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Berlin: Abschied von meiner Bank

Warum ein Kreditinstitut, das Teil der Bankenaffäre ist, mich nicht für kreditwürdig hält Von Peter Schneider

Als ich 1965 meine erste Wohnung in Berlin bezog, eröffnete ich das erste Konto meines Lebens – in der Berliner Bank-Filiale gegenüber. Als wichtigstes Qualitätsmerkmal genügte mir damals der Umstand, dass meine Bank drei Fußminuten von meiner Wohnung entfernt war und nicht Deutsche Bank hieß. Über die weitaus größte Strecke der letzten vierzig Jahre blicken die Berliner Bank und ich auf ein entspanntes Verhältnis zurück. Ich rutschte kaum je unter meine Kreditlinie, die Berliner Bank nahm nie mehr als die in diesem Gewerbe üblichen, horrenden Zinsen. Bei einem so störungsfreien Einvernehmen konnte es nicht fehlen, dass ich – je nach Konjunktur meiner Werke auf dem Markt – zuweilen beträchtliche Summen auf meinem Konto hielt, die prompt zu fürsorglichen Anfragen von Anlageberatern führten, ob ich mein Geld nicht besser anlegen wollte als auf einem simplen Girokonto. In aller Regel habe ich solche Anfragen – in Erwägung der unregelmäßigen Einkünfte eines freien Autors und in kritischer Selbsteinschätzung meiner Fähigkeiten als Spekulant – verneint und begnügte mich mit der Freude an den Pluszeichen vor dem Saldo in meinen Bankauszügen. Immerhin führte das beständige Überwiegen dieser Pluszeichen dazu, dass meine Bank über die Jahrzehnte ein gewisses Vertrauen zu mir fasste, das sich in einem Kreditrahmen von 20 000 DM niederschlug.

Die idyllische Beziehung zwischen meiner Bank und mir erlebte einen ersten Einbruch, als die sogenannte Berliner Banken-Affäre bekannt wurde. Erst spät wurde mir klar, dass meine Bank Mitglied eines von der Staatsanwaltschaft angeklagten Clubs namens Berliner Bankgesellschaft war. Die Bank meines Vertrauens war in dieses wohl größte Banken-Bubenstück der Nachkriegsgeschichte verwickelt. Als ich im „Spiegel“ über die Bankengesellschaft schrieb und den skurrilen Lebensstil und die Bereicherungstricks ihrer Manager an den Pranger stellte, wusste ich nicht oder wollte nicht wissen, dass ich damit auch meiner Bank zu Leibe rückte.

Natürlich hätte es nahegelegen, die Berliner Bank nach dem Ruchbarwerden des Skandals fluchtartig zu verlassen. Aber langjährige Bankkunden neigen zur Treue, ja zu einer gewissen Sentimentalität. Man kennt und duzt den Filialleiter, man hat keinen Schimmer, ob der Vorstandsvorsitzende des Instituts Grau oder Grün heißt. Man will die langjährigen Mitarbeiter der Filiale, in der man nach so vielen Jahren beinahe Schulfreunde sieht, nicht für die Sünden eines Vorstands bestrafen. Zur Anhänglichkeit des Kunden trägt auch die Erwägung bei, dass es mühsam, ja, fast unmöglich ist, all seinen Geschäftspartnern die neuen Bankdaten zu übermitteln. Besonders Autoren werden von der Vorstellung heimgesucht, dass ihnen aus einem uralten, schon vergessenen Vertrag plötzlich ein märchenhaftes Honorar aus Übersee überwiesen wird, das von der verlassenen Bank erbarmungslos zurückgeschickt wird mit dem Vermerk: Empfängerkonto unbekannt!

Mein Filialleiter, der ein Herz für Künstler hatte, irritierte mich Anfang des 3. Jahrtausends durch die Mitteilung, er könne meinen Kredit von 20 000 DM, sprich 10 000 Euro, ab sofort nicht mehr verlängern. Auf meine Frage, was denn vorgefallen sei, schloss er seine Bürotür und beschied mich mit der geflüsterten Bemerkung, er rate mir, die Filiale oder besser noch: die Bank zu wechseln. Er jedenfalls sei für Kreditsummen dieser Größenordnung nicht mehr zuständig. Da ich aus den oben bezeichneten Gründen an ihm hing und außerdem noch ein Konto bei einer anderen Bank unterhielt, einigten wir uns auf eine ungewöhnliche Lösung: Auf seine Empfehlung hin richtete ich ein Sperrkonto ein, auf dem ständig mindestens 1000 Euro bereitzustehen hatten, um etwaige Minuszeichen auf meinem Girokonto abzudecken.

