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Berlin: Abriss mit Köpfchen

KOMMENTAR von Claus-Dieter Steyer

Man nannte sie Spinner, unbelehrbare Nostalgiker und im besten Fall noch Träumer. Dabei wollten die Menschen vor anderthalb Jahrzehnten nur ein Stück Geschichte ihrer Lausitzer Heimat retten und stellten sich deshalb vehement gegen den kompletten Abriss aller einstigen Kraftwerke, Förderbrücken, Brikettfabriken, Bergarbeitersiedlungen und Kokereien. Die Enthusiasten von Lauchhammer schlossen mit dem Sanierungsunternehmen einen perfekten Deal. Das Geld für den Abriss wurde gespart und in den denkmalgerechten Aufbau gesteckt. Seit dem Wochenende gehören die Biotürme der Kokerei von Lauchhammer zur „Energie-Route der Lausitzer Industriekultur“. Jetzt kann den Türmen aufs Dach gestiegen und die Sicht über die demontierte Kokerei genossen werden.

In der Region zwischen Lauchhammer, Senftenberg und Cottbus will heute kaum noch jemand auf die damalige Skepsis angesprochen werden. Man habe eben mit diesem Erfolg nicht gerechnet, heißt es. Doch an jedem Wochenende strömen die Touristen zur als der „liegende Eiffelturm“ bekannten Förderbrücke „F 60“ bei Finsterwalde, zum Kraftwerksmuseum in Plessa oder in die Brikettfabrik Louise bei Bad Liebenwerda. Die Biotürme in Lauchhammer hatten bis 1991 die Luft verpestet. Der Gestank nach faulen Eiern war so störend, dass nach der Wende der Abriss gefordert wurde. Nichts sollte mehr an das Ärgernis erinnern.

Die Tourismusstrategen jubeln und sprechen vom „Alleinstellungsmerkmal“ der Region. Mit Hilfe der den Landschaftswandel in der Lausitz begleitenden Internationalen Bauausstellung müsste jetzt die Vermarktung gelingen. Erste hoffnungsvolle Ergebnisse gibt es schon. Vor zwei Wochen lockte Max Raabe immerhin 4 000 Menschen vor die Förderbrücke „F 60“ in Lichterfeld. Der Besucheransturm auf die neu eröffneten Biotürme in Lauchhammer lässt ebenfalls auf eine dauerhafte Attraktion hoffen. Manchmal bedarf es eben verrückter Ideen. Die nachfolgenden Generationen werden die Relikte eines vergangenen Industriezeitalters gewiss dankend annehmen.

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