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Abschiebung in Berlin: Tanja muss bleiben

Das Drama des echten Lebens: Das Grips-Theater zeigt die verhinderte Abschiebung einer jungen Bosnierin. Bei der Probe sah sie zu.

Tanja ist weg, die Polizei hat sie abgeholt. Die Lehrerin tobt, einige Schüler weinen. Keiner weiß, wie es jetzt weitergehen soll. Sport steht als Nächstes auf dem Stundenplan, fällt aber aus.

Mit verzagtem Gesicht hockt das Mädchen Tanja im Lichtkegel, es ist dunkel sonst im Raum, sie ist in einer Gefängniszelle, weil sie abgeschoben werden soll.

Mit ernstem Gesicht sitzt das Mädchen Tanja in der ersten Reihe der Schillertheater-Werkstatt und guckt zur Bühne.

Es gibt Musik, das Mädchen im Lichtkegel rappt. Ein langsames Lied über das, was Heimat ist. Sie singt: „Zu Hause ist der Ort, wo ich die wurde, die ich heute bin.“

Das Mädchen im Publikum muss schlucken und zwingt sich, nicht zu weinen.

Oft kann man sich, wenn man im Kino, Theater oder Fernsehen etwas sehr Trauriges und Anrührendes sieht, damit trösten, dass das alles nur ausgedacht ist. Das geht bei „Hier geblieben!“ nicht. Die Geschichte auf der Bühne ist Tanjas Geschichte, und die ist echt.

Tanja Ristic, 13 Jahre alt, geboren in Bosnien. Seit sie drei Jahre alt ist, lebt sie in Berlin, ihre Eltern sind mit ihr und ihrer älteren Schwester Sanja 1995 vor dem jugoslawischen Bürgerkrieg geflohen. Im August 2004 lief die Duldung ab, den Vater und Sanja hat man abgeschoben, Tanja und ihre Mutter sind noch hier. Tanja hat Asyl beantragt, das Verfahren läuft. Parallel bemühen sich Anwälte um einen Aufenthaltsstatus für die Familie. Ein kompliziertes Verfahren, kaum nachvollziehbar in den Entscheidungen und in seinem stoischen Ablauf auch grausam.

Das Gripstheater hat den Fall im Februar genommen und sehr schnell ein Theaterstück daraus gemacht, „Hier geblieben!“ heißt es, am Donnerstag war Probeaufführung vor zwei Schulklassen. Verstehen die Kinder, was sie sehen? Drei junge Schauspieler, die Tanja und ihre Freunde spielen, und drei Stoffpuppen, das sind die Polizisten und die Lehrerin.

Der Plot: Tanja wird aus der Schule geholt, ins Abschiebegefängnis gebracht. Tanja soll während der Bearbeitung ihres Asylantrags ins Asylbewerberlager nach Köln. Ihre Mitschüler organisieren eine Demo: „Tanja muss bleiben“, schreien sie. Mit Erfolg, Tanja darf bleiben. Der echte Fall ist durch die Schülerproteste bekannt geworden und die Klasse bekam zwei Preise für ihr Engagement. Die Bühne ist einfach: ein langer Tisch, ein paar Stühle, ein Radio für die Musik.

„Ist das alles wahr?“, fragt nach dem Stück eine Zehntklässlerin. Ja, alles echt, in Wirklichkeit sei alles noch viel krasser, sagt Schauspielerin Javeh Asefdjah, die Tanja spielt. Sie sagt, es sei hart, Tanja zu spielen und die echte im Publikum zu wissen. Und was fand die echte Tanja am schlimmsten? Die Szene, in der sie über ihre Erinnerungen aus Bosnien spricht, Bombenalarm, Kellerzuflucht, die verstörte Mutter. Und das Lied über das, was Heimat ist. Was die Erwachsenen mehr anrührt: Dass Tanja im Gefängnis ihren Papa zum ersten Mal weinen sieht. Dass ihre Mutter die Verhaftung nicht verkraftet, auf dem Boden sitzt und sich stumm hin- und herwiegt.

„Hier geblieben!“ will über Asylprobleme und Bleiberecht informieren und damit Kinder unterhalten. Das ist schwierig, die Gedanken der Großen sind manchmal zu krumm für die Kleinen. Am Montag ist Premiere, es folgen vier Aufführungen in der Theater-Werkstatt (ausverkauft), dann kann das Stück von Schulen gebucht werden. Mehr als 15 haben das schon getan, aus Frankfurt (Oder), Erlangen, Heidelberg, Schwäbisch Hall.

Was im Stück nicht vorkommt: Sanja, die ältere Schwester, hatte ihre Berufsausbildung angefangen, als sie abgeschoben wurde, in Bosnien macht sie nichts, sie kann die Sprache weder gut lesen noch schreiben. Der Vater, der in Berlin nicht arbeiten durfte, findet in Bosnien, wo er arbeiten dürfte, keinen Job. Sie leben bei den Eltern der Mutter, einfache Leute mit kleiner Rente. Es fehlt an allem. Das Einzige, was es reichlich gibt in der Familie, ist Sehnsucht. Nach der Schwester, der Tochter, dem Vater, dem Mann, der Frau, der Mutter. Nach dem Gefühl, irgendwo hinzugehören.

In dem Rapsong heißt es: „Es kann nicht sein, dass ein Pass mehr über mich sagt als ich.“ Aber dann hängt an ihm fast alles.

Infos zu „Hier geblieben!“ unter www.hier.geblieben.net, Buchungen unter Tel. 397 47 40. Es gibt auch Unterrichtsmaterial zum Thema Bleiberecht.

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