Nicht lange nach dieser Unterredung war mein Filialleiter in der Filiale nicht mehr aufzufinden. Er war vorzeitig in Pension gegangen oder gegangen worden. Mit seiner Nachfolgerin kam es bald zum Konflikt: Meine Bank wollte eine Lastschrift nicht bedienen, weil mein Girokonto vorübergehend den alarmierenden Fehlbetrag von 300 oder 400 Euro aufwies. Als ich sie auf die Garantiesumme auf dem Sperrkonto verwies, erfuhr ich, ihr Vorgänger habe sie in die Funktion des Sperrkontos nicht eingeweiht. Mit dieser Klarstellung schien die Sache beigelegt.

Aber der Vorfall nagte an meiner Kundenehre. Es wollte mir einfach nicht in den Kopf, dass die Berliner Bank einem Kunden, der in vierzig Jahren weder bei ihr noch bei der Schufa unangenehm aufgefallen war, nicht einmal ein paar Hundert Euro für ein paar Wochen stunden wollte. Mehr aus Trotz denn aus Not beschloss ich, einen Überziehungskredit von 5000 Euro zu beantragen. Ich füllte zahllose Formbögen aus, stellte mich Fragen, die man sonst nur in einem Beichtstuhl beantwortet, legte meinem Antrag zur Aufbesserung meiner Glaubwürdigkeit mehrere von mir im „Tagesspiegel“ und im „Spiegel“ verfasste Artikel bei. Die zuständige Dame, die im zweiten Stockwerk eines Verwaltungstrakts der Berliner Bank residierte und meine Artikel, wie ich durch diskrete Fangfragen feststellte, tatsächlich gelesen hatte, wiegte traurig ihren hübschen Kopf. Freie Autoren wie ich, hörte ich, seien für die Banken ein Problem. Vergeblich machte ich sie darauf aufmerksam, dass ich mit jenem anderen Schneider, der verschiedene Banken um rund 7 Milliarden DM erleichtert hatte, nichts als den Nachnamen gemein hätte – was den Chef der Deutschen Bank damals zu dem berühmten Kommentar inspiriert hatte, das seien „peanuts“. Es half nichts, mein Antrag wurde abgelehnt.

Im Herbst 2006 kam es zum Showdown. Die Berliner Bank weigerte sich, eine Nachforderung der Gasag von 6 Euro und einen Dauerauftrag von 324, 29 Euro zu bedienen. Mit Schreiben vom 11.10. 06 teilte sie mir mit, die genannten Aufträge hätten leider nicht ausgeführt werden können, da mein Girokonto um 389, 99 Euro überzogen sei.

Da ich zu diesem Zeitpunkt in den USA lebte, konnte ich nicht viel mehr tun als auf meine Kosten in der Filiale anzurufen und ins Telefon zu schreien. Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich, mein (eigens für solche Unfälle) eingerichtetes Sperrkonto könne aus irgendwelchen Gründen leider nicht als Deckung anerkannt werden – was man mir allerdings nicht mitgeteilt hatte. Auf meine Frage, ob die Berliner Bank nur Kunden für kreditwürdig halte, die eine lebenslange Anstellung mit Pensionsberechtigung vorweisen könnten, erfuhr ich, die Berliner Bank habe kein Konzept für Freiberufler.

Als ich zwei Monate später die Filiale meiner Bank betrat, um dort meine Konten aufzulösen, schrieb ich in die eine Zeile, die in dem Formular für „Gründe“ vorgesehen war, zwei Worte: „Helle Empörung“. Die anderen Zeilen habe ich hier nachgetragen.

Zum Glück gibt es Konkurrenz, also Hoffnung. Obwohl andere Banken keine anderen Informationen über den Schneider haben, der hier schreibt, verwöhnen sie ihn geradezu mit Krediten.

Der Autor lebt seit 1961 als Schriftsteller in Berlin. Er war einer der Wortführer der Studentenbewegung. Zuletzt erschien sein Roman „Eduards Heimkehr“, zuvor veröffentlichte er „Der Mauerspringer“ und „Paarungen“.

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