Glaskasten und versetzte Verhoeven einen Faustschlag. Er hatte nicht gewusst, dass er Teil eines Kunstprojekts war.

Wegen der heftigen Kritik gab es eine Diskussionsveranstaltung

Spätestens seit Donnerstagabend also gab es heftige Kritik an Verhoevens Performance. Schwule Männer würden mit der Aktion bloßgestellt und hintergangen, hieß es. Infolge der Proteste organisierte das Theater Hebbel am Ufer (HAU), das als Veranstalter für Verhoevens Projekt verantwortlich war, eine Diskussionsrunde mit dem Künstler selbst und der Chefin des Hauses, Annemie Vannackere.

„Die Debatte am Sonntag verlief schon recht emotional“, berichtete Annika Frahm, die Sprecherin des HAU am Montag. Als Veranstalter habe man sich im Vorfeld des Projekts mit dem Thema Datenschutz beschäftigt – „aber wohl nicht konsequent genug“, wie Frahm einräumte. Man habe nicht damit gerechnet, dass die Chat-Teilnehmer erkennbar seien. „Ganz sicher haben wir das nicht kalkuliert als Marketing-Coup geplant“, so Frahm.

Hätte es eine Chance gegeben, den Eklat zu vermeiden? Eventuell, meint Frahm, hätte man eine andere künstlerische Form als die öffentlichen Chattexte finden müssen. So eine Entscheidung liege aber natürlich beim Künstler – Verhoeven selbst aber war am Montag nicht zu sprechen.

Kritiker befürchten ein Zwangsouting von Schwulen

Für Jörg Steinert vom Berliner Lesben- und Schwulenverband liegt der Fall hingegen klar: Die Initiatoren des Kunstprojekts müssten sich bei allen Betroffenen explizit entschuldigen. „Das ist kein wertvoller Beitrag zur Kunst, sondern eine Aktion, die Menschen in ihren Persönlichkeitsrechten und ihre Privatsphäre stark verletzt.“ Steinert kritisierte zudem „das Risiko zum Zwangsouting“. Es gebe viele Homosexuelle, die ihre Sexualität nicht offen leben wollen. „Das muss man respektieren.“ Er gehe davon aus, dass viele schwule Männer bislang noch gar nicht mitbekommen haben, dass sie unfreiwillig Opfer des Kunstprojekts geworden sind, kritisierte Steinert.

Ob das im Sinne des Künstlers war, ist fraglich. „Der Besucher wird oft direkt angesprochen und soll die Gelegenheit bekommen, seine Erfahrung selbst zu steuern“, heißt es auf seiner Website. Mit Irritationen allerdings kennt sich Verhoeven trotzdem aus: Erst im August verstörte er die Hamburger mit einer anderen Glaskasten-Aktion.

Dort stellte er einen betenden Muslim, eine kleinwüchsige Prostituierte, eine Transsexuelle mit Federboa und eine Reihe anderer Menschen aus, deren Gemeinsamkeit in Verhoevens Augen ihre Verletzlichkeit war. Jetzt hat er, wie es scheint, mit seiner jüngsten Aktion selbst jemanden verletzt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false